Buchläden mit jihadistischer Literatur, Restaurants mit Plätzen für verschleierte Frauen: Solche Dinge waren jüngst in einer Fernsehreportage über den radikalen Islam in Frankreich zu sehen. Prompt haben die Macher der Sendung Todesdrohungen erhalten. Das ist mehr als nur eine lokale Episode.
Aufrufe zur Steinigung von Frauen
Während rund zwanzig Minuten liegt der Fokus der Sendung auf der Entwicklung des radikal-islamischen Kommunitarismus in Roubaix. Die Sequenzen – überwiegend wurden sie mit versteckter Kamera aufgenommen – zeigen gewisse Quartiere wie etwa die Rue Lannoy, eine Einkaufsstrasse der Stadt, in denen sich die «kommunitaristische Abkapselung» deutlich bemerkbar mache. «Es gibt immer mehr verschleierte Frauen», sagt eine Stimme aus dem Off. Danach geht das Team der Sendung «Zone interdite» zu einem Laden, in dem Puppen ohne Gesichter verkauft werden: «Spielzeuge, die darauf abzielen, die Kinder im Sinne des radikalen Islam zu prägen, der jede Darstellung des Menschen verbietet», erklärt der Kommentar.
Zwar sei an diesen Geschäften nichts illegal, aber «sie zeugen vom Einfluss einer sehr rigoristischen Strömung in Roubaix». Im Anschluss daran wird zu einer «alarmierenderen Tatsache» übergeleitet: In manchen islamischen Buchläden der Stadt werden «aufrührerische Bücher» angeboten, Titel, welche die Steinigung von Frauen oder den Jihad propagieren. Weiter heisst es in der Doku, dass sich einige Geschäfte an die Entwicklung anpassten; als Beispiel wird ein Restaurant genannt, «in dem es separate Plätze für die verschleierten Frauen gibt».
Die Reportage geht auch auf den Fall des Vereins «Ambitions et initiatives pour la réussite» ein. Die Organisation hat Nachhilfeunterricht für Kinder von der ersten bis zur letzten Klasse angeboten und ist zu Teilen durch öffentliche Gelder finanziert worden. Dies, bis im Februar 2021 der Verdacht aufkam, dass der Verein unter dem Deckmantel der Schulbildung religiöse Propaganda betreibe. Drei Mitglieder der Association wurden strafrechtlich verfolgt und unter gerichtliche Aufsicht gestellt. Der rechte Bürgermeister von Roubaix, Guillaume Delbar, wird derweil der fahrlässigen Veruntreuung von öffentlichen Geldern beschuldigt, weil er den Verein unterstützt hat.
Etliche sind unter Polizeischutz
Die Affäre von Roubaix ist mehr als ein lokaler Zwischenfall. Sie zeigt in aller Deutlichkeit, wie schlecht es im Land um die freie Meinungsäusserung bestellt ist. Und trotz zahlreichen Morden – erinnert sei an das Massaker in der «Charlie Hebdo»-Redaktion und die Enthauptung des Lehrers Samuel Paty – scheint die Repression gegen die islamistische Eiferei keine Fortschritte zu machen.
Man sollte in diesem Zusammenhang vielleicht darin erinnern, dass in Frankreich rund 30 Personen aus ähnlichen Gründen wie Ophélie Meunier und Amine Elbahi unter Polizeischutz stehen. Zum Beispiel der Journalist Mohamed Sifaoui, ein Spezialist für den radikalen Islam; Zineb El Rhazoui, eine französisch-marokkanische Feministin und frühere Mitarbeiterin von «Charlie Hebdo»; der Imam Hassen Chalghoumi, der die Moschee von Drancy leitet und mit einer Fatwa des Islamischen Staates belegt wurde; Philippe Val, der ehemalige Direktor von «Charlie Hebdo»; Richard Malka, der Anwalt dieser Zeitschrift; oder auch Mila, eine junge lesbische Gymnasiastin, die beschuldigt wird, den Propheten beleidigt zu haben.
