Die Berliner Journalistin Aya Velázquez hat über einen Whistleblower die RKI-Protokolle geleakt. Im Interview verrät sie, wie und warum sie das gemacht hat und was seither passierte.
Die RKI-Files sorgen weiterhin für Aufregung: In dieser Woche meinte etwa die Bild-Zeitung konkret nachweisen zu können, Gesundheitsminister Karl Lauterbach habe über den Einfluss des Gesundheitsministeriums auf das Robert-Koch-Institut gelogen. Und auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki erneuerte und verstärkte seine Vorwürfe gegen den SPD-Minister, den er diesbezüglich bereits zum Rücktritt aufgefordert hat.
Ins Rollen gebracht hat die Causa die Berliner Journalistin Aya Velazquez, die im Juli die RKI-Protokolle über die gesamte Pandemiezeit zum Download veröffentlicht hat, nachdem ein Whistleblower aus dem RKI sie ihr angeboten hatte. Rund um die Veröffentlichung ranken sich viele Fragen, im Interview mit der Berliner Zeitung spricht Aya Velázquez über ihre Motive.
Berliner Zeitung: Frau Velázquez, vor einem Monat haben Sie die RKI-Files veröffentlicht. Was hat Sie seitdem am meisten überrascht?
Aya Velázquez: Die Nachhaltigkeit, mit der das Thema im Mediengeschehen präsent ist, und wie viele prominente Stimmen sich seitdem mit klugen Beiträgen im Sinne der Aufarbeitung zu Wort gemeldet haben. Mir war natürlich im Vorfeld schon bewusst, welche Sprengkraft die Dokumente haben und dass es in Deutschland bislang noch keinen Leak in dieser Größenordnung gegeben hat – zumindest keinen, an den ich mich erinnern könnte. Aber da das Thema äußerst unangenehm für die politisch Verantwortlichen ist, hätte ich erwartet, dass die Medien es schneller „abfrühstücken“. Das scheint in der Causa RKI-Files aber nicht möglich zu sein, obwohl allerorten Schadensbegrenzung betrieben wird.
Was ist für Sie der größte Erkenntnisgewinn in dieser Sache?
Für mich persönlich – weil ich ja auch im persönlichen Kontakt mit dem oder der Whistleblower/in stehe – die menschliche Dimension vermeintlich kalter Behörden. Während der Corona-Jahre war das Robert-Koch-Institut für viele, mich eingeschlossen, eine gesichtslose, technokratische Behörde. Und in der Tat: Viele Stellen in den Protokollen lassen einen frösteln wegen des Verwaltungstonfalls, mit dem hier über Menschen gesprochen wird. Seit dem Leak habe ich ein anderes Bild von Behörden gewonnen.
Welches?
Es gibt auch dort immer interne Widerstände, eigenständig denkende Menschen, Vernunft und auch Menschlichkeit. Viele Stellen in den Protokollen lassen aufscheinen, dass RKI-Mitarbeiter intern durchaus sehr kritisch dem Gesundheitsministerium gegenüber waren: Wenn etwa der jetzige RKI-Leiter Lars Schaade das BMG scherzhaft „Bundesmysterium für Gesundheit“ nennt oder Ute Rexroth (stellv. Leiterin Abteilung Infektionsepidemiologie, Anm. d Red.) in den Anmerkungen über den Corona-Expertenrat von Olaf Scholz herzieht. Teilweise mit den gleichen Worten wie ich selbst, etwa: „Die üblichen Verdächtigen“. Trotzdem hat das RKI, trotz eigenständigem Denken, trotz besseren Wissens vor der Politik pariert, und – man muss es leider so sagen – dadurch auch Schuld auf sich geladen. Wie lebt man mit solchen inneren Widersprüchen? Wie lebt man über so lange Zeit mit so einem Selbstbild? Über solche Fragen denke ich infolge der RKI-Files viel nach.
Welche Stellen in den Protokollen fanden Sie bisher am aufschlussreichsten?
Für mich war bislang das größte Rätsel der Corona-Zeit, warum Deutschland, international gesehen, fast im Alleingang, mit Ausnahme von Österreich, im Winter 2021/22 Ungeimpfte vom gesellschaftlichen Leben derart ausgeschlossen hat. Und dass der Bundestag trotz der milderen Omikron-Variante über eine allgemeine Impfpflicht abstimmte. Die Stellen zu 2G und zur allgemeinen Impfpflicht waren deshalb für mich am aufschlussreichsten, um die Dynamik dieses Winters besser zu verstehen.
