Am Mittwoch treffen Joe Biden und Russlands Staatschef Wladimir Putin erstmals seit Amtseinführung des US-Präsidenten aufeinander. Im Vorfeld zeigt dieser klare Kante und macht deutlich, unter welchen Bedingungen er kooperieren will. Auch der Zustand von Kreml-Kritiker Alexej Nawalny könnte dabei eine Rolle spielen.
US-Präsident Joe Biden will seinem russischen Kollegen Wladimir Putin bei einem Treffen in Genf rote Linien aufzeigen. „Ich werde Präsident Putin zu verstehen geben, dass es Bereiche gibt, in denen wir zusammenarbeiten können, wenn er sich dafür entscheidet“, sagte Biden nach dem Nato-Gipfel in Brüssel bei einer Pressekonferenz. „Und in den Bereichen, in denen wir nicht übereinstimmen, klarmachen, was die roten Linien sind.“
Zum Abschluss seiner ersten Europareise trifft Biden am Mittwoch Putin. „Ich suche keinen Konflikt mit Russland“, sagte Biden weiter. „Aber wir werden antworten, wenn Russland seine schädlichen Aktivitäten fortsetzt.“ Er verwies gleichzeitig darauf, dass die Nato-Alliierten „die Souveränität und territoriale Integrität“ der Ukraine weiter unterstützen würden.
Über seinen Gesprächspartner aus Moskau sagte Biden: „Er ist klug. Er ist zäh. Und ich habe festgestellt, dass er ein, wie man beim Ballspielen sagt, würdiger Gegner ist.“ Auf die Frage einer Reporterin, was es für die Beziehungen zwischen Russland und die USA bedeuten würde, sollte der inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny sterben, sagte Biden: „Nawalnys Tod wäre ein weiterer Hinweis, dass Russland wenig oder keine Absicht hat, sich an grundlegende Menschenrechte zu halten. Es wäre eine Tragödie.“
Nawalnys Tod würde den Beziehungen Russlands mit der Welt schaden – auch Moskaus Beziehungen mit ihm persönlich, sagte Biden. Nawalny ist seit Monaten in einem Straflager östlich von Moskau inhaftiert. Die russische Justiz wirft dem 45-Jährigen vor, gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen zu haben, während er sich in Deutschland von einem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok erholte.
Merkel spricht von Neuanfang
Nach schwierigen Jahren schließt die Nato wieder die Reihen und nimmt neben Russland erstmals auch China als strategischen Rivalen ins Visier. Bei ihrem Gipfel äußerten die 30 Mitgliedsstaaten am Montag unter anderem Sorge über Chinas schnelle atomare Aufrüstung, aber auch über koordinierte politische Aktionen Moskaus und Pekings. Wichtig sei deshalb eine enge politische Abstimmung, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie unterstützte das geplante neue Nato-Strategiekonzept.
Den Gipfel nannte sie einen Neuanfang. Denn anders als sein Vorgänger Donald Trump bekannte sich der neue US-Präsident Joe Biden in Brüssel ausdrücklich zur Allianz und zur Beistandspflicht der USA für Europa. Das sei für die USA eine „heilige Pflicht“, sagte Biden in Brüssel. „Ich will ganz Europa wissen lassen, dass die Vereinigten Staaten da sind.“ Damit soll der teils bittere Streit der Trump-Jahre der Vergangenheit angehören.
Doch steckt die Nato mitten in einer Reformdebatte, um die von ihr gesehenen neuen Herausforderungen zu meistern. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach nach dem Gipfel von einem „neuen Kapitel“ für das Bündnis. Die Allianz stehe geschlossen gegen Bedrohungen durch autoritäre Systeme wie in Russland und China und wolle gemeinsam „ihre Werte und Interessen verteidigen“. Das gelte besonders in einer Zeit, „in der autoritäre Regime wie Russland und China die auf Regeln basierende internationale Ordnung herausfordern“.
Biden warnte nach dem Gipfel: „Russland und China versuchen beide, einen Keil in unsere transatlantische Solidarität zu treiben.“ Er unterstrich aber auch: „Die Nato steht zusammen.“ Die Staats- und Regierungschefs der Nato hätten ihm gedankt, dass er sich jetzt mit Putin treffe. Er habe mit ihnen darüber beraten, welche Themen bei dem Gipfel mit dem Kremlchef angesprochen werden sollten. Bundeskanzlerin Merkel machte deutlich, dass ihre Hauptsorge Russland gilt, zumal Moskau die Nato nicht als Partner, sondern als Gegner sehe.
China: Rivale und Partner
Mögliche Bedrohungen durch China solle man nicht negieren, aber auch nicht überbewerten, sagte die CDU-Politikerin. „Also: Wir müssen da die richtige Balance finden.“ Sie fügte hinzu: „China ist Rivale in vielen Fragen. Und China ist gleichzeitig auch Partner für viele Fragen.“ Bei China wie auch bei Russland sei neben Abschreckung auch Gesprächsbereitschaft wichtig.
Merkel lobte die geplante Überarbeitung des Nato-Strategiekonzepts. „Ich unterstütze die Absicht, dass ein neues strategisches Konzept erarbeitet wird, das dann die Herausforderungen noch einmal klar beschreibt und die Reaktionen der Nato“, sagte die Kanzlerin schon vor dem Gipfel. Im bisherigen Strategiekonzept von 2010 wird China in keinem Wort erwähnt. Das neue soll 2022 fertig sein. Vor dem Nato-Gipfel 2019 hatte der französische Präsident Emmanuel Macron der Nato den „Hirntod“ bescheinigt. Das war einer der Anlässe für die Reformdebatte und das daraus resultierende Konzept Nato 2030.
Stoltenberg will unter anderem, dass das Bündnis mehr Fähigkeiten gemeinsam finanziert und sich technologisch modernisiert. Dazu wurden nach Worten Stoltenbergs beim Gipfel erste Weichen gestellt. Macron sprach nach dem Gipfel von einem Moment strategischer Klärung und von einer wichtigen Etappe, die man sich Ende 2019 gewünscht habe.
Auch in Bezug auf China, das als Rivale nun im Kreise der Nato in den Blick genommen werden soll, warnte Macron, man solle sich nicht vom Kern der Arbeit und den zahlreichen Herausforderungen des Bündnisses ablenken lassen. Er verwies darauf, dass die Nato ein Militärbündnis sei, die Beziehung zu China aber weitaus weiter gefasst sei und dass das Land wenig mit dem Nordatlantik zu tun habe. Neben Russland und China waren der laufende Nato-Abzug aus Afghanistan sowie Cyberattacken, Desinformation und mögliche Konflikte im Weltraum Thema beim Gipfel.
Merkel warb nach eigenen Worten für eine Aufarbeitung des nach fast 20 Jahren zu Ende gehenden Militäreinsatzes in Afghanistan. Man müsse darüber sprechen, was gelungen sei und was nicht, sagte die Kanzlerin. Das sei man auch den Soldaten schuldig, die in Afghanistan ihr Leben verloren haben.
Quelle: ntv.de, hek/AFP/dpa