„Deutsche Wohnen & Co enteignen“ legt Gesetz vor

Berliner Enteignungs-Initiative will „Großgrundbesitz“ neu verteilen

10.05.2021
Lesedauer: 5 Minuten
Eine Demonstration gegen steigende Mieten in Berlin im Sommer 2020.FOTO: IMAGO IMAGES/IPON

Ein Volksbegehren soll die „Privatnützigkeit des Eigentums“ in Berlin beenden. Nun liegt ein Gesetzentwurf zur „Vergesellschaftung“ von 240.000 Wohnungen vor.

„Gemeingut Wohnen“ soll die Anstalt öffentlichen Rechts heißen, in die künftig die Wohnungen großer Immobilienkonzerne in Berlin überführt werden könnten. Jedenfalls dann, wenn es nach der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ geht. So steht es in einem Gesetzentwurf, den die Initiative am Montag vorgelegt hat.

Wohnungseigentümern, die am Stichtag 26. September 2021 einen Bestand von 3000 Wohnungen oder mehr haben, will die Initiative damit das Eigentum entziehen. Nach ihrem Wunsch sollen die Wohnungen durch Übertragung an die Anstalt „vergesellschaftet“ werden. „Die Privatnützigkeit des Eigentums wird hiermit beendet“, sagte Sebastian Schneider, der an dem Entwurf maßgeblich mitwirkte. Juristin Agnes Schober sagte, es gehe darum, „Großgrundbesitz neu zu verteilen“.

Der nun vorliegende Gesetzentwurf macht deutlich, wie weit der Eingriff gehen soll: Sogar unbebaute Grundstücke zählen mit und ebenso Wohnungen, die lediglich im Miteigentum stehen, also mehrere Eigentümer haben. Sind Gesellschaften miteinander verflochten, so zählt alles oberhalb von 20 Prozent der Stimmrechte. Alle drei Jahre soll die Vergesellschaftung wiederholt werden.

Sollten Entschädigungen fällig werden, will die Initiative Schuldverschreibungen erteilen, die in vierzig gleichen Jahresraten getilgt werden sollen. Insgesamt liegt die vorgesehene Entschädigung weit unter Marktwert, auch unter Verkehrswert. Der Vorsitzende des Berliner Mietervereins, Rainer Tietzsch, sagte zu dem Entwurf, er sei „positiv angetan“. Auch das Modell der Entschädigung hält er für „gut vertretbar“.

Maßstab der Entschädigungshöhe ist die „leistbare Miete“, die man auf 4,04 Euro pro Quadratmeter berechnet habe, sagte Sebastian Schneider von „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ bei der Vorstellung des Entwurfs am Montag. Das sei eine Miete, die sich armutsgefährdete Haushalte gerade noch leisten könnten. Mit anderen Worten: Wären Berlins Arme reicher, so bekäme die Deutsche Wohnen eine höhere Entschädigung. Auch Mieter mit mehr Geld sollen künftig nur 4,04 Euro netto kalt zahlen.

Betroffen vom Volksentscheid sind 240.000 Wohnungen

Das Gesetz soll Gegenstand eines Volksentscheids sein. Betroffen sind rund 240.000 Wohnungen. Noch befindet man sich aber in der Vorstufe, dem Volksbegehren. Dieses kommt voran. Einen Rückschlag mussten die Initiatoren jedoch hinnehmen: Die Unterschriften von Unterstützern ohne deutsche Staatsbürgerschaft wurden von der Landeswahlleiterin herausgerechnet, da nur Deutsche teilnehmen dürfen.

So sank die Zahl der gültigen Stimmen von 130.000, die bis zum 26. April abgegeben wurden, um geschätzt rund ein Viertel. Der genaue Wert ist noch unbekannt. Die Bezirkswahlämter haben bis Ende April knapp 51.000 Unterschriften geprüft, davon waren knapp 13.000 ungültig, also etwa jede vierte, mehr als die Hälfte davon wegen fehlender Staatsangehörigkeit. Geprüft wurde auch, ob Geburtsdatum und Adresse stimmen und ob die Angaben vollständig sind.