Welche Dynamik war das aus Ihrer Sicht?
Das RKI wusste um fehlenden Fremdschutz unter 2G, widersprach der Politik aber nicht, wenn mit vermeintlichem Fremdschutz argumentiert wurde. Dieses Beamten-Duckmäusertum, man könnte vielleicht salopp sagen das „Preußische“ an uns Deutschen, ist eine große Schwäche. Es führt zu irrationalen und schildbürgerartigen Entscheidungen, wenn die untergebene Ebene sich nicht traut, der hierarchisch übergeordneten Ebene zu widersprechen, die aber im Unrecht ist.
Dass das RKI überhaupt mit der allgemeinen Impfpflicht geliebäugelt hatte, hat mich bei der Lektüre sehr enttäuscht. Eine Behörde darf sich der ethisch-moralischen Dimension eigener Empfehlungen nicht verschließen. Unabhängig von der kursierenden Variante: Eine allgemeine Impfpflicht ist ein schwerer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und sollte in einer freiheitlichen Gesellschaft ein absolutes Tabu sein. Die von Jens Spahn eingeführte Masernimpfpflicht von 2019 war meines Erachtens diesbezüglich schon der Fuß in der Tür, um einen Präzedenzfall für weitere Impfpflichten zu schaffen. Das RKI hätte zu einer allgemeinen Impfpflicht niemals raten dürfen und die Politik hätte sie nie einfordern dürfen.
Wie erleben Sie die mediale Berichterstattung zu den RKI-Files?
Ich bin sehr positiv überrascht und erlebe endlich eine Art Aufbruchsstimmung nach einer gefühlt jahrelangen Ohnmacht. Viele prominente Stimmen haben sich nach dem RKI-Leak medial zu Wort gemeldet. Ich denke da insbesondere an den hervorragenden Gastartikel von Svenja Flaßpöhler, Elisa Hoven, Frauke Rostalski und Juli Zeh in der FAZ, Rostalskis ebenso großartigen darauf folgenden Einzelartikel, Wolfgang Kubickis solide Textarbeit zu den RKI-Files oder Hendrik Streecks deutliche Kritik an Karl Lauterbach – um nur wenige zu nennen. Ich selbst arbeite momentan an einem Pressespiegel zum RKI-Leak, einer Art Medien-Tagebuch seit Tag Eins des Leaks.
Es ist beeindruckend: Fast täglich erscheinen neue Artikel zum Thema, Menschen trauen sich endlich, offen zu reden, jahrelange Zweifel zu artikulieren. Die Angst vor Stigmatisierung ist kleiner geworden, das Thema ist irreversibel in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es werden zwar auch zunehmend härtere Geschütze der Gegenaufklärung aufgefahren – ich denke da an Thomas Fischer im Spiegel oder Professor Gärditz in der FAZ, als Antwort auf Frauke Rostalski. Aber zum einen gehört das nun mal zum innerredaktionellen Meinungspluralismus dazu. Zum anderen haben diejenigen, die die vergangenen vier Jahre das offizielle Corona-Narrativ mitgetragen haben, auch viel zu verlieren. Heftige Kritik und Widerstand waren also erwartbar.
Mein Eindruck war, dass die stärkste Kritik an den RKI-Files und auch an Ihrer Person aus dem Lager der Corona-Kritiker selbst kam. Wie erklären Sie sich das?
Die Kritik kam nur von einem kleinen Teil alternativer Medien und Medienmacher und hier oft aus einem sehr rechten Spektrum. Als linke Maßnahmenkritikerin bin ich für viele dieser Medienmacher eine Reizfigur. Kritik, die sich gegen die Person richtet, ist für mich in der Argumente-Pyramide sehr niedrig angesiedelt, deshalb interessiert sie mich kaum. Mich interessieren Sachargumente – der Rest ist Rauschen. Ich denke, dass diese Kritik aufkam, war auch der Fülle des Materials geschuldet. Es ist anstrengend, sich hinzusetzen und die Files zu studieren. Da ist es für manche einfacher, sich in Skandal-Lüsternheit über den Überbringer der Nachricht zu echauffieren. Da kann man immerhin wieder mitreden und gewinnt Kontrolle über den Diskurs zurück.
Manche Kritiker werfen Ihnen Ihre Vergangenheit als Escort vor.
