Außenministerin Annalena Baerbock ist in China angekommen – es dürfte eine der heikelsten Reisen ihrer bisherigen Amtszeit werden. Vorab wies die Grünen-Politikerin auf die „Risiken einseitiger Abhängigkeiten“ hin. Oberste Priorität räumt sie auch dem Ukraine-Krieg ein.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist am Donnerstag in der Hafenstadt Tianjin zu ihrem mit Spannung erwarteten Antrittsbesuch in China eingetroffen. In der Stadt südöstlich der Hauptstadt Peking wollte die Grünen-Politikerin unter anderem den Unterricht an einer Pasch-Partnerschule besuchen und ein deutsches Unternehmen besichtigen, das Windturbinen produziert. Die zentralen politischen Gespräche sind am Freitag in Peking geplant. Angesichts der Rückendeckung Chinas für den Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Ukraine und der Lage um Taiwan dürfte der Besuch eine der diplomatisch schwierigsten Missionen in Baerbocks bisheriger Amtszeit werden. Die militärischen Muskelspiele Chinas, die der Einschüchterung Taiwans und Warnung vor Unabhängigkeitsbestrebungen dienen, überschatten den Baerbock-Besuch.
China hatte zuletzt mit verstärkten Einsätzen seiner Kriegsschiffe und Flugzeuge in der Nähe Taiwans den militärischen Druck auf die demokratische Inselrepublik aufrechterhalten. Auch nach dem Ende dreitägiger Großmanöver am Montag seien innerhalb eines Tages bis Donnerstagmorgen wieder 26 Flugzeuge und sieben Marineschiffe entdeckt worden, berichtete das Verteidigungsministerium in Taipeh. 14 der Flugzeuge hätten die früher noch respektierte, nicht offizielle Mittellinie in der Meerenge der Taiwanstraße überquert und seien in Taiwans Luftüberwachungszone (ADIZ) eingedrungen.
Baerbock will bei China-Besuch „gemeinsame europäische Überzeugung“ unterstreichen
Vor ihrem Besuch hatte Baerbock betont, Chancen für eine künftige Zusammenarbeit auszuloten und Gefahren einseitiger Abhängigkeit abzubauen. An einer „wirtschaftlichen Entkopplung“ habe Deutschland zwar kein Interesse, „aber wir müssen die Risiken einseitiger Abhängigkeiten systematischer in den Blick nehmen und abbauen“, teilte die Grünen-Politikerin am Mittwochabend vor ihrem Abflug nach Peking mit. „Dies gilt gerade mit Blick auf das Horrorszenario einer militärischen Eskalation in der Taiwanstraße, durch die täglich 50 Prozent des Welthandels fließen.“
Sie werde bei ihrem Besuch „die gemeinsame europäische Überzeugung“ unterstreichen, dass eine einseitige Veränderung des Status Quo in der Taiwanstraße und eine militärische Eskalation inakzeptabel wären. Baerbock erklärte weiter, für Deutschland hänge „viel davon ab, ob es uns gelingt, unser zukünftiges Verhältnis mit China richtig auszutarieren“.
Seit der politischen Spaltung zwischen Festlandchina und Taiwan im Jahr 1949 betrachtet Peking die Insel als abtrünniges Gebiet, das es wieder mit dem Festland vereinigen will – notfalls mit militärischer Gewalt. Baerbocks Bemerkung kann auch als Anspielung auf eine umstrittene Äußerung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gewertet werden, die teilweise so interpretiert wurden, als ob die EU bei einem Angriff Chinas auf Taiwan neutral bleiben könnte.
Macron hatte vor wenigen Tagen nach einem Staatsbesuch in China davor gewarnt, dass Europa in der Taiwan-Frage ein „Mitläufer“ werde. „Das Schlimmste wäre es, zu denken, dass wir Europäer Mitläufer seien und uns dem amerikanischen Rhythmus und einer chinesischen Überreaktion anpassen müssten“, sagte der Staatschef in einem Interview mit der WELT-Partnerpublikation POLITICO und zwei französischen Journalisten der Zeitung „Les Échos“.
Macrons Äußerungen hatten scharfe Kritik in westlichen Staaten ausgelöst. Chinesische Staatsmedien lobten dagegen den französischen Präsidenten. Am Mittwoch betonte Macron erneut die Unabhängigkeit Frankreichs. „Ein Verbündeter zu sein heißt nicht, ein Vasall zu sein“, sagte Macron in Amsterdam mit Blick auf die USA. Frankreich habe „das Recht, für uns selbst zu denken“.
„Besondere Verantwortung für den Weltfrieden“
Baerbock kündigte derweil an, bei ihrem Besuch in China auch über Menschenrechte und Klimaschutz reden zu wollen. China ist der größte CO₂-Emittent der Welt sowie Marktführer bei erneuerbaren Energien. Das Land sei für die EU gleichzeitig Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale. „In welche Richtung die Nadel künftig ausschlagen wird, liegt auch daran, welchen Weg China wählt“, betonte sie. Sie wolle sich bei ihrem Besuch ein Bild davon machen, welchen Kurs die neue Führung in Peking einschlage – „auch mit Blick auf das Spannungsfeld zwischen politischer Kontrolle und wirtschaftlicher Offenheit“.
