Die galoppierende Inflation drückt die Kaufkraft der US-Bürger. Der Krieg in der Ukraine treibt die Preise noch weiter nach oben. Setzt sich der Trend fort, könnte das US-Präsident Biden und den Demokraten zum politischen Verhängnis werden.
Eine Inflation von 7,9 Prozent im Februar, die höchste seit 40 Jahren – und wohl nur ein Vorbote noch höherer Preise. Der Ukraine-Krieg macht sich in den Vereinigten Staaten bemerkbar, unter anderem an den Tanksäulen des Landes. Am Montag lag der durchschnittliche Benzinpreis um 47,6 Prozent höher als vor einem Jahr. Und die Inflation wird Analysten zufolge vor allem von höheren Energiepreisen verursacht, in der bislang ausgewiesenen Teuerungsrate ist der jüngste Energiepreisschock also nur zum Teil enthalten. Die Lohnsteigerungen in den USA fangen die Geldentwertung nicht auf. Sie sind zu gering, kommen zu spät oder an mancher Stelle gar nicht.
Viele Menschen kämpfen daher mit ihrem Alltag. Im Westen der USA haben die Preise pro Gallone die 5-Dollar-Marke überschritten. Drei Viertel der Menschen sagen, sie müssten wegen der Mehrkosten ihr tägliches Leben umgestalten, also an anderer Stelle sparen. US-Präsident Joe Biden ahnte, dass dies geschehen würde. Er warnte öffentlich, dass „Freiheit und Demokratie niemals gratis“ seien. Besser macht dies die Lage nicht. So bedroht der Krieg auch Bidens Präsidentschaft und die Aussichten der Demokraten bei den Kongresswahlen im Herbst. Die waren ohnehin schon düster. Zudem verliert die regierende Partei bei den ersten Kongresswahlen einer neuen Präsidentschaft üblicherweise ohnehin Sitze in beiden Kammern.
Während der US-Präsident wegen des Krieges nach Europa reist, werden politische Erzfeinde auf der einen und Verbündete auf der anderen Seite in Washington ihre Interessen durchsetzen. Hohe Energiepreise betreffen schließlich jeden, plagen Bürger und Unternehmen. Benzinpreise sind unmittelbar: Sie erzeugen Pessimismus, hinterlassen beim Füllen des Tanks auf einen Schlag ein größeres Loch im Portemonnaie und verändern Einnahmen-Ausgaben-Kalkulationen aller Unternehmen. Weil die Menschen an anderer Stelle sparen, schwächen die Preise direkt das Wirtschaftswachstum. Und sowohl der Zustand der Wirtschaft als auch die persönliche Situation entscheiden Wahlen.
Preistreiberei und Putin
Als Öl zwischenzeitlich günstiger wurde, Benzin aber nicht, zeigten Biden und andere Demokraten unter anderem auf die Ölkonzerne und warfen ihnen Preistreiberei vor. Der Unmut des Weißen Hauses und progressiver Demokraten wird genährt von Nachrichten aus der US-Energieindustrie, die im vergangenen Jahr immense Profite einfuhr; Chevron und Exxon beispielsweise die höchsten seit 2014. Die beiden gehören zu den sieben großen Konzernen, die hohe Ölpreise ausnutzen und laut Analysten in diesem Jahr insgesamt Anteile im Wert von 38 Milliarden Dollar zurückkaufen wollen.
Der meisten US-Amerikaner sehen die Inflation als größtes Problem. Schon vor dem Importstopp russischen Öls war der Benzinpreis hoch und die Inflation ebenfalls. Die Nachfrage ist wegen weggefallener Pandemie-Einschränkungen gestiegen. Der Krieg gibt den Preisen noch einen weiteren Schub. In Osteuropa macht Biden auch den zweiten Verursacher aus. Es sei „Putins Preisanstieg“, sagte der US-Präsident nach Kriegsausbruch.
Der progressive Flügel der Demokraten drängt ohnehin zum Umbau zu einer grüneren Wirtschaft mit erneuerbaren Energien. Mehr als 200 Organisationen forderten von Biden angesichts der Lage den „Defense Production Act“, mit dem die US-Regierung Unternehmen zwingen könnte, Solarzellen, Windturbinen und andere entsprechende Maschinen zu produzieren. Sie greifen damit nach einem dünnen Strohhalm, der juristisch womöglich nicht haltbar wäre. Das Gesetzespaket „Build Back Better“, das die Basis für einen nachhaltigen Umbau legen sollte, war im Senat zerfleddert worden. Am Ende scheiterte er am demokratischen Senator Joe Manchin. Der erhält so viel Geld aus der fossilen Energiewirtschaft wie kein anderer im Kongress.