Meine Vergangenheit als Escort ist ja kein Geheimnis. Ich selbst bin vor Jahren damit bewusst den Schritt in die Öffentlichkeit gegangen, als quer durch die Parteien Vorstöße laut wurden, Sexarbeit in Deutschland mithilfe eines Sexkaufverbots zu kriminalisieren. Da habe ich mich politisch für die Rechte von Sexarbeitern eingesetzt, habe Gespräche mit Medien und Politikern geführt, einen Essay dazu in der Welt veröffentlicht, usw… Auch wenn ich heute ausschließlich als Journalistin tätig bin, unterstütze ich weiter den Kampf von Menschen in der Sexwork-Branche für ihre Grundrechte. Das Thema taugt deshalb nicht, mich zu kompromittieren. Menschen, die mit dem Thema Sexarbeit grundsätzlich ein Problem haben, glauben das aber. Das verrät mehr über sie selbst als über mich.
Andere, vor allem Leitmedien, nennen gar nicht erst Ihren Namen, wenn sie über den Fall berichten. Wie reagieren Sie darauf?
Das amüsiert mich. Es zeigt, dass sie verhindern wollen, mir Reichweite zu schenken. Dafür beißen sie lieber in den sauren Apfel, der Informationspflicht gegenüber ihren Lesern ungenügend nachzukommen. Im Wesentlichen war die leitmediale Berichterstattung im Hinblick auf meine Person aber fair und ausgewogen. Wenige Ausnahmen hielten es für nötig, meinen Klarnamen zu doxxen. Das waren etwa die ZEIT, RND, ND und die FAZ. Telepolis hat versucht, meine journalistische Arbeit als Aktivismus abzuwerten. Obwohl ich weder Demos noch Petitionen organisiere, sondern Texte schreibe, Dokumentarfilme produziere und davon lebe. Die meisten Leitmedien-Artikel blieben aber in Hinblick auf meine Person erfreulich sachlich.
Warum wurden gerade Sie von dem Whistleblower ausgewählt, was glauben Sie?
Ich habe die letzten Jahre leider viel zu viele Stunden mit der Analyse von trockenen Regierungsdokumenten zur Corona-Politik zugebracht: das „Strategiepapier“ und die BMI-Emails, dann die Protokolle des Corona-Expertenrats. Über letztere habe ich auch einen 140-minütigen Dokumentarfilm produziert. Damit habe ich mir wohl über die Jahre den Ruf aufgebaut, ein gewisses Faible für Regierungsdokumente zu haben. Der oder die Whistleblower/in war überzeugt davon, dass die Unterlagen bei mir in den richtigen Händen sind. Ich habe ihm/ihr zugesichert: Ich leake die Dokumente schnellstmöglich, mit dem größtmöglichen medialen Impact und unter maximalen Sicherheitsvorkehrungen. Laut Rückmeldung habe ich meinen Kontakt nicht enttäuscht.
Das RKI bezeichnet die Downloads als rechtswidrig, weil sie von einem Whistleblower stammen. Rechnen Sie mit rechtlichen Folgen für Sie persönlich?
Ja. Der Aufruf auf der Webseite des RKI, dass vom Leak betroffene Mitarbeiter sich an einer zentralen Stelle melden können, lässt darauf schließen, dass für zivilrechtliche Prozesse Mitarbeiter gesammelt werden. Natürlich habe ich mich im Vorfeld anwaltlich beraten lassen. Wichtig war mir, dass ich nur zivilrechtlich, nicht strafrechtlich belangt werden kann.
Dass also Prozesse und Bußgelder auf Sie zukommen können, war Ihnen klar?
Ja. Und auch moralisch haben ich bezüglich der Offenlegung der Namen von RKI-Mitarbeitern kein Problem. Denn die Mitarbeiter tauchen in einer öffentlichen Funktion in den Protokollen auf, der Leak kompromittiert sie nicht als Privatpersonen. Selbst eine Corona-Reizfigur wie Christian Drosten sagt, er könne sich in der Öffentlichkeit gefahrlos ohne Bodyguards bewegen, es würden sich immer noch wildfremde Menschen im Supermarkt für seine Arbeit bedanken. Ich denke deshalb nicht, dass ich irgendjemanden in Gefahr gebracht habe. Moralisch gesehen, überwiegt für mich ganz klar das Auskunftsinteresse von 84 Millionen Bürgern in diesem Land, zu erfahren, wie und warum in den vergangenen vier Jahre ihre Grundrechte eingeschränkt wurden. Dafür bin ich bereit, die Konsequenzen zu tragen, die mir nun möglicherweise bevorstehen.
