„Falsche“ Ukrainer sollen in Baden-Württemberg Bürgergeld erschlichen haben. Die Masche dahinter ist perfide und hat für viel Wirbel gesorgt. FOCUS online hat nachgefragt, wie der Betrug aufgeflogen ist – und was die Betrüger jetzt erwartet.
Noch immer nimmt die Zahl der Personen, die als Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine kommen, zu. In Baden-Württemberg ist zuletzt aufgefallen, dass einige von ihnen neben der ukrainischen Staatsbürgerschaft noch eine weitere Staatsbürgerschaft eines EU-Landes besitzen, zum Beispiel aus Ungarn oder Rumänien.
Wenn sie sich jedoch ausschließlich als ukrainische Bürger identifizieren, haben sie Anspruch auf Bürgergeld. Vor allem in Baden-Württemberg häufen sich derzeit solche Fälle. Das nährt den Verdacht, dass einige versuchen, sich in Deutschland Bürgergeld zu erschleichen.
Aufgefallen ist die Masche, weil einige dieser vermeintlichen Kriegsflüchtlinge nicht einmal Ukrainisch sprachen. Das berichten verschiedene Landratsämter in der Region.
Auch das Ministerium der Justiz und für Migration in Baden-Württemberg bestätigt dies gegenüber FOCUS online: „Es wurden Personen bei Ausländerbehörden vorstellig, die sich lediglich auf Ungarisch verständigen und erst kürzlich ausgestellte ukrainische Pässe vorlegen konnten“, sagte eine Sprecherin.
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Bürgergeldbetrug: Aus Baden-Württemberg rund 1380 Fälle zur Prüfung gemeldet
Das Ministerium habe daraufhin „unmittelbar reagiert“. Die Ausländerbehörden werden seitdem durch mehrere Hinweisschreiben und die Einrichtung eines Überprüfungsverfahrens unterstützt, erklärte die Ministeriumssprecherin weiter.
Demnach haben die Ausländerbehörden des Landes seit dem 25. Mai 2023 die Möglichkeit, entsprechende Verdachtsfälle zentral über das Regierungspräsidium Karlsruhe an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu melden.
In der Folge werden diese Fälle dann laut der Sprecherin vom BAMF sowohl an die ungarischen als auch an die ukrainischen Behörden zur Überprüfung weitergeleitet. In konkreten Zahlen heißt das: „Bislang wurden aus Baden-Württemberg rund 1380 Fälle zur Überprüfung gemeldet. Rund 500 Rückmeldungen von ukrainischer und ungarischer Seite liegen uns vor. Davon wurde in 58 Fällen die ungarische Staatsangehörigkeit bestätigt.“
„Falsche“ Ukrainer: Für Abzocker kann es jetzt richtig teuer werden
Für jene 58 bestätigten Fälle „falscher“ Ukrainer kann es jetzt teuer werden. Denn der durch Täuschung erreichte und unberechtigte Bezug von Sozialleistungen ist strafbar. Das heißt: Gemäß § 263 StGB sieht das Gesetz für den Grundtatbestand des Sozialbetrugs eine Strafe von bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug oder eine Geldbuße vor. Ersttäter ohne vorherige Straftaten oder Bewährungsauflagen erhalten oft eine Geldstrafe.
In Fällen, die schwerwiegender sind, wie beim Betrug im geschäftlichen Maßstab, der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung, der Verursachung erheblicher finanzieller Schäden oder wenn Beamte involviert sind, kann die Strafe auf bis zu zehn Jahre Gefängnis angehoben werden.
„Ziel ist es, Falschangaben aufzudecken, bevor eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird“
Siegfried Lorek (CDU), Staatssekretär für Migration in Baden-Württemberg, betont jedoch, dass das Ziel sei, durch das – oben beschriebene – Verfahren Falschangaben aufzudecken, möglichst bevor eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. „Deshalb haben wir unsere Ausländerbehörden in Baden-Württemberg bereits mehrfach angeschrieben und hierfür sensibilisiert.“
Das heißt im Falle der „falschen“ Ukrainer: Wird die ungarische oder die rumänische Staatsangehörigkeit nachgewiesen, wird kein vorübergehender Schutz gewährt. „Wenn die Aufenthaltserlaubnis bereits erteilt wurde, wird sie wieder zurückgenommen“, so Lorek gegenüber FOCUS online.
Aufenthaltserlaubnis ist Voraussetzungen für Bezug von Bürgergeld
Klar ist: Eine bestehende Aufenthaltserlaubnis ist eine der Voraussetzungen für den Bezug von Bürgergeld. Und über das Aufenthaltsrecht entscheiden die Ausländerbehörden. Die Jobcenter werden erst aktiv und können Bürgergeld gewähren, wenn das Ausländeramt eine sogenannte Fiktionsbescheinigung, also das Bestehen eines vorläufigen Aufenthaltsrechts, ausstellt, sagt eine Sprecherin des Landratsamtes Biberach gegenüber FOCUS online.
„Mit dem Entzug des Aufenthaltsrechts entfallen die Voraussetzungen für eine Leistungszahlung und es erfolgt eine Rückforderung der Bürgergeldzahlungen und Strafanzeige wird erstattet.“ In Biberach liegen derzeit 8 bis 10 Verdachtsfälle vor, auf die das zutreffen könnte. Auch hier fielen die betreffenden Personen „durch gute ungarische Sprachkenntnisse bei gleichzeitigem Fehlen ukrainischer Sprachkenntnisse auf“, sagte die Sprecherin.
Bei den Fällen handele es sich jedoch nicht um Personen, die zu Unrecht eine doppelte Staatsbürgerschaft haben. „Sie lebten bei Kriegsausbruch in der Ukraine“, erklärt die Sprecherin weiter. Doppelte Staatsbürgerschaften seien in diesen Grenzgebieten nicht unüblich.
„Bis auf einen Fall, bei dem ein Entzug des Aufenthaltsrecht bereits eingeleitet wurde, sind alle weiteren Fälle momentan noch Verdachtsfälle“, betont sie. Die Frage eines Missbrauchs sei noch nicht geklärt.
„Alle Mitarbeitenden wurden intern für dieses Thema sensibilisiert“
Aus dem Landkreis Sigmaringen teilt ein Sprecher auf Anfrage von FOCUS online mit: „In konkreten Fällen ist bei der Antragstellung aufgefallen, dass die betroffenen Personen nicht in der Lage sind, mit dem ukrainischen oder russischen Dolmetscher zu kommunizieren.“ Auch hier handelt es sich um eine einstellige Anzahl an Personen, bei denen eine ungarische Staatsangehörigkeit nachgewiesen wurde.
Um dieser Art von Bürgergeld-Betrug vorzubeugen und in Zukunft möglichst zu vermeiden, stehe das Jobcenter im stetigen Austausch mit dem Fachbereich für Migration und Integration sowie weiteren Jobcentern, so der Sprecher. „Alle Mitarbeiter wurden intern für dieses Thema sensibilisiert.“
Für die Ausländerbehörde gilt es abzuwägen, ob trotz gültigem ukrainischen Pass konkrete Anhaltspunkte auf eine weitere Staatsbürgerschaft vorliegen, so der Sprecher. Sie müssen dann abwägen, ob die Anhaltspunkte ausreichen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu verweigern und damit den Zugang zum Bürgergeld zu versperren. „Bei der Sachverhaltsermittlung ist die Ausländerbehörde immer auch auf die Mitwirkung der Geflüchteten angewiesen.“