Millionen Menschen fliehen aus der Ukraine, aber es gibt auch Staatsangehörige, die wieder einreisen. Laut ukrainischer Grenzpolizei waren es allein in der vergangenen Woche 110.000 Geflüchtete – überwiegend Männer. Wie ist die Lage in Deutschland?
Millionen Ukrainer sind auf der Flucht vor dem russischen Angriff, doch es kehren inzwischen auch viele wieder zurück. Der Sprecher der ukrainischen Grenzpolizei, Andrij Demtschenko, teilte WELT mit: „Seit Kriegsbeginn am 24. Februar sind 510.000 Ukrainer aus dem Ausland wieder zurückgekehrt, darunter mehr als 110.000 in der letzten Woche.“
Laut Demtschenko sind bis zu 80 Prozent der einreisenden Ukrainer Männer. Die Grenzpolizisten fragten zwar nicht jeden Rückkehrer nach seinen Gründen, doch man könne deutlich sagen, dass die meisten militärisch oder nicht-militärisch zur Landesverteidigung beitragen wollten, sagte der Sprecher vergangene Woche im Medienzentrum Lemberg.
Die meisten Rückkehrer kommen aus dem nordwestlichen Nachbarland Polen: 352.000 Ukrainer sind laut polnischem Grenzschutz seit Kriegsbeginn in ihr Heimatland ausgereist, wie die Behörde am Montag mitteilte. Bei diesen Reisenden handele es sich nach früheren Angaben des Grenzschutzes zum überwiegenden Teil um ukrainische Staatsbürger, die in ihr Heimatland zurückkehren. Viele Männer, aber auch Frauen, wollen sich dort den ukrainischen Truppen anschließen. Andere gehen zurück, um sich um Kinder oder hilfsbedürftige Angehörige zu kümmern.
In Polen seien seit Kriegsbeginn mehr als 2,3 Millionen Flüchtlinge angekommen. Allein am Sonntag waren es demnach rund 27.000 Menschen und damit etwas weniger als am Vortag. Insgesamt sind weit überwiegend Frauen und Kinder aus der Ukraine geflohen. Volljährigen Männern unter 60 Jahren ist bis auf Ausnahmefälle seit der Generalmobilmachung die Ausreise untersagt.


Laut der Union der ukrainischen Jugend in Lemberg kehren auch aus Nachbarländern wie Ungarn und Estland Ukrainer zurück. Ein Sprecher sagte WELT, überwiegend seien dies Männer, die sich den Verteidigungskräften anschließen wollten. Die ungarische Regierung teilte am Montag mit, seit Kriegsbeginn seien bereits 530.000 Flüchtlinge angekommen.
„Das bedeutet mehr als fünf Flüchtlinge pro 100 Einwohner, das ist die höchste Aufnahmequote aller Nachbarländer der Ukraine“, sagte Regierungssprecher Zoltán Kovács. Wie viele Menschen aus Ungarn, Polen und den übrigen Nachbarländern weiterreisen, lässt sich nicht sagen. In Deutschland sind bis Montagvormittag laut Bundesinnenministerium 272.000 Ukrainer registriert worden, ungefähr 5000 von ihnen am Sonntag. Allerdings dürfte demnach die Zahl der eingereisten Schutzsuchenden aus der Ukraine „tatsächlich bereits wesentlich höher“ sein, da längst nicht alle Einreisen an den Grenzen registriert würden.
Über Rückkehrbewegungen aus Deutschland in die Ukraine hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bisher keine Erkenntnisse, wie das Amt auf Anfrage mitteilte. Nach Informationen aus Sicherheitskreisen wären solche kleineren Rückkehrbewegungen schwer feststellbar, weil bei der Ausreise aus Deutschland die Wahrscheinlichkeit, grenzpolizeilich aufzufallen noch geringer sei, als bei der Einreise per Pkw.
Die häufig verspätete Registrierung sorgt für Kritik der Kommunalen Spitzenverbände. Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, sagte: „Natürlich wäre es das Beste, die schutzbedürftigen Menschen bereits bei der Einreise an den Grenzen oder in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu registrieren. Dann wäre von Beginn an eine faire Verteilung möglich.“ Wenn dies nicht gelinge, müssen die Bundesländer die Erfassung und Registrierung für alle ukrainischen Flüchtlinge sicherstellen. Der Einsatz von mobilen Teams des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie von einigen Ländern seien erste wichtige Schritte.
