Auch Brüssel wird von der Zinswende kalt erwischt. Jetzt muss ein Loch von 19 Milliarden Euro gestopft werden.
Die EU-Kommission, die seit 2020 erstmals selbst in großem Umfang für die EU Anleihen begibt, hat den Zinsanstieg des vergangenen Jahres und damit ihre eigenen Finanzierungskosten deutlich unterschätzt. Das geht aus einem Vermerk der EU-Behörde hervor, der der F.A.Z. vorliegt.
Darin heißt es, die Kommission habe nach der Entscheidung der EU-Staaten im Sommer 2020, erstmals einen schuldenfinanzierten „Wiederaufbaufonds“ aufzulegen, einen „allmählichen Zinsanstieg auf 1,15 Prozent“ erwartet. „Diese Annahme war im Einklang mit der zu erwartenden Rückkehr des Zinsniveaus zum langjährigen Durchschnitt vor der Pandemie und deutlich oberhalb des entsprechenden Terminkurses“, schreibt die Behörde.
„Zwangsläufig auch Folgen für die Bonität von EU-Anleihen“
Die Zinsen sind indes deutlich stärker gestiegen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Hauptrefinanzierungssatz im vergangenen Jahr nach und nach von 0 auf 4 Prozent erhöht. Diese unerwartet starke Steigerung macht allen Staaten zu schaffen. In der EU spielte die Zinshöhe für die in der Pandemie getroffene Entscheidung, sich erstmals selbst in großem Umfang zu verschulden, indes gar keine Rolle, weil die Zinsen damals bei null lagen. Für zehnjährige EU-Anleihen stiegen die Zinsen von 0,09 Prozent Ende 2020 auf 3,2 Prozent im Mai 2023.
„Für die Staaten des Euroraums mit hoher Bonität waren ähnliche Anstiege zu verzeichnen“, schreibt die Kommission. Allerdings sei das Zinsplus für EU-Anleihen etwas stärker ausgefallen als etwa für deutsche Staatsanleihen. Das sei aber „primär technischen Faktoren geschuldet“, schreibt Haushaltskommissar Johannes Hahn an den CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber.
Die gestiegenen Zinszahlungen sind einer der Faktoren, mit der die Kommission ihren Vorschlag begründet, das EU-Budget bis 2027 um 65,8 Milliarden Euro aufzustocken (F.A.Z. vom 21. Juni). Für diesen Posten veranschlagt die EU-Behörde 19 Milliarden Euro zusätzlich. Dieser Betrag müsste auf die ein oder andere Art von den Mitgliedstaaten finanziert werden. Nach Ferbers Ansicht gefährden die höheren Zinslasten schon jetzt die Handlungsfähigkeit der EU.
Die Kommission sei „mit Blick auf die Bonitäts- und Zinsrisiken im EU-Haushalt sehr naiv unterwegs“. Die Risiken gründeten nicht nur auf der Zinswende, sondern auch auf der Tatsache, dass einzelne Staaten wie Frankreich von den Ratingagenturen heruntergestuft worden seien. Das habe „fast zwangsläufig auch Folgen für die Bonität von EU-Anleihen“. Die Mitgliedstaaten müssten „zu haushaltspolitischer Vernunft zurückkehren“.
Die EU-Kommission zieht andere Schlüsse. Die gestiegene Staatsverschuldung in den Mitgliedstaaten unterstreiche „die Notwendigkeit einer Reform des Rahmens für die wirtschaftliche Steuerung“. Die Behörde verweist auf ihre Vorschläge für überarbeitete EU-Budgetregeln. Die Mitgliedstaaten müssten darüber „noch dieses Jahr eine Einigung erzielen“.
Quelle: FAZ.NET