Polen

Bei der Hilfe für Flüchtlinge gibt es eine klare Priorisierung

03.03.2022
Lesedauer: 4 Minuten
Schon in der ersten Woche seien 800.000 Menschen aus der Ukraine geflüchtet, so der Migrationsforscher Gerald Knaus. Mit dieser Anzahl wäre jedes europäische Land überfordert, wenn man es alleine ließe. Es sei aber eine beispiellose Solidarität zu beobachten, für die es mehrere Gründe gebe. Quelle: WELT

Hooligans sollen an einem polnischen Grenzbahnhof Geflüchtete aus der Ukraine attackiert haben. Dort trafen zuletzt viele Menschen mit afrikanischen und arabischen Wurzeln ein. Die Hilfe für sie ist begrenzt. Der Umgang mit ihnen ist anders.

Dienstagabend verbreiteten sich in sozialen Netzwerken Videoschnipsel aus dem polnischen Przemysl, zwölf Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt: Eine Gruppe schwarz gekleideter Männer, teils vermummt, zieht durch die Stadt. Es soll sich um polnische Hooligans handeln. Laut Augenzeugen attackierten sie in Seitenstraßen und vor dem Bahnhof kurz zuvor Geflüchtete. Im Visier: Menschen mit afrikanischen Wurzeln und aus anderen Ländern.

„Die Männer riefen: ‚Verschwindet wieder in die Ukraine!‘“, sagt die Augenzeugin Lina Wijan wenige Stunden nach dem Vorfall im Gespräch mit WELT.

Die Gruppe soll einen Afrikaner bedrängt haben, so erzählt die 30-jährige Sudanesin es, als sie wie Hunderte weitere Geflüchtete um Mitternacht am Bahnhof in Przemysl auf dem Boden kauert. Zehntausende aus Kiew, Lwiw und anderen Städten kamen hier in den vergangenen Tagen an. Wijan sagt, der Vorfall habe ihr Angst gemacht, denn bislang sei es hier friedlich gewesen. Auf Videos ist zu sehen, wie Polizisten die Vermummten später durch die Stadt verfolgen.

Die Sudanesin Lina Wijan in der Nacht auf Mittwoch im Bahnhof Przemsyl, nahe der polnisch-ukrainischen Grenze
Die Sudanesin Lina Wijan in der Nacht auf Mittwoch im Bahnhof Przemsyl, nahe der polnisch-ukrainischen GrenzeQuelle: Ibrahim Naber

Auf Nachfrage zum Vorfall winken zwei Polizisten am Bahnhof ab. „Kein Kommentar.“ Ein Dritter blickt kurz auf die Videoschnipsel und sagt: „Propaganda.“ Ein medizinischer Helfer in roter Warnweste bestätigt Übergriffe durch Hooligans. Er sagt, es soll zuvor Geflüchtete gegeben haben, die in der Stadt stahlen und Frauen belästigten. Belege dafür kann er nicht nennen. „Wissen Sie, die Polen dachten, es kämen nur Ukrainerinnen und Ukrainer“, sagt der Helfer, „aber jetzt sind hier plötzlich Menschen aus der ganzen Welt.“

Die Stimmung an der polnisch-ukrainischen Grenze hat sich in den vergangenen Tagen verändert. Immer mehr Züge rollen an den Gleisen ein. Bis zu 15.000 Menschen waren es am Dienstag, etwa dreimal so viel wie noch am Wochenende. Kamen zu Beginn fast ausschließlich ukrainische Mütter und ihre Kinder an, stießen später Tausende junge Männer und Frauen mit anderen Wurzeln hinzu. Afrikaner, Araber, Inder tummeln sich in den überfüllten Bahnhofshallen. Einige von ihnen haben in der Ukraine studiert.

Auch wenn jeder Angekommene eine Erstversorgung erhält, sortieren Behörden im Vorfeld und bei der weiteren Betreuung aus. Bevorzugt werden ukrainische Staatsangehörige. Das zeigte sich laut übereinstimmenden Medienberichten schon an den ukrainischen Bahnhöfen und Grenzübergängen zur Europäischen Union.

Nach Kriegsausbruch sollen demnach viele Menschen aus Afrika und anderen Ländern teils mehrere Tage von der Ausreise aus der Ukraine abgehalten worden sein. Manchen sie der Zutritt zu Bahnhöfen verweigert, bei anderen der Pass durch Beamte vorübergehend einbehalten worden. Im Gespräch mit WELT schildern mehrere Betroffene, die es nach Polen geschafft haben, ebenfalls solche Fälle.

Auch in Polen werden Unterschiede deutlich: Am Montagnachmittag machte ein Helfer in der Bahnhofshalle in Przemysl eine laute Ansage an eine Gruppe Geflüchteter: Kostenlose Bahntickets gebe es nur noch für Ukrainerinnen und Ukrainer. Alle anderen müssten diese bezahlen. Ein älterer Mann, der sich als Algerier vorstellte, fragte ihn mit hilflosem Blick: „Ich habe kein Geld, was soll ich machen?“ Der Helfer steckte ihm aus seiner eigenen Geldbörse ein paar Scheine zu. Auf Nachfrage von WELT, warum nur noch Ukrainer Unterstützung erhielten, zuckte der Helfer mit den Schultern: „Vorgabe.“

Und während ukrainische Familien oft direkt vom Bahnhof in Unterkünfte gebracht werden, scheinen andere Staatsbürger – darunter auch Familien – häufig auf sich allein gestellt zu sein.

Wichtig zur Einordnung ist: Dass Frauen und Kinder bei der Einreise zunächst Vortritt erhielten, verstehen und befürworten fast alle Gesprächspartner. Einige Eingereiste mit afrikanischen Wurzeln widersprechen zudem der Darstellungen von Aktivisten, es habe pauschal und grundsätzlich eine Priorisierung nach Hautfarbe gegeben. Ihnen zufolge habe es eher eine Unterscheidung nach Ukrainern und Nicht-Ukrainern gegeben.

Fest steht, dass sich Berichte über Ausgrenzung und Diskriminierung in den vergangenen Tagen häuften. Einer der sagt, er habe viel Feindseligkeit bei seiner Ausreise erlebt, ist Yemi, ein junger Mann aus Nigeria. Im TV-Gespräch mit WELT erzählte er, Ukrainer hätten ihm gesagt, er müsse den Zug verlassen. „Sie haben zuerst ihre Haustiere mitgenommen, bevor wir rein durften.“ Mittlerweile ist Yemi auf dem Weg nach Deutschland.

Quelle: welt.de/politik/ausland/article237264295/Bei-der-Hilfe-fuer-Fluechtlinge-gibt-es-eine-klare-Priorisierung.html

Das könnte Sie auch interessieren

Größte Zeitung Italiens warnt
30.09.2024
„Er ist schlimmer als Diddy“
27.09.2024

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

neun − drei =

Weitere Artikel aus der gleichen Rubrik

„Haben den Iran eindringlich gewarnt“:
01.10.2024

Neueste Kommentare

Trends

Alle Kategorien

Kategorien