Trotz Kritik blockierten Aktivisten am Freitag erneut Autobahnauffahrten. Umweltministerin Lemke distanzierte sich von den Blockaden.
Berlin. Auch am Freitag waren Aktivisten der Initiative „Letzte Generation“ wieder in Berlin aktiv. Unter dem Motto „Essen Retten – Leben Retten“ blockierten sie am Morgen erneut Teile der Berliner Stadtautobahn (A100).
Einige Demonstranten klebten sich auf der Straße fest. Andere setzten sich in Charlottenburg und Mitte im Bereich der Ausfahrten Siemensdamm und Beusselstraße auf die Fahrbahn, wie die Polizei mitteilte. Nach Angaben der Verkehrsinformationszentrale (VIZ) bildete sich infolge der Blockade auf der Stadtautobahn im morgendlichen Berufsverkehr ein langer Stau. Er reichte rasch bis zur Ausfahrt Hohenzollerndamm – das entspricht rund neun Kilometern. Unweit der Blockadestelle liegt das Virchow-Klinikum, das oft von Rettungswagen angefahren wird. Autofahrer mussten bis zu 60 Minuten mehr Zeit einplanen, twitterte die VIZ.
Aufgrund der #Demonstration auf der #A100 in Höhe Seestraße wurde jetzt die #Autobahn zwischen Dreieck Charlottenburg und Beusselstraße/Seestraße #GESPERRT. #STAU ab Hohenzollerndamm!
— Verkehrsinformationszentrale Berlin (VIZ Berlin) (@VIZ_Berlin) February 11, 2022
A100: Es wird geklärt, ob Demonstranten in Gewahrsam genommen werden
Nach rund einer Stunde war die Aktion beendet. 22 Demonstranten seien vorläufig festgenommen worden und würden überprüft, hieß es von der Polizei. Die Behörde wollte klären, ob erneut einige der Demonstranten in sogenannten Gewahrsam genommen werden sollten, um weitere Straftaten zu verhindern. Über dieses kurzzeitige Einsperren maximal bis zum nächsten Tag entscheidet ein Richter.
Dieses Mittel wurde in den vergangenen Tagen für die Demonstranten angewendet, die sich bei den Blockaden auf Straßen festgeklebt hatten. Das wird von der Polizei als Tatbestand des Widerstandes gewertet, weil es die Polizeiarbeit gezielt erschwert. Dies ist bislang nach Angaben einer Gerichtssprecherin seit 4. Februar in rund 25 Fällen geschehen, in denen sich Demonstranten bei den Blockaden auf Straßen festgeklebt hatten. Das wird von der Polizei als Tatbestand des Widerstandes gewertet, weil es die Polizeiarbeit gezielt erschwert. Auch der Tatbestand der Nötigung ist denkbar.
Demonstranten, die sich als „letzte Generation“ bezeichnen, haben zuletzt in Berlin rund 30 Mal Straßen und Autobahnen blockiert. Seit dem 24. Januar fertigte die Polizei nach Straßenblockaden rund 280 Anzeigen wegen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, etwa wegen Nötigung, Verstößen gegen das Versammlungsfreiheitsgesetz oder Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Die Zahl täuscht allerdings über die tatsächliche Dimension des Protests hinweg. Denn die meisten Aktivisten sind Wiederholungstäter. Insgesamt liegt die Zahl der Blockierer laut Behörden nur im unteren zweistelligen Bereich.
Staatsanwaltschaft Berlin: „Durchaus komplexe Verfahren“
Aus Sicht der Berliner Staatsanwaltschaft eignen sich die Blockaden nicht für sogenannte beschleunigte Verfahren. „Diese sind für einfache Strafverfahren mit geständigen Tätern gedacht. Hier haben wir es mit durchaus komplexen Verfahren zu tun“, sagte Behördensprecher Martin Steltner am Freitag auf Anfrage.
Bis solche Fälle vor Gericht kommen, kann es dauern. Nach Justizangaben vergehen normalerweise durchschnittlich drei Monate bis es nach der Anklageerhebung zum Prozess kommt. Durch die Corona-Pandemie komme es jedoch zu Verzögerungen. Zudem hätten Verfahren Vorrang, bei denen es um schwerwiegende Vorwürfe gehe und der Beschuldigte etwa in Untersuchungshaft sitze.
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A100-Blockade: Videos von wütenden Autofahrern
Im Internet kursierten erneut Videos von wütenden Autofahrern. Zu sehen ist bei Twitter etwa, wie ein Mann im Morgengrauen aus dem vordersten Auto im Stau steigt, ein paar Meter nach vorne läuft und einen auf der Straße knienden Blockierer heftig umstößt. Viele Twitter-Nutzer kritisieren die Demonstranten heftig und zum Teil mit Beschimpfungen, andere verteidigen sie.