Welchen Antrieb hatte der Whistleblower?
Das ist eine spannende Frage, die auch ich in vielen Gesprächen mit dieser Person eruiert habe. Ohne die Person damit in Gefahr zu bringen, kann ich dazu sagen: Der oder die Whistleblower/in hat einen hohen moralischen Ethos – und unglaublichen Mut bewiesen. Er oder sie stand den Corona-Maßnahmen der Politik und dem Handeln des eigenen Instituts während der gesamten Corona-Zeit kritisch gegenüber. Die Person sagte mir, er oder sie würde alles in seiner oder ihrer Macht stehende tun, um zu verhindern, dass sich solche Grundrechtsverletzungen, wie sie in den vergangenen Jahren in Deutschland geschehen sind, noch einmal wiederholen. Außerdem war die Person der Meinung, dass eine mit Steuermitteln finanzierte Behörde der Öffentlichkeit vollumfänglich Rechenschaft schuldig ist.
Haben Sie Anfragen bekommen bezüglich des Whistleblowers?
Nein. Meine Kommunikation dazu hat auch von Anfang an signalisiert, dass ich ohnehin nichts sagen würde, was die Person in irgendeiner Form gefährden könnte. Ich denke, diese Botschaft ist angekommen.
Wie konnten Sie sicher sein, dass die Dokumente echt sind? Das RKI hat die Echtheit inzwischen selbst bestätigt, aber in den ersten Tagen nach dem Leak gab es viele Vorwürfe, die Dokumente seien Fakes.
Die Frage nach der Authentizität war natürlich die erste, die ich mir selbst gestellt habe, als die Person sich bei mir gemeldet hat. Als ich Zweifel angemeldet habe, habe ich daraufhin kommentarlos das Foto einer brisanten RKI-Protokollseite bekommen, ohne Schwärzungen, abfotografiert von einem externen Gerät auf einen Computer-Bildschirm. Das konnte eigentlich nur jemand abfotografiert haben, der vor einem Rechner saß, der Zugang zum RKI-System hatte. Gleichzeitig bin ich immer noch davon ausgegangen, dass man mir vielleicht eine Falle stellt.
Wie haben Sie das ausgeschlossen?
Indem ich mich mit der Person getroffen habe. Nach einem dreistündigen Gespräch war schon bei diesem ersten Treffen klar, welche Motive diese Person hat und dass sie authentisch ist. So gute Schauspieler, die über drei Stunden eine komplette Show abziehen können, ohne dass an irgendeiner Stelle mein Bauchgefühl streikt, gibt es nicht mal in Hollywood. Es gab dann noch viele weitere Gespräche bei jeder Materialübergabe. Außerdem habe ich die Dokumente, die ich erhalten habe, mit den Dokumenten aus Paul Schreyers Datensatz verglichen. Bis auf kleine Abweichungen, die sich daraus erklärten, dass mir eine Archivversion zugespielt worden war, waren die Dokumente identisch. In all ihren Details und Imperfektionen hätte solche Dokumente niemand faken können, der mich aufs Glatteis führen will – selbst mit ChatGPT nicht.
Wie haben Sie sich abgesichert, damit erstens die Seite nicht gleich lahmgelegt wird und zweitens Sie selbst nicht in den Fokus von Ermittlungen geraten? Auf Twitter/X hieß es, Sie hätten durchaus auch mit Hausdurchsuchungen gerechnet?
Ich arbeite für die Webseite mit einem Vollprofi zusammen – einem der besten IT-Spezialisten Deutschlands. Er hat mir auch geholfen, von Anfang an eine sichere Kommunikations-Infrastruktur mit dem bzw. der Whistleblower/in aufzubauen. Ich wollte dabei nichts dem Glück oder Zufall überlassen. Die Tage rund um den Leak habe ich an einem sicheren Ort verbracht, damit ich nicht dabei gestört werde. Mit einer Hausdurchsuchung rechne ich theoretisch im Rahmen von Ermittlungen gegen den oder die Whistleblower/in immer noch. Aber die große Öffentlichkeit, die der Fall generiert hat, stellt jetzt auch einen gewissen Schutz dar. Das wissen auch Ermittlungsbehörden. Eine Hausdurchsuchung bei mir würde als Angriff auf die Pressefreiheit gewertet werden und zum nächsten großen Skandal führen. Abgesehen davon, würde man bei mir ohnehin nichts finden, das Hinweise auf den oder die Whistleblower/in gibt.