Vorfühlen in Caracas
Die oppositionellen Republikaner nehmen Inflation und Benzinpreis wie ein Wahlkampfgeschenk an. „Niemand kauft den Demokraten ihr Bemühen ab, die Schuld für 14 Monate falscher Politik auf drei Wochen Krise in Europa zu schieben“, twitterte Mitch McConnell, republikanischer Minderheitsführer im Senat. „Das Weiße Haus muss aufhören, seine Fehler zu leugnen, und sie korrigieren.“ Manche Republikaner kritisieren Bidens „Schwäche“, andere sehen die Informationstransparenz des Weißen Hauses vor der Invasion am 24. Februar als Grund dafür, dass sich Putin traute, den Angriff aufs Nachbarland zu befehlen. Schließlich hatten die USA ausgeschlossen, sich aus Angst vor einem Weltkrieg mit eigenen Streitkräften einzumischen.
Im Jahr 2020 kamen fast 7 Prozent aller US-Ölimporte aus Russland, mehr als vom strategischen Partner Saudi-Arabien. Aus Russland wurden vor allem Ölsorten eingeführt, die Raffinerien zuvor aus dem seit 2019 vom Weltmarkt isolierten Venezuela erhalten hatten. Eine US-Delegation reiste bereits nach Caracas, um mit dem Autokraten Nicolás Maduro zu sprechen. Es ist unklar, wie viel die marode Ölwirtschaft Venezuelas kurzfristig überhaupt liefern könnte. Washingtons Vertreter dürften Bedingungen gestellt haben, etwa freie Präsidentschaftswahlen. Gegen Maduro, seinen Machtzirkel und die Ölwirtschaft des Landes gelten wegen Menschenrechtsverletzungen strikte Sanktionen, zudem ist Caracas ein Verbündeter Moskaus. Nicht zu unterschätzen sind die Glaubwürdigkeitsprobleme, die ein solcher Kuhhandel mit sich bringen könnte.
Trotz der Kritik von mehreren Seiten wird Bidens Kurs laut unterschiedlichen Umfragen von den Wählern eher gestützt. So sind mindestens 63 Prozent der US-Amerikaner für die Sanktionen gegen Russland, auch wenn dies zu höheren Benzinpreisen führt. Etwa die Hälfte spricht sich für eine härtere Gangart des Weißen Hauses aus, etwa noch drastischere Strafmaßnahmen – eine Möglichkeit wäre ein komplettes Handelsembargo – sowie eine weitere Unterstützung Kiews im Krieg. Nur rund ein Drittel der US-Amerikaner sah Biden in der vergangenen Woche als verantwortlich für mögliche weitere Benzinpreiserhöhungen. Sie sind auch derzeit genauso zufrieden mit Bidens Präsidentschaft wie zu Beginn der russischen Invasion. Zugleich sind aber nur 30 Prozent der Menschen damit einverstanden, wie Biden das Inflationsproblem insgesamt angeht. Dies kann sich selbstredend bis November auch wieder ändern.
Unsichere Auswege
Die Republikaner propagieren als Lösung gegen die Inflation die Energieunabhängigkeit der Vereinigten Staaten auf Basis fossiler Träger, sie wollen mehr Bohrungen auf US-Territorium ermöglichen. Ob das den Konzernen nützen würde, ist jedoch fraglich. Steigt das Angebot, fällt der Preis. Solche neuen Projekte brauchen zudem viel Zeit, es hilft kurzfristig keinem Geldbeutel. Häufig ist auch die rechtliche Lage nicht klar, umso mehr wegen der Klimakrise. Bidens Regierung hatte im vergangenen Jahr aufgrund von geerbten Verpflichtungen aus der Trump-Präsidentschaft umfassende Förderrechte für Öl und Gas im Golf von Mexiko versteigern müssen. Doch ein Gericht untersagte den Verkauf der 6880 Quadratkilometer. Der Einfluss auf den Klimawandel sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Der Branchenverband American Petroleum Institute hat Einspruch eingelegt, eine endgültige Entscheidung steht aus.
Eine Ölkrise wie in den 1970er Jahren, als die OPEC die Fördermenge senkte und es praktisch keine Alternativen gab, ist die derzeitige Situation nicht. Aber Biden, der sich gerne als Verteidiger des Arbeiters und von dessen Geldbeutel präsentiert und der bislang weder die versprochenen Sozialreformen noch sein Klimapaket durchgesetzt hat, muss sich mehr gegen die Inflation einfallen lassen. Dessen Präsidentschaft bezeichnete der Politikwissenschaftler Larry Jacobs im „Guardian“ wegen all der Probleme zuletzt schon als „verflucht“. Doch darauf werden sich Biden und seine Parteikollegen schlecht berufen können, wenn sie den Lebensstandard der Wähler nicht absichern können.
Quelle: ntv.de