Einigung zu Nord Stream 2

Deutschland kauft sich frei

21.07.2021
Lesedauer: 6 Minuten
Meter für Meter durch die Ostsee: Nord Stream 2 soll bald fertig werden – und Erdgas nach Deutschland transportieren. Bild: Reuters

Deutschland hat sich mit den Vereinigten Staaten nach dem Konflikt um die Gas-Pipeline Nord Stream 2 geeinigt. Die Ukraine soll Geld und Erdgas bekommen. Auch deutsche Verbraucher sollen profitieren.

Im Streit um die Inbetriebnahme der weitgehend fertiggestellten Ostseegasleitung Nord Stream 2 und den künftigen Gastransit durch die Ukraine haben die deutsche und die amerikanische Regierung eine Einigung erzielt. Sie enthält nach Informationen der F.A.Z. im Kern eine hohe Geldzahlung an die Ukraine sowie die Zusicherung, dass auch über das Jahr 2024 hinaus aus Russland kommendes Gas durch die Ukraine Richtung Westen fließen wird. Details sollen im Laufe des Mittwochabend bekannt gemacht werden, nachdem die Regierungen in Polen und der Ukraine informiert wurden – beide sind die größten Widersacher des Pipelineprojektes. Die Ukraine fürchtet, dass Russland die Transitlieferungen einstellt und damit hohe Durchleitungsgebühren wegfallen.

In drei Jahren endet der bestehende Transitvertrag zwischen dem russischen Gaskonzern Gazprom und dessen ukrainischem Pendant Naftogaz über 40 Milliarden Kubikmeter im Jahr und zu einem garantierten Mindestpreis. Sollte es zu einer Verlängerung nicht kommen, droht die Bundesregierung den Informationen zufolge mit Sanktionen gegen Nord Stream 2. Ähnlich hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorige Woche auf ihrem Washington-Besuch geäußert. Die Pipeline von Russland nach Mecklenburg-Vorpommern wird von Gazprom gebaut und betrieben, aber von fünf westeuropäischen Energiekonzern aus Österreich, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland mitfinanziert.

Die Nachrichtenagentur Bloomberg schreibt vom einem Grünem Fonds für die Ukraine, der mit einer Milliarde Dollar ausgestattet werden solle. Nach F.A.Z.-Informationen könnte auch noch mehr Geld zur Verfügung gestellt werden, vor allem für die Modernisierung der Energie-Infrastruktur, die zumindest in Teilen als veraltet und überholungsbedürftig gilt. In der deutsch-amerikanischen Erklärung von Washington hatte es vorige Woche geheißen: „Die Vereinigten Staaten und Deutschland werden zusammenarbeiten, um … Investitionen in Mittel- und Osteuropa zu mobilisieren, unter anderem zur Unterstützung der Energiewende, Energieeffizienz und Energiesicherheit der Ukraine“.

Der Staatspräsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, hatte zuvor auf die benötigten Transit-Einnahmen mit der Bemerkung hingewiesen: „Für uns ist ,Energiesicherheit’ nicht nur ein Wort. Wir bekommen 2 Milliarden Dollar für den Transit.“ Die Ukraine brauche das Geld aus der Durchleitung russischen Gases zur Deckung der Staatsausgaben, aber auch für den ökologischen Umbau der Wirtschaft.

Erdgas bleibt noch lange wichtig

Die Energiekonsumenten in Deutschland dürften von der Einigung zu Nord Stream 2 profitieren. Das erwartet die Ökonomin Veronika Grimm. „Für die deutschen Verbraucher könnten durch Nord Stream 2 die Gaspreise sinken“, sagte sie der F.A.Z. Das könnte auch einen Anstieg des Strompreises verhindern, weil dieser neben dem CO2-Preis, der mittelfristig steigen dürfte, vom Erdgaspreis abhängig ist. „Wenn der Leitungskorridor durch die Ukraine bestehen bleibt, dann eröffnet Nord Stream 2 zusätzliche Optionen für die deutsche Energieversorgung. Es ist daher wichtig, hier klare Signale zu senden.“ Die Professorin für Volkswirtschaftslehre in Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung befürwortet die Stoßrichtung, den Rücken der osteuropäischen Staaten zu stärken und damit zu verhindern, dass Nord Stream 2 diesen Staaten schadet. Für die Versorgungssicherheit wäre die neue Leitung nicht unbedingt nötig, aber die Spitzennachfragen in den Wintermonaten würde so besser abgedeckt werden, sofern alle Erdgasleitungen aus Osteuropa offenbleiben.