Nach eigenen Aussagen werden Sie auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Was steckt dahinter?
Ich habe aufgrund einer eigenen Auskunftsanfrage an das Bundesamt für Verfassungsschutz erfahren, dass ich beobachtet werde. Den Verdacht hatte ich schon länger. Beobachtet werde ich unter der im Jahr 2021 neu eingeführten Kategorie „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Als Grund werden ein Social Media Post und ein journalistischer Artikel von mir aus dem Jahr 2022 genannt. Zudem gibt es in der Datenbank offenbar 815 Einträge zu mir, wie ich erfahren habe. Ich habe daraufhin meine Artikel aus dem Jahr 2022 durchgecheckt und kann keine Stelle erkennen, an der ich die freiheitlich demokratische Grundordnung infrage gestellt hätte. Deshalb habe ich mir juristische Hilfe geholt. Ein Anwalt lässt für mich in Erfahrung bringen, um welchen konkreten Artikel und Social Media Post es genau geht. Ich halte es für eine bedenkliche Entwicklung, dass regierungskritischer Journalismus neuerdings in den Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes fallen soll. Der größte Treppenwitz an der Geschichte ist aber, dass auch die Beobachtung meiner Person durch das Bundesamt für Verfassungsschutz den RKI-Leak nicht verhindern konnte.
Sie berichten von ständigen Angriffen auf die Seite des Leaks, gerade das Zusatzmaterial lässt sich oft nicht öffnen. Wer oder was steckt Ihrer Meinung nach dahinter?
In der ersten Woche nach dem Leak lag es schlicht daran, dass der Server hart an der Überlastungsgrenze gearbeitet hat. Da wir damit schon gerechnet hatten, haben wir das Material auch als Mirror-Links auf anderen Servern zur Verfügung gestellt. Dann folgten verdächtige Aktivitäten rotierender IPs, die versucht haben, an unseren Admin-Zugang zu gelangen, eine DDOS-Attacke, und schließlich ein sogenannter DMCA-Claim: Ein User, der sich auf X als Urheber der Aktion zu erkennen gab, hatte versucht, mit Hinweis auf das amerikanische Urhebergesetz „Digital Millenium Services Act“ eine Sperre unserer Webseite zu erwirken. Es hieß, wir hätten die Urheberrechte des RKI verletzt. Das ist natürlich Unsinn, denn behördliches Material, das steuerfinanziert ist, fällt nicht unter das Urheberrecht.
Trotzdem war die Seite dadurch mehrfach temporär gesperrt, denn Serverbetreiber sind zunächst gezwungen, auf solche Claims zu reagieren, sonst riskieren sie hohe Geldstrafen. Der Claim konnte dann mit dem Serverbetreiber geklärt werden. Interessant ist aber, dass der Urheber der Aktion auf X ausgeplaudert hat, er hätte sich im Vorfeld mit dem Volksverpetzer und dem Account „Schwurbelwatch“ abgesprochen – Schwurbelwatch hat aber bestritten, die Person zu kennen. Der Volksverpetzer hat sich dazu noch nicht geäußert.
Der Multipolar-Herausgeber und Journalist Paul Schreyer hatte die Hälfte der Protokolle schon mühsam eingeklagt. Warum haben Sie sich nicht mit ihm zusammengetan für die RKI-Files?
Zu Paul Schreyer hatte ich vor der Aktion keinen persönlichen Kontakt. Wenn man eine so riskante Operation plant, kann jede weitere Person, die man mit einbezieht, ein Sicherheitsrisiko sein. Ich habe deshalb nur Menschen in Kenntnis gesetzt, zu denen ich ein hundertprozentiges Vertrauensverhältnis und sichere Kontaktwege hatte. Dieses Vertrauensverhältnis hatte ich zu Bastian Barucker, zu Professor Stefan Homburg und auch zu Philippe Debionne, dem neuen Chefredakteur des Nordkurier, der das Material ebenfalls im Vorfeld von mir erhalten hat. Mir ging es dabei nur um die Sache: Die RKI-Files sollten ohne Zwischenfälle nach draußen gelangen. Dass meine Strategie aufgegangen ist, hat sich ja gezeigt. Von den Erkenntnissen aus den RKI-Protokollen profitiert jetzt auch Paul Schreyer in Hinblick auf seine RKI-Klage, weil nach einem Vergleich der Versionen jetzt der Verdacht geschönter Dokumente im Raum steht, die vom RKI an ihn herausgegeben wurden. Ich begrüße es sehr, dass Schreyer unser Team jetzt vollumfänglich unterstützt, nach ersten, kritischen Rückfragen seinerseits – die auch berechtigt waren.
