Ahrtal-Katastrophe

Das Umweltministerium hätte vor der Flut warnen können

08.03.2022
Lesedauer: 5 Minuten
„Anne braucht eine glaubwürdige Rolle“: Umweltministerin Spiegel nach der Flutkatastrophe in Dümpelfeld in Rheinland Pfalz Bild: Nerea Lakuntza

Bereits um 18 Uhr am Katastrophentag wusste das Ministerium in Mainz, dass es an der Ahr ein Extremereignis gab. Am Folgetag war die Umweltministerin – und heutige Bundesfamilienministern – Anne Spiegel vor allem besorgt, ihr könnte Verantwortung angelastet werden.

Am Morgen des 15. Juli bot sich an der Ahr ein Bild der Verwüstung: Die Häuser waren zerstört, in den Bäumen hingen Autos, im noch hoch stehenden Fluss trieben Gascontainer. Zu dem Zeitpunkt war das tatsächliche Ausmaß der Kata­strophe unklar, doch es wurden bereits Dutzende Menschen vermisst, auch gab es Hinweise auf Tote.

Bei der rheinland-pfälzischen Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) sowie einem ihrer Mitarbeiter stand jedoch offenbar vor allem die Sorge im Vordergrund, Spiegel könnte eine Verantwortung für die Kata­strophe angelastet werden und sie könnte innerhalb der Landesregierung an den Rand gedrängt werden. Das legen nichtöffentliche Akten aus dem Untersuchungsausschuss zur Ahrtal-Katastrophe nahe, die der F.A.Z. vorliegen.

Um kurz nach sechs Uhr morgens am 15. Juli schrieb demnach eine Mitarbeiterin der Pressestelle des Umweltministeriums an Spiegel per SMS, die Lage sei „sehr ernst“, es sei in mehreren Landkreisen der Katastrophenfall ausgerufen worden, es würden Menschen vermisst. An Spiegels damaligen Pressesprecher Dietmar Brück, mittlerweile stellvertretender Sprecher der rheinland-pfälzischen Landesregierung, ging eine fast gleichlautende Nachricht.

„Das Blame Game könnte sofort losgehen“

Brück schrieb daraufhin an Spiegel sowie die Pressemitarbeiterin: Das Starkregenereignis werde „das beherrschende Thema“, „Anne braucht eine glaubwürdige Rolle“, es dürfe aber „nicht nach politischer Instrumentalisierung aussehen“. Die „Anteilnahme macht MP“ (Ministerpräsidentin Malu Dreyer, SPD), aber vom Umweltministerium könnten Informationen zur Hochwasserlage und zu Warnungen kommen. Es gelte aufzupassen, „dass MP und Roger“ (gemeint sind Dreyer und der SPD-Innenminister Roger Lewentz) „jetzt nicht Fünf-Punkte-Plan gegen Starkregen entwickeln“.

„Das deckt sich mit meinen Überlegungen“, antwortete Spiegel kurz darauf. „Das Blame Game könnte sofort losgehen, wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe, was ohne unsere Präventionsmaßnahmen und Vorsorgemaßnahmen alles noch schlimmer geworden wäre etc.“ Weiter schrieb Spiegel: „Ich traue es Roger zu, dass er sagt, die Katastrophe hätte verhindert werden können oder wäre nicht so schlimm geworden, wenn wir als Umweltministerium früher gewarnt hätten.“ Vom Umweltministerium hieß es dazu am Dienstag auf Nachfrage, Spiegel werde als Zeugin im Untersuchungsausschuss „zu allen Fragen, die ihre persönliche Wahrnehmung betreffen, Stellung nehmen“. Auch aus Respekt vor dem parlamentarischen Verfahren wolle man diesem Vorgang nicht vorgreifen.

Bei der Flutkatastrophe an der Ahr starben 134 Personen, mehr als 700 wurden verletzt. Viele Menschen wurden noch im Schlaf von den Fluten überrascht, obwohl zu dem Zeitpunkt Orte am Oberlauf der Ahr bereits seit Stunden überspült waren und aus Sicht von Meteorologen spätestens am Nachmittag des 14. Juli deutlich war, dass es zu einer Katastrophe kommen würde. Doch veranlasste der für den Katastrophenschutz zuständige Landkreis erst eine Teilevakuierung, als es dafür schon viel zu spät war.

