Heftige Kritik an den Wut-Bauern, die Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) gewaltsam an der Nordseeküste am Verlassen einer Fähre gehindert haben. Und auch noch ein Gesprächsangebot des Wirtschaftsministers für eine Delegation auf der Fähre ausschlugen.
Am deutlichsten wurde Agrarminister Cem Özdemir (Grüne). Er erklärte, weite Teile der Gesellschaft teilten aus guten Gründen den Konsens, dass man zivilisiert miteinander umgehen und streiten. „Ich messe da immer mit gleichem Maß, ob bei Klimaklebern oder bei den Bauern am Fährhafen: Gewalt und Nötigung sind verachtenswert und schaden auch dem Anliegen.“
„Inakzeptabel“
Im ARD-Morgenmagazin verschärfte Özdemir den Ton noch, sagte: „Das sind Leute, die haben feuchte Träume von einem Umsturz. Das ist inakzeptabel.“
Was er meinte: Es waren womöglich nicht nur Bauern, die zu den rabiaten Methoden am Fähr-Anleger griffen, sondern Aktivisten vom rechten Rand.
„Demokratische Grenze überschritten“
Noch in der Nacht meldete sich zudem Außenministerin Annalena Baerbock zu Wort. Deren Verhältnis zu Habeck ist nicht immer spannungsfrei, seit sie 2021 als Kanzlerkandidatin auserkoren wurde. Beide gelten auch mit Blick auf die Kanzlerkandidatur 2025 als Rivalen.
Baerbock schrieb auf X (ehemals Twitter): „Demokratie lebt von harter inhaltlicher Auseinandersetzung. Dort, wo Worte durch Gepöbel und Argumente durch Gewalt ersetzt werden, ist eine demokratische Grenze überschritten.“
Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) schrieb auf X: „Das ist das Gegenteil von dem, was ich heute in der durch Hochwasser gebeutelten Region Mansfeld-Südharz erlebte – Solidarität, Zusammenhalt, Respekt, Zusammenarbeit unterschiedlichster Gruppen für den Schutz der Bevölkerung.“ Sie erwarte eine „Klare Distanz durch den Bauernverband“.
Habeck besorgt wegen aufgeheizter Stimmung
Auch Habeck selbst meldete sich nach einigen Stunden Bedenkzeit zu Wort: „Was mir Gedanken, ja Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt“, erklärte der Vizekanzler. Protestieren in Deutschland sei „ein hohes Gut“. Nötigung und Gewalt zerstörten dieses Gut. „In Worten wie Taten sollten wir dem entgegentreten“, forderte Habeck.
Er bedankte sich bei Mitreisenden, der Crew der Fähre und den Einsatzkräften der Polizei, fügte hinzu: „Ich bedauere, dass keine Gesprächssituation mit den Landwirten zustande kommen konnte“.
Regierungssprecher: „Beschämend“
Auch aus den anderen Parteien kam viel Solidarität für Habeck:
▶︎ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ließ seinen Regierungssprecher erklären: „Bei allem Verständnis für eine lebendige Protestkultur: Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein“. Die Blockade von Habecks Ankunft im Fährhafen Schüttsiel sei „beschämend und verstößt gegen die Regeln des demokratischen Miteinanders“.
▶︎Justizminister Marco Buschmann (FDP): „Dass man auch mal wütend ist: geschenkt. Aber klar ist: Gewalt gegen Menschen oder Sachen hat in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren! Das diskreditiert das Anliegen vieler Landwirte, die friedlich demonstrieren.“
▶︎ NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU): „Demokratie lebt von Debatte, Rede und Gegenrede. Gewalt macht jede Debatte kaputt. Ich teile die Anliegen der Bauern, diese Grenzüberschreitung aber ist absolut inakzeptabel. Das schadet den berechtigten Anliegen der Bauern und muss Konsequenzen haben.“
Wüsts scharfe Wortwahl kann man durchaus als Ansage an die Verantwortlichen des Bauernverbands lesen.
Sein Innenminister Herbert Reul (CDU) zu BILD: „Ich verstehe die Wut der Landwirte. Aber den eigenen Ärger zum Ärger aller zu machen, hilft niemandem. Aggressiver Protest und Blockaden sind völlig inakzeptabel. Land lahmlegen erweist der Landwirtschaft einen Bärendienst. Ohne Stau geht’s auch.“
Protestwoche trotz Ampel-Zugeständnissen
Hintergrund: Die Koalition will nach einem neuen Beschluss auf die Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft verzichten. Die Abschaffung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel soll gestreckt und in mehreren Schritten vollzogen werden.
Trotzdem der teilweisen Rücknahme der Kürzungspläne geht der Chef des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, von starkem Rückhalt bei den geplanten Protesten in der kommenden Woche aus. „Ich rechne damit, dass Zehntausende Trecker zu unseren Sternfahrten in ganz Deutschland kommen werden“, sagte er BILD. „Dass damit auch Verkehrsbeeinträchtigungen einhergehen, versteht sich von selbst.“
Allerdings ging Rukwied am Freitag Vormittag auf Distanz zu den Habeck-Blockierern: „Blockaden dieser Art sind ein No-Go. Wir sind ein Verband, der die demokratischen Gepflogenheiten wahrt. Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht“, zitierte ihn der Bauernverband in einer Erklärung.