Bei „Hart aber fair“ kehrte die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen zurück in den TV-Talk. Beobachter lieferten erschütternde Berichte aus Lagern und vom Mittelmeer, neue Lösungsvorschläge gab es dagegen wenige.
Lange Zeit hat die Debatte darum kaum noch stattgefunden, doch selbstverständlich ist die Flüchtlingsproblematik während der Corona-Monate nicht weggegangen – ganz im Gegenteil. Am Montagabend war es Frank Plasberg, der dieser Diskussion wieder die große Talkshow-Bühne bot. Tödliche Fluchtrouten über das Meer, die unwürdige Situation der Flüchtlinge in Moria auf Lesbos und eine gelähmte EU – ungelöste Fragen zum Verzweifeln.
Das alles nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, war der Expertenrunde bei Plasberg wohl das wichtigste Anliegen, denn wirklich neue Lösungsvorschläge gab es kaum. Im Studio diskutierten der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), Cem Özdemir von Bündnis 90/Die Grünen, der „Spiegel“-Kolumnist Nikolaus Blome und Petra Bosse-Huber, Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). „Weltspiegel“-Moderatorin Isabel Schayani, die in diesem Jahr den Grimme-Preis Spezial für ihre Berichterstattung aus dem Flüchtlingscamp Moria erhalten hat, machte den Auftakt.
Der trostlose Stand der Dinge
Schayani war bis vor wenigen Tagen noch auf Lesbos und hat dort eine syrische Familie getroffen, die im Flüchtlingslager in Moria festhängt. Vor über einem Jahr wurde das Asylersuchen der Familie von den griechischen Behörden abgelehnt, aber die Türkei nimmt sie nicht zurück. Sie wollen so schnell wie möglich weg von der Insel – und wenige Minuten vor Sendungsbeginn bekommt Schayani tatsächlich die Nachricht, die Familie könne endlich nach Athen. Auch wenn sie sich seit Monaten nichts mehr wünschen, als die Insel Richtung griechisches Festland zu verlassen, ist das laut Schayani dennoch keine gute Nachricht. Denn an der Ablehnung des Asylantrags ändert das nichts, und genau deswegen würden der Familie jetzt noch mehr Probleme drohen.
"#Menschen in #Flüchtlingslagern werden auch zur Abschreckung benötigt", kritisiert die @Weltspiegel_ARD-Moderatorin @isabelschayani bei #hartaberfair @DasErste. "#Flüchtlinge verharren Jahre in einem Lager, denn die #Asylanträge werden nicht schneller abgearbeitet." pic.twitter.com/sEiAJwZb9h
— hart aber fair (@hartaberfair) June 14, 2021
„Da entsteht etwas, was Hilfsorganisationen mit einem sehr großen Wort beschreiben: Verelendung“, warnt Schayani. „Die kriegen keine Hilfen mehr und die landen auf der Straße und können die Sprache nicht.“ Für die WDR-Journalistin ist diese Not politisch beabsichtigt. „Das ist natürlich gewollt. Die sollen jetzt zügig aufs Festland und die sollen keine Hilfe kriegen, damit sie sich weiter wegbewegen, damit sie weiterziehen.“ – Plasberg: „Zum Beispiel nach Deutschland?“ – Schayani: „Ja.“
„Recht wird umgesetzt in dieser Europäischen Union“
Cem Özdemir empörte sich ebenfalls über eine solche „gewollte Politik“ und sprach die „Pushbacks“ Griechenlands gegenüber der Türkei an, mit denen die Flüchtlingszahlen gesenkt werden sollten. „Die Fälle, die wir da gesehen haben, sind ja welche, die sollten in die Türkei nach griechischer Lesart, die Türkei nimmt sie aber nicht auf. Die fallen komplett aus dem System raus, das ist doch keine Lösung.“ Auch mit Blick auf Ungarns Umgang mit Flüchtlingen beklagte er einen „Zustand der Rechtlosigkeit“, der achselzuckend hingenommen werde.
"An europäischen Außengrenzen muss Recht umgesetzt werden", fordert der @CSU-Politiker @ManfredWeber bei #hartaberfair @DasErste. "Es braucht Humanität, aber auch Unterstützung für Grenzbeamte, die einen Zaun bauen oder auch mal 'