Twitter hat die Konten von Journalisten renommierter Medien gesperrt – ohne konkrete Begründung. Allen gemein ist: Sie hatten über Twitter und dessen neuen Chef Musk berichtet. Nun hat auch die Bundesregierung mit Twitter „ein Problem“.
Twitter hat die Konten mehrerer Journalisten gesperrt, die über die Social-Media-Plattform und deren neuen Besitzer Elon Musk berichten. Betroffen sind etwa Reporter der „New York Times“, der „Washington Post“ und von CNN. Eine Begründung dafür nannte das Unternehmen zunächst nicht.
Den Reporterinnen und Reportern wurde mitgeteilt, dass sie gegen die Richtlinien von Twitter verstoßen hätten. Der plötzliche Ausschluss von Berichterstattern folgte auf Musks Entscheidung vom Mittwoch, einen Account dauerhaft zu sperren, der mit Hilfe öffentlich verfügbarer Daten die Flüge seines Privatjets nachverfolgt hatte. Die Flugdaten sind öffentlich verfügbar und können auch über eine Reihe von Webseiten abgerufen werden.
Musk: Für Journalisten gelten dieselben ‚Doxxing‘-Regeln
Twitter änderte am Mittwoch auch die Plattformregeln, um das Teilen aktueller Standortdaten einer Person ohne deren Zustimmung zu verbieten. Mehrere der Reporter, deren Nutzerkonten gesperrt wurden, hatten über diese neue Richtlinie und Musks Begründung dafür berichtet. Dies beinhaltete Vorwürfe Musks über einen Stalking-Zwischenfall, der am Dienstagabend in Los Angeles seine Familie betraf.
Twitter-Chef Musk schrieb dazu in Tweets: Für Journalisten würden dieselben ‚Doxxing‘-Regeln wie für alle anderen gelten. „Mich den ganzen Tag lang zu kritisieren, ist total in Ordnung, aber meinen Echtzeit-Standort zu doxxen und meine Familie zu gefährden ist es nicht.“ „Doxxing“ bezeichnet die Online-Veröffentlichung der Identität einer Person, von deren Adresse oder anderen persönlichen Details.
Criticizing me all day long is totally fine, but doxxing my real-time location and endangering my family is not
— Elon Musk (@elonmusk) December 16, 2022
CNN: „Besorgniserregend, aber nicht überraschend“
Der Nachrichtensender CNN teilte mit, die „impulsive und ungerechtfertigte Sperrung einer Reihe von Reportern, darunter Donie O’Sullivan von CNN, ist besorgniserregend, aber nicht überraschend.“ Man habe Twitter um eine Erklärung gebeten, „und wir werden unsere Beziehung (zu dem Unternehmen) auf Grundlage der Antwort neu bewerten.“
Ein weiterer von Twitter gesperrter Journalist, Matt Binder vom Tech-Medium Mashable, erklärte, er sei am Donnerstagabend gesperrt worden, unmittelbar nachdem er ein Bildschirmfoto eines Beitrags geteilt habe, den CNN-Reporter O’Sullivan vor dessen Sperrung veröffentlicht hatte.
Das Bildschirmfoto zeigte eine Mitteilung der Polizei in Los Angeles, die früher am Donnerstag an verschiedene Medien und Nachrichtenagenturen verschickt worden war. Darin ging es um den Umstand, dass die Polizei wegen des mutmaßlichen Stalking-Zwischenfalls in Kontakt mit Vertretern Musks stehe, aber noch kein Verbrechensbericht ergangen sei.
„Ich habe gemäß der neuen Twitter-Regeln keinerlei Standortdaten geteilt“, teilte Binder in einer Mail mit. Er habe auch nicht auf den Account verwiesen, der Standortdaten von Musks Privatjet veröffentlicht habe oder auf andere Accounts, die Standortdaten veröffentlichten. Er sei in hohem Maße kritisch mit Musk umgegangen, habe aber nie gegen Twitter-Richtlinien verstoßen.
Bundesregierung: „Damit haben wir ein Problem @Twitter“
Das Komitee zum Schutz von Journalisten zeigte sich besorgt über die Sperrungen. Sollte es sich bestätigen, dass es sich um Vergeltung für die Arbeit der Journalisten handele, sei dies eine ernste Verletzung des Rechts von Journalisten, Nachrichten ohne Angst vor Repressalien zu veröffentlichen.
Die Chefredakteurin der „Washington Post“, Sally Buzbee, forderte die sofortige Wiederherstellung des Nutzerkontos des bei der renommierten US-Zeitung beschäftigten Tech-Reporters Drew Harwell. Die Sperrung untergrabe die Behauptung Musks, dass er beabsichtige, Twitter als Plattform zu betreiben, die der Redefreiheit verpflichtet sei. Harwell sei „ohne Warnung, ohne Prozess oder Erklärung, nach der Veröffentlichung seiner akkuraten Berichterstattung über Musk“ gesperrt worden.
Auch die Bundesregierung reagierte inzwischen auf die Sperrungen. Pressefreiheit dürfe „nicht nach Belieben ein- und ausgeschaltet werden“, heißt es in einem Tweet des Auswärtigen Amtes. Er schließt mit dem Satz: „Damit haben wir ein Problem @Twitter“
#Pressefreiheit darf nicht nach Belieben ein- und ausgeschaltet werden. Unten stehende Journalisten können auch uns ab heute nicht mehr folgen, kommentieren und kritisieren. Damit haben wir ein Problem @Twitter. pic.twitter.com/Cliuih8Gyq
— Auswärtiges Amt (@AuswaertigesAmt) December 16, 2022
Chaos bei Twitter seit Übernahme
Musk – derzeit der zweitreichste Mensch der Welt hinter dem französischen Luxusgütermogul Bernard Arnault – hat Twitter seit der Übernahme ins Chaos gestürzt. Er entließ das Spitzenmanagement und rund die Hälfte der Belegschaft und schaltete gesperrte Konten wie jenes des früheren US-Präsidenten Donald Trump wieder frei.
Musk gibt sich als radikaler Verfechter des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Kritiker befürchten, dass unter seiner Führung auf Twitter Hassbotschaften und Falschinformationen rasant zunehmen könnten. Zuletzt löste Musk Medienberichten zufolge ein Beratergremium auf, das Twitter vor sechs Jahren im Kampf gegen Hassbotschaften, Kinderpornografie und Diskriminierung gegründet hatte. Zahlreiche große Werbekunden haben sich bereits von Twitter abgewendet.
Mint Informationen von Nils Dampz, ARD San Francisco