Schockierend an der Roubaix-Affäre sind nicht zuletzt auch die lauen Reaktionen. Es ging zehn Tage, bis sich 160 Persönlichkeiten entschlossen, eine Petition in der Zeitung «Le Figaro» zu publizieren und ihre Empörung zum Ausdruck zu bringen. Ein Teil der Linken wiederum hat es vorgezogen, den «unseriösen» Charakter (Jean-Luc Mélenchon) der M6-Reportage anzuprangern. Diese Haltung ist inzwischen bekannt: Nachdem die Linke alles verloren hat – die Arbeiterklasse, die UdSSR, China, die Dritte Welt –, meinen heute manche ihrer Vertreter, dass der Islam, und sei es der extremste, das neue Proletariat verkörpere. Aus dieser Warte tragen nunmehr die Muslime, und sie alleine, das revolutionäre Versprechen, von dem die Arbeiter nichts mehr wissen wollen.
Eine Form von Neusprech: Ketten bedeuten Freiheit
Die unheilige Allianz zwischen Trotzkisten, Ökologisten oder Neo-Feministen auf der einen und Islamisten auf der anderen Seite ist verblüffend, denn die Linke muss ihre eigenen Werte mit Füssen treten, um diese Verbindung aufrechtzuerhalten. Der Islam gilt als «Religion der Unterdrückten», und folglich hütet man sich vor jeder Kritik an ihm, um nicht als «islamophob» oder «rassistisch» zu gelten. Gewisse linke Strömungen verfallen gar in eine veritable Vergötterung des Kopftuchs oder des Hijabs – auch dann, wenn ihn Mädchen ab sieben Jahren tragen müssen.
Seit 200 Jahren ist die Kritik an religiöser Eiferei und Intoleranz ein Kernanliegen der laizistischen Linken. Aber mit dem Islam macht sie heute eine Ausnahme. Auf dem Katholizismus und dem Protestantismus darf man nach Belieben herumtrampeln, doch wenn es um die Religion des Propheten geht, werden die Münder geschlossen, die Blicke wenden sich ab.
Zuweilen ist dabei eine Umkehr der Werte zu beobachten, die an den Neusprech in George Orwells «1984» erinnert: Ketten bedeuten dann Freiheit, Unterdrückung ist eigentlich Emanzipation, und der Burkini und die Burka sind ein Mittel, um den kolonialen Duktus des Westens herauszufordern. Hat die amerikanische Philosophin Judith Butler nicht von den afghanischen Frauen verlangt, die Burkas anzubehalten, um dem Diktat des amerikanischen Imperialismus zu widerstehen? Im Übrigen ist die Rechte auch nicht viel besser: Aus Klientelismus hat sie in zahlreichen Regionen die Netzwerke der Muslimbrüder toleriert.
Debatten werden durch Verbrechen «geregelt»
Und noch etwas anderes machen die Vorfälle rund um Roubaix einmal mehr deutlich: Meinungsverschiedenheiten werden heute nicht mehr in öffentlichen Debatten oder vor einem Gericht ausgetragen. Sie werden durch Ermordung «geregelt». Die geringste Kritik an der islamischen Religion kann inzwischen auf diese Weise vergolten werden. Wir kennen diese Form der «Justiz» vom Attentat auf «Charlie Hebdo» – sie passiert hier und heute, auf französischem Boden, im 21. Jahrhundert.
Die radikalen Islamisten wollen unseren Gesellschaften ihren Lebensstil aufzwingen. Und wenn diese Gesellschaften ihnen die Burka verwehren, wenn sie sich weigern, an Stränden oder in Schwimmbädern geschlechtergetrennte Sektionen einzuführen oder Halal-Speisen in Gefängnissen anzubieten – dann müssen sie mit Attentaten und Enthauptungen rechnen.
Wenn man auf den Fall von Roubaix schaut und sich die Reaktionen vor Augen führt, die er hervorgerufen hat, muss man unweigerlich an Michel Houellebecqs Roman «Unterwerfung» denken: Ein müdes Frankreich sehnt sich nach Ruhe, sieht zu, wie seine Systeme und Werte implodieren, und lässt alles mit sich geschehen. Richard Malka, der Anwalt von «Charlie Hebdo», sagt es klar und deutlich: «Bald wird man nicht mehr über den Islam oder auch nur von Fanatismus und Fundamentalismus sprechen können. Die Themen werden ein grosses Tabu bilden, einen toten Winkel, in den sich kein Medium mehr vorwagen wird.» Die Franzosen brauchen dann nur noch diesen einen, letzten Effort zu leisten: Sie müssen dauerhaft die Augen verschliessen.
Der Schriftsteller und Philosoph Pascal Bruckner lebt in Paris. – Aus dem Französischen übersetzt von cmd.