Ein Graffiti gegen hohe Mieten und für Enteignungen in Berlin.
Ein Graffiti gegen hohe Mieten und für Enteignungen in Berlin.FOTO: JOHN MACDOUGALL/AFP

Insgesamt werden bis zum 25. Juni 175.000 gültige Unterschriften benötigt, nämlich von mindestens sieben Prozent der zum Abgeordnetenhaus Wahlberechtigten. Gelingt das, so muss nach Artikel 63 der Berliner Verfassung binnen vier Monaten ein Volksentscheid herbeigeführt werden. Das könnte dann mit der Bundestags- und der Abgeordnetenhauswahl am 26. September erledigt werden.

Artikel 15 des Grundgesetzes wurde noch nie angewendet

Eine Entziehung von Eigentum wie von den Initiatoren erhofft, hat es so noch nie gegeben. Das Grundgesetz sieht die „Vergesellschaftung von Eigentum“ zwar in seinem Artikel 15 vor, dieser Artikel existierte aber bisher unbenutzt vor sich hin. Die FDP hat sich mehrfach um seine Abschaffung bemüht, aber nicht die nötige Zweidrittelmehrheit zustande bekommen.

In dem aktuellen Verfahren sind daher alle wesentlichen Fragen unklar oder umstritten. Es gibt keinen Präzedenzfall und kein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, an das man sich halten könnte. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in einem Gutachten von 2019 auch zu keinem eindeutigen Ergebnis – noch nicht mal hinsichtlich der Frage, ob bei der Vergesellschaftung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden muss, der im Staatsrecht grundsätzlich immer gilt.

Das Wort „Enteignung“ fällt nicht, auch nicht in Artikel 15 des Grundgesetzes, auf den sich die Initiative stützt. Im Ergebnis wäre es aber eine, denn alle privaten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen sollen das Eigentum verlieren. Ob und in welcher Höhe sie entschädigt werden müssten, ist rechtlich unklar, ebenso wie die Kosten.

Entschädigungen auf 7 bis 40 Milliarden Euro geschätzt

Der Träger des Volksbegehrens schätzte im Vorfeld die Entschädigungssumme auf 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro, wie auf der Internetseite der Landeswahlleiterin nachzulesen ist. Die Schätzung geht davon aus, dass die Summe allein aus den Mieteinnahmen bezahlt werden kann und man die Mieten dabei noch senken könnte. Die amtliche Kostenschätzung geht hingegen von Gesamtkosten von fast 40 Milliarden Euro aus, für die Kredite aufgenommen werden müssten.

Bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs hieß es dann, die Kosten der Entschädigungen würden den Landeshaushalt gar nicht tangieren. Die „Entschädigungsbonds“ könnten von den Wohnungsunternehmen am Kapitalmarkt in Geld getauscht werden.

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Wollte man den Wohnungsunternehmen wirklich das Eigentum entziehen, so wäre dies ein nie dagewesener Eingriff auch in das Grundrecht aus Artikel 14, den Schutz des Eigentums. Hierbei könnte Artikel 19 Absatz 2 Grundgesetz zum Tragen kommen: „In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden“.

Scheitert das Vorhaben schon an der Berliner Verfassung?

Eine Vergesellschaftung wie im Grundgesetz sieht die Berliner Verfassung nicht vor – darauf weist der Rechtsanwalt Benedikt Wolfers, dessen Kanzlei auch schon das Unternehmen Deutsche Wohnen vertreten hat, in einem aktuellen Gastbeitrag für den Tagesspiegel hin. Auch der Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“, den Artikel 31 des Grundgesetzes festschreibt, stehe dem nicht entgegen. Das Grundgesetz definiere den Mindeststandard; wenn einzelne Landesverfassungen einen höheren Grundrechtsschutz böten, so sei das gültig. In Berlin sei das der Fall.

Artikel 28 der Verfassung von Berlin sieht übrigens Folgendes vor: „Das Land fördert die Bildung von Wohneigentum.“ Und damit ist nicht Landeseigentum gemeint.

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