Durch die Files wird nun klar, dass die herausgeklagten Protokolle offenbar von der Erstellung bis zur Herausgabe teils mehrfach geändert wurden. Was halten Sie davon?
In der Regel ist es ein ganz normaler behördlicher Vorgang, dass es eine Versionsgeschichte gibt, in der Protokolle mehrfach abgeändert werden. Einige Änderungen in der finalen Version, die an Paul Schreyer herausgegeben wurden, erscheinen aber verdächtig, was eine bewusste Urkundenfälschung nicht ausschließt. Das müssen nun die Gerichte klären.
Wie lange wird es wohl dauern, bis alle Protokolle durchgesehen wurden und quasi Endergebnisse vorliegen?
Ich rechne mit mehreren Jahren. Das kommt aber sehr darauf an, wie viele Menschen sich jetzt dahinterknien.
Wir erreichen Sie im Urlaub, offenbar lesen Sie dort weiterhin auch selbst die Protokolle. Haben Sie Neues entdeckt?
Ja. Bis zum Dezember 2021 war das RKI noch selbst für die allgemeine Impfpflicht. Ab Januar 2022 änderte sich das aber: Angesichts der Omikron-Variante bekam man im RKI Zweifel, ob man eine Impfpflicht aus fachlicher Sicht noch vertreten kann. Und auch der grundrechtlichen Dimension war man sich dort zunehmend bewusst. Es schwingt deutlich zwischen den Zeilen mit, dass man RKI-seitig verunsichert war, wie man die Politik wieder einfangen soll, die sich schon auf die Impfpflicht eingestellt hatte.
Wie kamen Sie eigentlich selbst zum Protest? Offenbar haben Sie zu Beginn der Pandemie noch Masken gestrickt, wie Ihnen Kritiker vorwerfen?
Genäht, bitte! Ich habe Masken genäht, in der Tat: Mit meiner kleinen Hanf-Schneiderei, die ich damals mit einer Angestellten betrieben habe, habe ich im März und April 2020 tausende Masken genäht und verkauft. Zu Corona hatte ich mir damals noch keine eigene Meinung gebildet. Wie die meisten anderen Menschen habe ich damals leicht angespannt der Tatsache entgegen gesehen, dass wir uns wohl früher oder später alle mit einem gefährlichen Virus infizieren würden – einige Fachleute aber zu Masken rieten, weil die zumindest ein wenig Schutz bieten würden. Ich habe das Maskennähen deshalb als meinen kleinen Beitrag gesehen, in einer außergewöhnlichen Situation im Rahmen meiner damaligen Möglichkeiten helfen zu können.
Als ich aber dann gesehen habe, wie plötzlich honorige Fachleute aus den sozialen Medien gecancelt und Kritiker diffamiert wurden, wurde ich misstrauisch. Ich habe das Vertrauen verloren, dass hier noch alles mit rechten Dingen zuging. Das war nicht mehr die Demokratie, in der ich aufgewachsen war. Als ich dann festgestellt habe, dass der Journalismus versagt, diese Entwicklungen zu benennen und zu anzuprangern, habe ich selbst angefangen zu schreiben. Ich habe das Journalismus aus Notwehr genannt. Seitdem bin ich dabei geblieben und die Arbeit geht mir bis heute nicht aus.
Sie haben eigentlich Sozial- und Kulturanthropologie studiert?
Ja, und aus Sicht dieses Fachs begeht der Journalismus in Deutschland heute reihenweise unverzeihliche Fehler: Doxxing, keine Absegnung von Portraits durch diejenigen, die portraitiert werden, soziale Vernichtung von Andersdenkenden, die sich aus einer unterlegenen Position heraus nicht wehren können. Es ist an der Zeit, andere Standards in der Branche einzufordern und zu leben. Journalismus bedeutet, die Herrschenden zu kritisieren und nicht, nach unten zu treten.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Fehler, die während der Pandemie gemacht wurden?