In einem anderen Video ruft ein Autofahrer mehrfach: „Hallo, ich arbeite“. Dann fährt er sehr langsam immer weiter vor, bis er den Rucksack eines Blockierers überfährt und der junge Mann den Weg frei geben muss. Andere Autofahrer hupen und rufen: „Ich muss zur Arbeit, ich habe keine Zeit für euch, geht ihr bitte weg.“
Bundesumweltministerin Lemke stellt klar: „Autobahnblockaden falsch“

Foto: dpa
Bundesumweltministerin Steffi Lemke distanzierte sich erstmals eindeutig von den Straßenblockaden der Klimainitiative „Letzte Generation“. „Um es klar zu sagen: Ich halte diese Autobahn-Blockaden für falsch“, sagte die Grünen-Politikerin der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft. Zuvor hatte Lemke Verständnis für zivilen Ungehorsam geäußert und dafür heftige Kritik eingesteckt.
Darüber zeigte sich die Umweltministerin verwundert. Sie sei am Mittwoch gefragt worden, ob sich Klimaproteste radikalisieren müssten, um Druck auf die Politik entfalten zu können. „Geantwortet habe ich, dass es legitim sei, für seine Anliegen zu demonstrieren – und bestimmte Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen“, sagte Lemke. Zugleich habe sie betont, dass bei keiner Protestbewegung Menschen zu Schaden kommen dürften. „Dieser Teil meiner Antwort wurde dann aber leider oft weggelassen.“ Es gebe darüber keinen Koalitionskrach.
Die anhaltenden Straßenblockaden der Aktivisten, die für mehr Klimaschutz und weniger Lebensmittelverschwendung eintreten, waren zuletzt auch im Berliner Abgeordnetenhaus auf massive Kritik gestoßen. Bei einer Debatte am Donnerstag wiesen Redner mehrerer Parteien darauf hin, dass es sich bei den Aktionen um Straftaten handelt, mit denen die Aktivisten sich und andere gefährdeten. Sie seien vom Recht auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Linke und Grüne wollten die Aktionen hingegen nicht pauschal verurteilen, ziviler Ungehorsam könne ein legitimes Mittel sein.
Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kündigte eine neue Linie der Polizei gegen die Blockaden an. „Wir müssen damit rechnen, dass es zu weiteren vergleichbaren Protesten kommen wird“, sagte sie im Parlament. „Die Polizei erweitert daher deutlich ihre Taktik, um Aktionen rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern, zum Beispiel durch gezielte Gefährderansprachen.“ Darüber hinaus prüfe die Polizei die mögliche Übernahme von Einsatzkosten durch die Blockierer.
Die Aktivisten teilten am Freitagmorgen dazu mit: „Die Gesetze können geändert, die Strafen verschärft, unsere Ersparnisse geplündert und wir ins Gefängnis gesteckt werden. Doch wer auf den Boten schießt, kann die Botschaft nicht zerstören: Unser Land ist der größten Gefahr ausgesetzt, die es je gab, und unsere Regierung lässt uns im Stich.“
Der Berliner Linke-Abgeordnete Ferat Kocak twitterte am Freitag: „Protest muss manchmal provokant sein, manchmal muss er den sogenannten Normalbetrieb stören, denn sonst bleibt er letztlich unbeachtet und wirkungslos.“
Der Innenpolitik-Sprecher der Grünen, Vasili Franco, schrieb: „Übrigens: Das wirksamste Mittel im Umgang mit Klimaprotesten ist echter Klimaschutz.“ Am Montag befasst sich auch der Berliner Aussschuss für Verfassungsschutz auf Antrag der FDP mit den Blockierern.
Aktivisten wollen A100-Blockaden erst nach Zusage der Regierung stoppen
Am Mittwoch hatten die Aktivisten angekündigt, weiter täglich die A100 sowie Autobahnen in anderen Städten immer wieder zu blockieren. Das kündigte Carla Hinrichs, Sprecherin der Initiative an. „Sie können davon ausgehen, dass wir auch morgen wieder auf die Straße gehen werden.“
Lea Bonasera, eine der Aktivistinnen, sagte: „Wir lassen uns nicht davon abhalten, dass sie uns einsperren. Wir werden weiter die Autobahn zum Ort des Widerstands machen.“ Angesprochen auf die Methoden und Mittel, rechtfertigte Hinrichs ihre Aktionen mit einer Notsituation. „Eine Notlage rechtfertigt auch Gesetzesverstöße. Und wir sind in einer Notsituation.“
Einen Stopp der Aktionen kündigte Lea Bonasera für den Fall an, „dass wir eine Zusage der Regierung haben, wann wir das Essen-retten-Gesetz erwarten können. Dann sind wir auch bereit, die Blockaden zu unterbrechen.“ Gelegenheit dafür sei zum Beispiel, wenn der Bundestag in der kommenden Woche tage.