Österreichs Verteidigungsministerin

„Die illegalen Grenzübertritte sind fast wieder auf Vor-Corona-Niveau“

22.07.2021
Lesedauer: 5 Minuten
Die österreichische Verteidigungsministerin Klaudia Tanner - Quelle: Laura Heinschink

Österreichs Verteidigungsministerin Klaudia Tanner erklärt, wie die österreichische Armee gegen illegale Einwanderung vorgeht. Auch in Mali kommen Soldaten des Landes zum Einsatz. Eine Abschaffung der Wehrpflicht wie in Deutschland hält sie für falsch.

Klaudia Tanner, 51, ist die erste Verteidigungsministerin in Österreich. Die ÖVP-Politikerin gilt als sehr durchsetzungsstark. Die Juristin hat wegen Corona die erste Teilmobilmachung der Reserve in der Nachkriegsgeschichte Österreichs veranlasst, sie setzte in kurzer Zeit den Kauf von 18 neuen Hubschraubern durch und plant gerade eine viel beachtete Reform des Bundesheers.

WELT: Frau Ministerin, Österreich setzt Soldaten ein, um illegale Migration zu verhindern. Klappt das?

Klaudia Tanner: Es funktioniert sehr gut und in enger Abstimmung mit der Polizei. Wir helfen im Rahmen von sogenannten Assistenzeinsätzen, wenn die Polizei uns anfordert. Derzeit sind rund 1000 Soldaten an den grünen Grenzen im Einsatz.

WELT: An den Grenzen werden auch Drohnen eingesetzt.

Tanner: Dafür ist in erster Linie der Bundesinnenminister verantwortlich. Aber richtig ist: Wir arbeiten mit hochmodernen Drohnensystemen und Wärmebildkameras, die sogar nachts oder bei sehr schlechtem Wetter aus großer Entfernung in der Lage sind, illegale Grenzübertritte an den grünen Grenzen zu erkennen. Dann werden unsere Soldaten und Polizisten, die sich permanent entlang der Grenzen hin- und herbewegen, sofort aktiv. Wir haben in den vergangenen Monaten wieder mehr Personen aufgegriffen, die Schlepper sind leider wieder unterwegs, und die illegalen Grenzübertritte haben fast schon wieder das Niveau erreicht wie vor der Corona-Krise.

WELT: Wo werden die Soldaten noch eingesetzt?

Tanner: Das erste Ziel ist natürlich die Landesverteidigung. Dafür üben wir. In den vergangenen Monaten halfen rund 4000 Soldaten bei der Bewältigung der Corona-Pandemie, 222 Einsatzkräfte wiederum bewachen ausländische Botschaften in Wien.

WELT: Anders als Deutschland hat Ihr Land die Wehrpflicht nicht abgeschafft. Warum?

Tanner: Wir hatten im Jahr 2013 bei einer Volksabstimmung ein klares Votum für die Wehrpflicht. Das ist auch gut so. Wir haben derzeit eine Mobilisierungsstärke von bis zu 55.000 Männern und Frauen. Das brauchen wir auch. Anders ließen sich die zusätzlichen Aufgaben beim Grenzschutz oder im Bereich des Gesundheitsschutzes rund um die Uhr nicht erfüllen. Denken Sie allein an die vielen Millionen Arbeitsstunden in der Corona-Pandemie. Außerdem sind wir bei Auslandseinsätzen von EU und Nato engagiert. Lassen Sie mich aber noch hinzufügen dürfen: Die Wehrpflicht hat auch eine ungemein integrative Funktion. Junge Menschen aus allen Schichten und verschiedenen Kulturen müssen dieselben Aufgaben und Pflichten erfüllen. Da rückt man näher zusammen, da lernt man, sich besser zu verstehen.

WELT: Österreich ist ein neutrales Land und gehört damit nicht zur Nato. Warum sind Ihre Soldaten trotzdem bei Auslandseinsätzen dabei?

Tanner: Neutralität bedeutet ja nicht Trittbrettfahren. Wir engagieren uns im Rahmen unserer Möglichkeiten. Bis zu 1100 Soldaten und Soldatinnen können in Auslandseinsätze gehen, in Deutschland – einem Land, das fast zehnmal so groß ist wie Österreich – sind es 2400. Wir sind derzeit an 15 Auslandsmissionen beteiligt.

WELT: Wo denn?