Spiegel stand als damalige Umweltministerin dem Landesamt für Umwelt vor, das für die Prognose von Pegelständen zuständig ist. Am 14. Juli um 15.24 Uhr prognostizierte es einen Pegelstand von über fünf Metern in Altenahr – weit mehr als bei der „Jahrhundertflut“ 2016. Trotzdem versandte Spiegels Umweltministerium noch um 16.43 Uhr eine E-Mail in der es hieß, es drohe „kein Extremhochwasser“.

Zu dem Zeitpunkt soffen an der Ahr aber schon die Campingplätze ab. Später hieß es dazu vom Umweltministerium, derlei Mitteilungen seien „vorab vorbereitet“ und nicht dazu gedacht, die Bürger mit Warnmeldungen zu erreichen.

Doch war nach F.A.Z.-Informationen Mitarbeitern des Umweltministeriums bereits kurz nach Versand der E-Mail klar, dass deren Inhalt mindestens veraltet war. Die Pressemitteilung sei „überholt“, soll Staatssekretär Erwin Manz (Grüne) kurz nach 18 Uhr an die Pressestelle geschrieben haben, heißt es aus dem Umfeld des Untersuchungsausschusses. An der Ahr gebe es ein Extremereignis, ein Campingplatz sei evakuiert worden, soll Manz demnach weiter geschrieben haben. Auf die Frage, ob dann jetzt noch etwas zu tun sei, antwortete Manz demnach jedoch: heute nicht.

Hätte eine Richtigstellung Leben retten können?

Vom Umweltministerium hieß es dazu am Dienstag auf Nachfrage: Es treffe zu, dass Staatssekretär Manz gegen 18 Uhr zu der Einschätzung gekommen sei, „dass die um 16.43 Uhr versandte Pressemitteilung überholt war“. Die Aussage, es sei „nichts zu tun“, habe sich jedoch lediglich auf die Frage bezogen, ob eine weitere Pressemeldung sinnvoll sein könnte.

„Die Information der Einsatzkräfte vor Ort, die für die Warnung der Bevölkerung zuständig sind, war und ist jederzeit über die Meldekette sichergestellt gewesen. Pressemitteilungen sind nicht Teil dieses Meldeweges und können auch gar nicht sicherstellen, dass wichtige Informationen die Bevölkerung vor Ort auch rechtzeitig erreichen.“

Möglicherweise aber hätte eine Richtigstellung der Entwarnung vonseiten des Umweltministeriums Menschenleben retten können, da die Warnung mutmaßlich von Medien aufgegriffen worden wäre. Auch am SWR hatte es Kritik aufgrund ausbleibender Warnungen gegeben.

Am Freitag muss sich Anne Spiegel vor dem Untersuchungsausschuss in Mainz zu den Vorgängen erklären, am 8. April sind Dreyer und Lewentz geladen. Auch an Lewentz gab es wiederholt Kritik. Der Innenminister war am Abend des 14. Juli in der Einsatzzentrale des Landkreises gewesen und mit dem für den Katastrophenschutz zuständigen Landrat Jürgen Pföhler zusammengekommen, gegen den wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung ermittelt wird. Lewentz war nach dem Termin nach Hause gefahren, offenbar ohne mitzubekommen, dass zu dem Zeitpunkt weiter oben an der Ahr bereits Häuser abgesoffen und Menschen ertrunken waren. Fraglich ist, ob Lewentz die Pegelprognosen der eigenen Landes­regierung überhaupt vorlagen.

Kürzlich waren Chatprotokolle einer Konversation von Dreyer mit Lewentz aus der Flutnacht veröffentlicht worden. Diese belegen, dass beide weitgehend ahnungslos waren, was die Vorgänge an der Ahr angeht. Dreyer hatte darin geschrieben, sie höre, der Höchststand der Flut werde erst am Mittag des nächsten Tages erreicht – was falsch war. Weiter fragte sie Lewentz, ob Spiegel auch informiert sei, diese sei „ja echt ein bisschen nervös“. Lewentz antwortete demnach, Spiegel habe ein „eigenes Lagesystem“, sie werde morgen informiert. Erst um 00.58 Uhr am 15. Juli schrieb Lewentz demnach an Dreyer, die Lage eskaliere, es könne Tote gegeben haben.

Quelle: F.A.Z.

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