Nachdem rund 200 Film- und Kulturschaffende die Berlinale dafür kritisiert haben, auch AfD-Politiker zur Eröffnungsgala eingeladen zu haben, wird über den Umgang mit den Rechtspopulisten diskutiert. Ein Überblick über die Debatte.
Am 15. Februar 2024 beginnen die 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin, kurz: Berlinale, mit einer großen Eröffnungsgala. Dazu werden auch immer Politiker eingeladen, zum Beispiel die Mitglieder der zuständigen Kulturausschüsse im Bundestag und im Berliner Abgeordnetenhaus. Das ist seit jeher gängige Praxis, auch weil das Filmfestival zu einem großen Teil vom Bund und vom Land Berlin finanziert wird.
Doch in diesem Jahr gibt es Kritik daran. In einem offenen Brief vom 2. Februar, der mittlerweile nicht mehr online zu finden ist, wurde von rund 200 Kultur- und Filmschaffenden die Rücknahme von zwei Einladungen an AfD-Politiker gefordert. Konkret geht es um die Berliner Abgeordneten Kristin Brinker und Ronald Gläser.
Wie reagiert die Berlinale?
Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek hat in den Sozialen Medien eine Stellungnahme veröffentlicht, in der es heißt, AfD-Mitglieder nähmen zutiefst antidemokratische Positionen ein, die den Werten der Berlinale widersprächen.
Als gewählte Mitglieder des Bundestags und des Berliner Abgeordnetenhauses seien AfD-Politiker aber aufgrund von Einladungsquoten über die Kulturstaatsministerin Claudia Roth und den Berliner Senat zur Eröffnung eingeladen worden. Listen mit entsprechenden Namen und Adressen würden von beiden Institutionen der Berlinale zur Verfügung gestellt, erklärt Rissenbeek. Die Berlinale verschicke dann die Einladungen.
Rissenbeek: Wir stecken in einem Dilemma
„Menschen – auch gewählte Abgeordnete –, die gegen demokratische Werte handeln, sind auf der Berlinale nicht willkommen“, stellte Rissenbeek klar. Dies werde man in einem Brief an die eingeladenen AfD-Abgeordneten klar und nachdrücklich zum Ausdruck bringen. Man versucht offenbar, die Abgeordneten davon zu überzeugen, den Einladungen nicht zu folgen.
In einem Interview im Berliner Tagesspiegel erklärte Rissenbeek, man respektiere es, wenn die Kulturstaatministerin und der Berliner Senat ihre Kartenkontingente an demokratisch gewählte Mandatsträger vergeben, „auch wenn sie von der AfD sind“. Die AfD werde dadurch nicht gutgeheißen, stellte Rissenbeek klar. Man werde dazu auch noch mit dem Senat und der Behörde der Kulturstaatsministerin sprechen.
Im Deutschlandfunk Kultur erklärte Rissenbeek, man stecke in einem Dilemma, wenn durch diese Einladungspraxis „viele Filmschaffende, die wir eigentlich bei uns im Haus mit ihren Filmen begrüßen, sich unwohl fühlen“.
Wie reagiert die Kulturstaatsministerin?
Kulturstaatsministerin Claudia Roth ließ währenddessen über ihren Sprecher mitteilen, man habe aus Respekt der Bundesregierung vor dem Parlament und seinen gewählten Abgeordneten auch die Mitglieder des fachpolitisch zuständigen Kulturausschusses des Deutschen Bundestages eingeladen. Das entspreche der demokratischen Praxis.
Die Berlinale und ihr Programm zeigten ein weltoffenes und von Vielfalt geprägtes Deutschland, so der Sprecher. „Die Berlinale steht für die Freiheit der Kunst sowie für den Einsatz gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung.“ Das werde Roth auch immer unterstützen, schützen und verteidigen.
Sollten AfD-Abgeordnete den Einladungen zur Berlinale-Eröffnung folgen, müssten sie es aushalten, „dass sie bei der Berlinale genau damit in aller Deutlichkeit konfrontiert werden. Ansonsten sollen sie wegbleiben“, so Roths Sprecher weiter.
Waren AfD-Politiker in der Vergangenheit auf der Berlinale?
Dass AfD-Politiker zur Eröffnungsgala eingeladen werden, ist nicht neu. In den vergangenen Jahren wurde diese Einladungspraxis jedoch nicht kritisiert, worauf Rissenbeek ausdrücklich im Deutschlandfunk Kultur hinweist.
2019 hat ihr Vorgänger, Dieter Kosslick, sogar alle AfD-Mitglieder zur Berlinale eingeladen und ihnen das Angebot gemacht, dass er ihre Tickets bezahlen würde, wenn sie kämen und sich den Dokumentarfilm „Das Geheimarchiv im Warschauer Ghetto“ ansehen würden. Diese Aktion fand damals großen Zuspruch.
Doch die Zeiten ändern sich. Die AfD hat sich radikalisiert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz behandelt die Partei mittlerweile als rechtsextremistischen Verdachtsfall. Und seit Wochen finden Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus im Land statt.
Wie bewerten Beobachter das Vorgehen der Berlinale?
Deutschlandradio-Filmkritiker Patrick Wellinski spricht von einem PR-GAU und kritisiert die Berlinale-Leitung dafür, dass sie nicht besser darauf vorbereitet gewesen sei. Schließlich habe sie bei diesem quasi automatisierten Einladungsverfahren schon sehr früh gewusst, dass auch AfD-Politiker eingeladen würden. Gleichzeitig werde die AfD momentan öffentlich stark kritisiert. Man habe aber erst reagiert, nachdem es Widerspruch von Filmschaffenden gegeben habe.
Für Wellinski hat es den Anschein, als ob die Berlinale-Leitung gehofft habe, das Ganze würde nicht weiter auffallen. Doch, fragt er, „braucht es überhaupt Politiker bei der Eröffnung der Berlinale?“ In Cannes oder Venedig stünden jedenfalls keine Politiker auf der Bühne.
Öffentliche Ächtung statt Ausschluss
Deutschlandradio-Kulturkorrespondent Vladimir Balzer meint, die AfD wieder auszuladen, sei der falsche Weg. Schließlich sei sie trotz ihrer teilweise rechtsextremen Färbung eine rechtlich völlig legale Partei mit Fraktionen im Bundestag und in den Landtagen – und damit Teil des parlamentarischen Systems. „Sie ist ein Faktor, wenn es darum geht, Kultur staatlich zu finanzieren.“
Auch die Berlinale bekommt vom Staat Geld – und dieses „wird nun mal parlamentarisch kontrolliert, auch von der AfD. Und damit ist es selbstverständlich, dass ihre Abgeordneten zu Veranstaltungen der Institutionen eingeladen werden, deren Budgets sie demokratisch kontrollieren.“
Anders sehe es mit der rückwärtsgewandten Kulturpolitik der AfD aus, meint Balzer. Diese gelte es, mit allen Mitteln zurückzudrängen. Doch der richtige Weg sei nicht Ausschluss, sondern die öffentliche Ächtung. Insofern ist er d’accord mit der Reaktion der Berlinale-Leitung, die erklärt hat: Abgeordnete, die demokratische Werte nicht achten, seien nicht willkommen.
„Einladungen also formell aussprechen und dennoch zeigen, wo man steht. Das mag nach einem Widerspruch klingen, ist aber nichts anderes als Akzeptanz des parlamentarischen Systems, ohne dabei die eigenen Werte zu verraten. Das sollte die Botschaft des Kulturbetriebs sein.“