Die Corona-Maßnahmen waren nicht geeignet, die Verbreitung des Coronavirus aufzuhalten. Selbst im Evaluationsbericht des Sachverständigenausschusses der Bundesregierung wurde im Sommer 2022 festgestellt: „Insgesamt ist ein Zusammenhang zwischen der Höhe der Inzidenz und der Maßnahmenstärke nicht erkennbar.“ Das stimmt: Länder mit Maskenpflicht hatten keine niedrigere Corona-Belastung als Länder ohne Maskenpflicht, in Ländern mit hohen Impfraten schossen oft die sogenannten Inzidenzen durch die Decke. Seriöse, vernünftige Vorschläge von renommierten Fachleuten fanden kein Gehör.
Zum Beispiel?
Etwa die Great Barrington Declaration hat von Anfang an dafür plädiert, fokussiert Risikogruppen zu schützen und den Rest der Gesellschaft langsam eine Immunität aufbauen zu lassen – entweder durch Infektion oder durch Impfung. Aber die Verfasser, allesamt Epidemiologen, wurden von Christian Drosten als „Pseudo-Experten“ diffamiert. Genau so erging es allen Kritikern des offiziellen Narrativs. Besonders unter den Maßnahmen zu leiden hatten ausgerechnet die vulnerabelsten Gruppen in der Gesellschaft, die sich nicht wehren konnten: Kinder und Jugendliche, ältere Menschen, Angestellte und Selbstständige, kleine Leute. Es war von Anfang an eine irrationale und antisoziale Politik, die den Schwächsten der Gesellschaft aufgebürdet wurde. Wie man damals schon wissen konnte: ohne Evidenz. Die Krönung des Maßnahmenregimes waren aber die Impfpflichten: direkte, berufsbezogene Impfpflichten und indirekte Impfpflichten. Etwa durch das 2G-Regime, das Menschen durch sozialen Ausschluss und den Entzug ihrer Grundrechte zur Impfung bewegen sollte. Eine Impfpflicht, noch dazu mit einem Mittel, das schwerste Schäden verursachen kann, hätte es niemals geben dürfen. Der Staat hat dabei seinen Bürgern gegenüber monumentale, strenggenommen unverzeihliche Schuld auf sich geladen.
Kommen wir zum Ursprung des Ganzen, dem Corona-Virus: Stammt es aus Ihrer Sicht vom Wuhan-Markt oder aus dem Labor?
In meinen Augen stammt das Virus aus einem Labor. In den USA ist das längst die dominierende Hypothese – Deutschland lebt da noch etwas hinter dem Mond, was sicher auch damit zu tun hat, dass in Deutschland der Virologe Christian Drosten im Hinblick auf dieses Thema Wortführer ist. Zahlreiche Eigenschaften im genetischen Code des Virus sprechen aber dafür: Die Furinspaltstelle und auch die Restriktionsenzyme BsaX1 und Bsal1 rund um die Furinspaltstelle, die sich amerikanische Forscher im Vorfeld patentieren ließen. Außerdem Restriktionsstellen an fünf Stellen im Virus-Genom, die das Genom in sechs fast gleichlange Teilstücke unterteilen, als sei es an diesen Stellen zusammengeklebt worden. Auch die Tatsache, dass der nächste natürliche Verwandte aus dem Tierreich, RaTG13, mit 96 Prozent Ähnlichkeit, diese Furinspaltstelle eben nicht aufweist. Top-Evolutionsbiologen stellt es vor ein Rätsel, wie diese ohne Bioengineering dort hineingekommen sein soll.
Warum wurde dann die Labor-Hypothese so lange bekämpft?
Weil sie die Daseinsberechtigung der Gain-of-function-Forschung fundamental infrage stellt. Wenn nämlich ebenjene Forschung, die uns auch in Zukunft vor gefährlichen Pandemien schützen soll, selbst eine Pandemie ausgelöst hat, stünde ein riesiger Sektor plötzlich zur Disposition, der sowohl für zivile als auch für militärische Forschung hochinteressant ist.
Wenn Corona aus dem Labor stammen sollte, wie bekommen wir als Gesellschaft diesen Geist wieder in die Flasche? Gain of function-Forschung bedeutet ja, dass theoretisch jederzeit wieder so etwas passieren könnte?
In der Tat. Dazu braucht es noch viel Aufklärungsarbeit. Ich persönlich würde für ein globales Gain-of-function-Moratorium plädieren. Ob das politisch durchsetzbar ist, wage ich aber zu bezweifeln.
Viele Kritiker beschäftigen sich nun mit den Pandemieverträgen der WHO, was ist Ihre Sicht darauf?
