Der Beirat Junge Digitale Wirtschaft will Medien vorschreiben, wie und über welche Börsengänge sie berichten. Die Regierung soll hart durchgreifen, um IPOs zu fördern.
Düsseldorf, Berlin Einflussreiche Vertreter der Gründerszene möchten die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland unter einen Vorbehalt stellen: Der Beirat Junge Digitale Wirtschaft will verhindern, dass Journalisten Unternehmen beim Geldeinsammeln stören. Das geht aus einer aktuellen Veröffentlichung auf der Website des Bundeswirtschaftsministeriums hervor.
Das Gremium, das Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) berät, gibt Medien in einem „Positionspapier zum Thema Börsengänge Deutscher Start-ups“ eine Mitschuld am schwächelnden IPO-Markt. Der Staat solle nun für die „Gewährleistung einer ausgewogenen Berichterstattung“ sorgen.
Als Mittel zum Zweck schlagen sie einen „Erlass von Regeln zur Vermeidung einseitig diffamierender Artikel“ vor. Das Papier regt an, den Staatserlass gegen unbotmäßige Berichterstattung mit einer „Disziplinierung der Presse zu sachlicher, richtiger und vollständiger Information“ zu flankieren.
Die namentlich genannten Autoren sind Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer, Investor Christoph Gerlinger von der German Startups Group und Alex von Frankenberg, Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds.
Gerlinger ruderte auf Nachfrage zurück. Die Verpflichtungen seien nach Meinung der Autoren nicht für alle Redaktionen nötig. Auf die Frage, wer denn bestimme, ob ein Artikel sachlich, richtig und vollständig sei, antwortet er: „Natürlich nur Gerichte.“
Das Bundeswirtschaftsministerium distanzierte sich auf Anfrage des Handelsblatts von Inhalten des Positionspapiers. „Das BMWi teilt die Vorschläge nicht. Die Unabhängigkeit der Presse ist für das BMWi ein hohes Rechtsgut“, teilte ein Sprecher mit. Die Papiere des Beirats würden „als Meinungsäußerung“ auf der Internetseite des Ministeriums veröffentlicht.
Wenig später waren die Papiere nicht mehr auf der Webseite zu finden. Altmaier erklärte auf Twitter: „Pressefreiheit ist ein herausragendes Grundrecht, dessen Schutz wir verpflichtet sind. Das Positionspapier des Beirates junge digitale Wirtschaft, war mir ebensowenig bekannt wie seine Veröffentlichung auf der Homegage. Ich habe soeben die umgehende Entfernung angeordnet.“ Er brachte zudem Konsequenzen ins Spiel: „Der Vorsitzende des Beirates hat sich inzwischen öffentlich distanziert. Wir werden umgehend die Verantwortlichkeiten klären und ggf Konsequenzen ziehen.“
Pressefreiheit ist ein herausragendes Grundrecht, dessen Schutz wir verpflichtet sind. Das Positionspapier des Beirates junge digitale Wirtschaft, war mir ebensowenig bekannt wie seine Veröffentlichung auf der Homegage. Ich habe soeben die umgehende Entfernung angeordnet. https://t.co/8Uh5isD50C
— Peter Altmaier (@peteraltmaier) July 12, 2021
Der Beirat Junge Digitale Wirtschaft wurde 2013 vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) geschaffen. Laut Satzung berät der Beirat den Wirtschaftsminister zu Technologien und Wachstumsbedingungen für junge Unternehmen und unterstützt ihn mit Stellungnahmen und Empfehlungen.
Amtsinhaber Altmaier hatte im September 2020 anlässlich der Neubesetzung des Gremiums gesagt, der Beirat sei ein „wichtiger Impulsgeber“ für ihn. Mit seinen Kompetenzen und Praxiserfahrungen liefere er „wertvolle Anregungen“. Aktuell besteht der Beirat aus 29 Männern und Frauen.
Vorsitzende sind die Ratepay-Mitgründerin Miriam Wohlfarth und Christian Vollmann, der das soziale Netzwerk nebenan.de mitgründete. Weitere bekannte Persönlichkeiten sind die Vizepräsidentin des Bundesverbands Deutsche Startups, Gesa Miczaika, Bastian Nominacher, Chef des wertvollsten deutschen Start-ups Celonis, Flixmobility-Gründer André Schwämmlein und Earlybird-Investor Fabian Heilemann.
Unter Redakteuren habe sich ein „regelrechtes IPO- und New-Economy-Bashing verbreitet“, rügen die drei Autoren des Papiers. Als Beispiel nennen sie den Börsengang von Delivery Hero 2017. Das Unternehmen sei „als verlustträchtige digitale Lieferplattform mit Börseneinführungswert von vier Milliarden Euro von der Finanzpresse durchweg als überbewertete Luftnummer zerrissen“ worden. Heute sei es an der Börse mit 30 Milliarden Euro bewertet.
Außer Acht lassen sie dabei, dass Delivery Hero 2020 bei einem Umsatz von 2,5 Milliarden Euro noch immer einen operativen Verlust von 894 Millionen Euro machte. Seit dem Börsengang summieren sich allein die Vorsteuerverluste auf 2,6 Milliarden Euro.
„Verpflichtung der Presse zu Berichterstattung“
An Eifer herrscht kein Mangel. Die Branchenvertreter wollen Medien nicht nur vorschreiben, wie sie zu berichten haben, sondern auch worüber. Es möge eine „Verpflichtung der Presse zur Berichterstattung auch über kleine IPOs“ geben, heißt es in dem Positionspapier.
Gleichzeitig will der Beirat die Regeln für seine Klientel abschwächen. Die Haftung für zukunftsgerichtete Aussagen von Emittenten und Emissionsbanken sollen reduziert werden, ebenso die Pflichten zur Veröffentlichung von Ad-hoc-Meldungen und Insidergeschäften. Protokollpflichten für Berater, die Tech-Aktien empfehlen, müssten beseitigt
werden.

Als IPO-schädigend gelten den Autoren auch Internetforen. Die Betreiber sollen „zur Offenlegung von Klarnamen der Blogger“ verpflichtet werden, steht in dem Positionspapier. Außerdem wird die „Einführung einer Haftung von Bloggern für Falschbehauptungen und Beleidigungen“ vorgeschlagen.
Es ist eine Wunschliste, die beim Deutschen Journalisten-Verband (DJV) ungute Erinnerungen weckt. Der Fall Wirecard, der größte Betrug in der deutschen Geschichte, habe „die Notwendigkeit kritischer und unabhängiger Berichterstattung“ gezeigt, teilte ein Sprecher mit.
Der gefallene Zahlungsabwickler aus München kämpfte jahrelang gegen kritische Berichte, zeigte Journalisten und Blogger bei der Polizei an. Heute werden dem ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Marktmanipulation und Untreue vorgeworfen. Er sitzt in Untersuchungshaft, seine Anleger verloren Milliarden.
„Die Forderungen des Beirats an die Adresse der Medien zeugen von völliger Unkenntnis des Journalismus und seiner Aufgaben in der Demokratie“, heißt es vom DJV. Vom Grundrecht der Pressefreiheit hätten die Beiratsmitglieder offenbar noch nichts gehört: „Sie fordern Hofberichterstattung anstelle von kritischem Wirtschaftsjournalismus.“
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