Tanner: Beispielsweise bei EU-Operationen in Bosnien-Herzegowina und Mali oder Nato-Operationen im Kosovo und bis vor Kurzem in Afghanistan. Beim EU-Trainingseinsatz in Mali, an dem derzeit rund 500 europäische Soldaten teilnehmen, werden wir ab Jahresende zum zweiten Mal das Kommando übernehmen. Wir planen, dann bis zu 80 sehr gut ausgebildete Soldaten zu stellen.

WELT: Was wollen Österreichs Soldaten denn in Mali?

Tanner: Es geht darum, Malis Sicherheitskräfte dabei zu unterstützen, Verantwortung für die Sicherheit ihres Landes zu übernehmen. Wir arbeiten dort eng mit Deutschland zusammen. Mali ist ein zentrales Land für die Stabilisierung der Sahel-Zone und die Sicherheit Europas.

WELT: Was planen Sie noch?

Tanner: Die Nato stockt im Irak ihre Ausbildungsmission für einheimische Sicherheitskräfte auf. Wir haben dafür mindestens zehn – bei Bedarf aber auch mehr – Soldaten angeboten. Der Irak ist wichtig für die Sicherheit im Nahen Osten.

WELT: Sie haben bemerkenswert offen dem Bundesheer eine gewisse „Kopflastigkeit“ attestiert und planen eine Heeresreform. Worum geht es?

Tanner: Wir wollen nicht eine Reform der Truppe, sondern eine Reform für die Truppe.

WELT: Das klingt schon mal gut.

Tanner: Wir haben teilweise das Problem, dass sich bestimmte Ressortverwaltungen manchmal stärker mit sich selbst beschäftigen als damit, was unsere Soldaten draußen in ihren Einheiten wirklich brauchen.

WELT: Welche konkreten Probleme gibt es?

Tanner: Ich habe seit meinem Amtsantritt vor 19 Monaten sehr viel mit den Soldaten gesprochen. Kameraden in einer Auslandsmission beklagten beispielsweise, dass ihr Antrag auf neue Rucksäcke nicht bewilligt wurde, weil das Ministerium die Meinung vertrat, sie brauchten keine 30-Kilo-Rucksäcke. Ein Soldat kritisierte, seit zwei Jahren auf ein dringend benötigtes Notstromaggregat zu warten. Unser Ziel ist: klare Zuständigkeiten, schnelle Entscheidungsprozesse und eine Verwaltung, die sich als Serviceeinheit für die Truppe versteht.

Welt: Sie planen auch Neuerungen in der Ausbildung der Soldaten.

Tanner: Das stimmt. Das Bundesheer ist eine Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Mauthausen eingegangen. Im Rahmen ihrer Ausbildung in Ethik und Rechtsfragen werden die Soldaten im Grundwehrdienst ab diesem Herbst verpflichtet, an einem Tag die KZ-Gedenkstätte Mauthausen oder deren Außenstelle in Melk zu besuchen. Das Gleiche gilt für Unteroffiziers- und Offizierslehrgänge.

WELT: Warum machen Sie das?

Tanner: Wir haben dieses Programm zusammen mit den Kuratoren und Lehrenden in Mauthausen entwickelt. Wir hoffen, dass die Soldaten durch dieses eindrückliche Erlebnis am Ort der Gräueltaten des Nationalsozialismus, begleitet durch entsprechende fachliche Erläuterungen, Geschichte besser verstehen lernen und sich noch stärker mit ihr auseinandersetzen. Und es soll eine Warnung an alle sein, wohin ein irregeleiteter Nationalismus führen kann.

WELT: In Deutschland wurde kürzlich bekannt, dass in einigen Einheiten, sogar bei Spezialkräften wie dem KSK, rechtes Gedankengut systematisch verbreitet war. Wäre das in Österreich überhaupt möglich?

Tanner: Es hat auch bei uns Einzelfälle gegeben, aber keine Häufung von rechten Umtrieben innerhalb bestimmter Einheiten. Das wäre in Österreich auch nahezu unmöglich. Wir haben zahlreiche Sicherheitsnetze eingezogen, von der Selbstauskunft bis hin zu regelmäßigen polizeilichen Überprüfungen und psychologischen Tests. Hinzu kommt, dass die Kameraden sofort Meldung machen, wenn sie links- oder rechtsradikale Tendenzen in ihrem Umfeld wahrnehmen. Sie sind in der Regel dafür sensibel. Wir haben durch unsere Geschichte eine große Verantwortung, der gerade das Bundesheer auch gerecht werden will.

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