Die World Health Organization war federführend in der globalen Vereinheitlichung der oftmals hoch irrationalen und schädlichen globalen Maßnahmen gegen Corona und plädierte schon im Februar 2020 für chinesische Lockdowns. Zu einem Zeitpunkt also, als man noch gar nicht absehen konnte, ob der Lockdown in China überhaupt Wirkung zeigt. Die WHO lobte damit schwerste Menschenrechtsverletzungen, ohne einen Beweis für deren Wirksamkeit zu haben. Jede weitere Stärkung der WHO bedeutet für mich deshalb eine Stärkung transnationaler Strukturen, die nationale Demokratien unterminieren. Es ist zu befürchten, dass die WHO als Hebel missbraucht wird, im Rahmen neuer Pandemien schrittweise sogenannte Global Governance einzuführen.
Einen Vorgeschmack darauf, wie das aussehen kann, hat Corona geboten. In meinen Augen ist es aus demokratischer Sicht unumgänglich, dass jedes Land seinen eigenen Weg geht. Auch um eruieren zu können, welcher Weg sich denn nun am Besten bewährt hat. Wäre Schweden nicht seinen eigenen Weg gegangen, wüssten wir heute nicht, dass Corona auch ohne staatlicherseits verpflichtende Maßnahmen und die Einschränkung von Grundrechten zu bewältigen gewesen wäre. Ein globaler Pandemievertrag, der, auch wenn er nicht bindend ist, Druck auf einzelne Länder ausübt, ist daher in meinen Augen strikt abzulehnen.
Kritiker Ihrer Position würden einwenden, dass etwa Schweden zu Beginn der Pandemie mehr Tote hatte als Deutschland. Was sagen Sie dazu?
Das stimmt, Schweden hatte anfangs mehr Tote. Auch der für die Covid-Maßnahmen verantwortliche Staats-Epidemiologe Anders Tegnell räumte später ein, dass man gerade am Anfang Risikogruppen besser hätte schützen müssen, etwa Senioren in Altenheimen. Auch für Schweden wäre demnach die ‚Great Barrington Declaration‘ ein sinnvoller Ansatz gewesen. Doch über den gesamten Pandemieverlauf hatte Schweden die niedrigste Übersterblichkeitsrate in der gesamten EU, wie ein erst kürzlich im Lancet erschienener Fachartikel erneut bestätigt hat.
Aber dort wurde auch viel geimpft.
Es stimmt, dass in Schweden auch viel geimpft wurde – doch der zentrale Unterschied zu Deutschland ist eben, dass es dort freiwillig, ohne direkten oder indirekten Druck geschah: ohne die Angst vor Jobverlust, sozialer Exklusion, der Verletzung eigener physischer Grenzen und vor Langzeitnebenwirkungen. Die Mündigkeit, selbst darüber zu entscheiden, was mit dem eigenen Körper geschieht, ist in einem Rechtsstaat und in der Medizin unter dem „Nürnberger Kodex“ keine Kleinigkeit, sondern absolut zentral. Schweden hat keine Schulkinder mit monatelangen Schulschließungen oder stundenlangem Maskentragen im Unterricht malträtiert, keine Grundrechte schwedischer Bürger eingeschränkt, keine Ungeimpften aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, keine rundum traumatisierte Gesellschaft hinterlassen – und ist dennoch viel besser als Deutschland durch die Pandemie gekommen. Wer meint, dass die hier aufgezählten Dimensionen nachrangig wären, der sollte vielleicht mal sein Demokratieverständnis hinterfragen.
Was hat Ihrer Meinung nach die Gesellschaft aus der Pandemie gelernt?
Ich hoffe, dass sie gelernt hat, staatlichen Autoritäten zukünftig stärker zu misstrauen. Zumindest die Westdeutschen hatten bis vor Corona noch nicht die Erfahrung gemacht, dass ein Staat, der ihnen wohlgesonnen war, sich plötzlich auch mal nicht mehr in ihrem Interesse verhalten kann. Die ehemaligen DDR-Bürger waren aufgrund ihrer Vergangenheit deutlich abgeklärter und dementsprechend auch während der Corona-Jahre wesentlich kritischer gegenüber den staatlichen Corona-Maßnahmen. Ich hoffe sehr, dass sich in der deutschen Bevölkerung ein gesundes Misstrauen entwickelt hat, beim nächsten Mal kritischer auf vermeintlich alternativlose, grundrechtsverletzende Vorstöße aus der Politik zu reagieren und auch besonnener im Umgang mit Kritikern zu sein.