Im deutschen Energiemix werde Erdgas noch länger als bis ins Jahr 2030 eine Rolle spielen, erwartet Grimm. Sie sieht dadurch auch bessere Möglichkeiten, um die CO2-Emissionen schneller zu senken. „Wenn wir mehr Erdgas einsetzen, können wir früher als aktuell geplant aus der Kohlekraft aussteigen.“ Ohnehin würden die Kohlekraftwer

ke wahrscheinlich durch den steigenden CO2-Preis im Emissionshandel früher als geplant vom Netz gehen. Sie setzt dabei auf dem Weg zur Klimaneutralität auch auf blauen Wasserstoff, der aus Erdgas hergestellt wird, wobei das dabei entstehende CO2 aufgefangen und eingelagert wird.

Für die angestrebte Klimaneutralität im Jahr 2045 und die vorgezogenen Klimaziele könnte der Einsatz von blauem Wasserstoff das Tempo bei der Emissionsreduktion erhöhen. „Wenn wir alles sofort grün machen wollen, werden wir zu langsam sein“, sagt Grimm. Wäre blauer Wasserstoff zeitnah verfügbar, so könnten Industrieanlagen schon bald auf neue Technologien umgestellt werden. Zunächst würde man sie mit blauem Wasserstoff betreiben, und dann auf grünen Wasserstoff umstellen, sobald dieser günstiger und in großen Mengen verfügbar ist. Allerdings sieht auch die nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung nur den Einsatz von grünem Wasserstoff vor. Eine Richtungsentscheidung zu blauem und türkisem Wasserstoff als Brückenoption steht noch aus.

Grimm hebt hervor, dass es teuer und aufwendig ist, ein Stahlwerk sofort mit grünen Wasserstoff klimaneutral zu machen. Die Direktreduktionsanlage, die die Produktion von klimaneutralem Stahl möglich macht, kann auch zunächst mit Gas oder blauem Wasserstoff betrieben und dann später auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. „Dann bleiben die Betriebskosten zunächst im Rahmen. Wichtig ist ja, dass die Investition in die teuren Anlagen jetzt stattfinden kann.“, sagt sie. „Das  russische Erdgas ist als Übergangstechnologie sehr wichtig , wir sollten es auch als blauen Wasserstoff einzusetzen – sonst kaufen andere Länder das Gas und die Emissionen fallen dort an.“

Große Speicher in der Ukraine

In der Ukraine gab es schon vor 20 Jahren Versuche, westliche Geldgeber und die Gaswirtschaft zu beteiligen, um das dortige Gasnetz zu modernisieren. Zu der Zeit war Gerhard Schröder (SPD) Bundeskanzler, der später in russische Dienste trat. Ähnlich Anläufe hat es dem Vernehmen nach nun wieder gegeben. Sie seien unter anderem daran gescheitert, dass die Ukraine nicht bereit sei, ihre Kontrolle über das Leitungsnetz und den Handel aufzugeben. Das Land hat Fortschritte bei der Reform der Struktur des Gasgeschäftes gemacht und sich Vorgaben der EU zur Trennung von Verkauf und Transport zu eigen gemacht. Die großen Speicher des Landes werden inzwischen nicht nur genutzt, um aus dem Westen importiertes – wenngleich teils aus Russland stammendes – Gas für die eigene Versorgung einzulagern, sondern auch, um damit aktiv Handel zu treiben.

Die neue amerikanische Regierung sieht die fast fertig gestellte Pipeline sehr skeptisch. Präsident Joe Biden hatte allerdings Signale der Entspannung gegeben. Vertreter der Bundesregierung hatten gesagt, bis August wolle man eine Lösung mit den Vereinigte Staaten finden.

Die neue amerikanische Regierung sieht die fast fertig gestellte Pipeline sehr skeptisch. Präsident Joe Biden hatte allerdings Signale der Entspannung gegeben. Vertreter der Bundesregierung hatten gesagt, bis August wolle man eine Lösung mit den Vereinigte Staaten finden.

Biden und Merkel hatten vergangenen Donnerstag in Washington ihre unterschiedlichen Auffassungen deutlich gemacht. Biden warnte Russland davor, seine Energievorkommen als „Waffe“ oder Druckmittel gegen seine Nachbarn wie die Ukraine einzusetzen. Merkel betonte, Nord Stream 2 sei keine Alternative zum Gastransit durch die Ukraine: „Unser Verständnis war und ist und bleibt, dass die Ukraine Transitland für Erdgas bleibt.“ Alles andere würde „sehr große Spannungen hervorrufen“. Sie versicherte, „dass wir aktiv handeln werden, wenn Russland dieses Recht der Ukraine auf Transitland nicht einlösen wird“.

Das könnte Sie auch interessieren

Für Energiekonzern
01.12.2024
EU-Plan gescheitert
29.11.2024
ARD-Show "Die 100"
26.11.2024
Abstimmung über neue EU-Kommission
27.11.2024

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

2 × 4 =

Weitere Artikel aus der gleichen Rubrik

Für Energiekonzern
01.12.2024
EU-Plan gescheitert
29.11.2024

Neueste Kommentare

Trends

Alle Kategorien

Kategorien