Auch angesichts der Rückendeckung Pekings für Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte die Reise für Baerbock eine der diplomatisch schwierigsten Missionen ihrer bisherigen Amtszeit werden. China trage als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine besondere Verantwortung für den Weltfrieden, betonte Baerbock. Welche Rolle China mit seinem Einfluss auf Russland übernehme, „wird für ganz Europa und unsere Beziehung zu China Folgen haben“, sagte sie. Ein „schnellstmögliches, dauerhaftes und gerechtes“ Ende des Krieges stehe in Peking „ganz oben auf meiner Agenda“, fügte Baerbock hinzu.
Die Außenministerin reist am Donnerstag zunächst in die chinesische Hafenstadt Tianjin. In der Stadt südöstlich der Hauptstadt Peking will sie unter anderem den Unterricht an einer Pasch-Partnerschule besuchen und ein deutsches Unternehmen besichtigen, das Windturbinen produziert. Geplant ist auch ein Treffen mit dem chinesischen Außenminister Qin Gang.
Die zentralen politischen Gespräche sind am Freitag in Peking geplant. Baerbock soll dort zudem weitere Regierungsvertreter sowie Repräsentanten deutscher Unternehmen treffen.
Am Samstag wird Baerbock weiter nach Südkorea reisen. Wie zuvor in China handelt es sich um ihren Antrittsbesuch. Den den Angaben zufolge wird Baerbock zunächst die demilitarisierte Zone zwischen Süd- und Nordkorea besuchen und anschließend Gespräche in Seoul führen, unter anderem mit Regierungsvertretern und mit Geflüchteten aus Nordkorea. Am Sonntag reist Baerbock dann noch zum G7-Außenministertreffen nach Japan.
China ruft Armee zum verstärkten Training auf
Unterdessen hat der chinesische Staatschef Xi Jinping die Armee zum verstärkten Training für „tatsächliche Kampfhandlungen“ aufgerufen. Die chinesische Volksbefreiungsarmee müsse „resolut territoriale Souveränität und maritime Interessen verteidigen sowie Stabilität an den Außenbereichen bewahren“, sagte Xi vor Marinesoldaten nach einem Bericht des chinesischen Staatsfernsehens CCTV.
Zwischen Samstag und Montag hatte die chinesische Armee in einem Großmanöver die Umzingelung Taiwans und Angriffe auf „Schlüsselziele“ geübt. Auch am Dienstag sichtete Taiwan noch Kriegsschiffe vor seinen Küsten.
Das Manöver war die Antwort auf ein Treffen der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-Wen mit dem Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, das China erzürnt hatte. Tsai war mit dem dritthöchsten Vertreter der Vereinigten Staaten während eines Besuchs in den USA zusammengekommen.
Nach den umstrittenen Äußerungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Konflikt um Taiwan appellierte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen an Baerbock, in China ein Bekenntnis Deutschlands für einen uneingeschränkten europäischen Kurs abzulegen. „Die deutsche Außenministerin muss die Bundesregierung ohne Wenn und Aber in diese europäische Linie einreihen. Wenn daran Zweifel zurückbleiben, würde sie den Schaden, den Macron angerichtet hat, weiter vergrößern“, sagte Röttgen der „Rheinischen Post“ und dem Bonner „General-Anzeiger“ (Donnerstag).
Der Repräsentant Taiwans in Deutschland, Shieh Jhy-Wey, sagte dem „Tagesspiegel“ (Donnerstag): „Gerade vor den jüngsten Äußerungen von Herrn Macron hoffe ich, dass Frau Baerbock, die als Verfechterin freiheitlicher Werte bekannt ist, in Peking Klartext spricht und unterstreicht, dass Deutschland jeden Versuch Chinas ablehnt, die Taiwan-Frage mit Gewalt zu lösen.“ Am Beispiel der Ukraine sehe man, dass nur transatlantische Einigkeit Erfolg habe. „Wenn dieser Schulterschluss auch bei Taiwan gelingt, weiß China, dass es keine Chance hat, uns militärisch zu unterdrücken.“
Die Vizechefin der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Gyde Jensen (FDP), rief Baerbock zu klaren Worten auf. „Annalena Baerbock hat gezeigt, dass sie nicht auf leisen Sohlen daherkommt, um nur ja niemanden zu verschrecken“, sagte Jensen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Donnerstag). „So sollte sie auch in China klar Stellung beziehen, die Einhaltung von Menschenrechten einfordern, aber auch die von völkerrechtlichen Verträgen.“
AFP/Reuters/dpa/dp