Dedy plädiert für ein vereinfachtes Registrierungsverfahren, es sei fraglich, „ob immer eine Registrierung mit aufwendiger erkennungsdienstlicher Behandlung nötig“ ist. „Das dauert ziemlich lange und passt nicht in die dynamische Situation, die wir derzeit haben. Viele geflüchtete Menschen haben biometrische Pässe, sodass an ihrer Identität kein Zweifel besteht.“
Der Präsident des Landkreistages, Reinhard Sager, hält eine bessere Registrierung für unerlässlich. „Es könnten noch viele hunderttausend Ukrainer zu uns fliehen und möglicherweise dauerhaft bleiben. In einer solchen Situation ist die lückenlose Erfassung grundlegend“, sagte der CDU-Politiker. Die Erfassung sei wichtig für eine sinnvolle Verteilung und damit auch für die strukturierte Eingliederung in Schulen, die Unterbringung in Wohnungen und die Aufnahme einer Arbeit. Allerdings laufe die Verteilung noch nicht rund.
Städte- und Gemeindebund: Registrierstraßen an Ankunftsbahnhöfen
„Aus kommunaler Sicht wäre es zu begrüßen, wenn angekündigte Vertriebene dann auch tatsächlich in dem betreffenden Landkreis ankämen. Das klappt noch nicht zufriedenstellend, sodass vor Ort teilweise Betten, Verpflegung, Kleidung und Hygieneartikel vorbereitet sind, dann aber weniger Menschen kommen als angekündigt.“ Man könne das verbessern, indem nicht die geplanten Ankünfte mitgeteilt, sondern quasi in Echtzeit übermittelt würde, wie viele Personen tatsächlich die betreffenden Busse bestiegen haben.
Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes argumentiert: „Natürlich wäre es am besten, die Kriegsvertriebenen würden bereits bei der Einreise nach Deutschland registriert. Im Hinblick auf die großen Zahlen und die Dauer des Registrierungsvorgangs, der zum Teil bis zu einer Stunde dauern kann, ist das nur sehr schwer umsetzbar.“ Praktikabler erscheine es, an den Ankunftsbahnhöfen vom Bund Registrierstraßen einzurichten.
CDU-Parteichef Friedrich Merz forderte am Montag erneut eine durchgängige Registrierung „vor allem zum Schutz der Flüchtlinge selbst“. Ziel sei zu wissen, wer komme, wo Menschen hingingen und wer sie aufnehme. „Das ist alles kein Hexenwerk.“ Die Bundesregierung könne dies leisten und sogar Daten der polnischen Regierung übernehmen. „Sie stellt sich hier künstlich dumm.“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lehnt eine generelle Registrierungspflicht derzeit ab. Man rede vor allem von Kindern und Frauen, die tagelang auf der Flucht gewesen seien, sagte sie dem „Tagesspiegel“.
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, kritisierte Faeser dafür scharf. „Erst durch die lückenlose Erfassung wird überhaupt die Grundlage für eine rasche und bestmögliche Hilfe geschaffen“, sagte er. Auf die Kommunen kämen enorme Herausforderungen zu: Zehntausende Schul- und Kitaplätzen müssten gefunden, Sprachkenntnisse vermittelt, Menschen in Arbeit gebracht und gesundheitliche Versorgung organisiert werden. „Wir können doch nicht erst in 90 Tagen feststellen, dass möglicherweise nicht 260.000, sondern 500.000 Menschen im Land sind“, so Frei weiter.
Wenn eine Erfassung unter der bestehenden Rechtslage nicht möglich ist, dann muss diese Rechtslage geändert werden. Dafür sei die Regierung da. „Es ist Krieg in Europa. Die Bundesinnenministerin muss endlich seine Dimension zur Kenntnis nehmen und aufwachen“, so Frei.
„Die Bundesinnenministerin hat die Dimension der Flucht immer wieder unterschätzt und überlässt damit die Aufnahme und Unterstützung der Flüchtlinge dem Zufall.“ Zunächst habe Faeser gesagt, dass eine Verteilung innerhalb Deutschlands nicht erforderlich sei. Erst die verzweifelten Hilferufe der Kommunen hätten sie zum Umsteuern bewegt. Er kritisiert zudem, dass die Bundesinnenministerin keine Vorstellung davon habe, wie viele Menschen aus der Ukraine überhaupt nach Deutschland geflohen seien.
Mitarbeit: Alexander Dinger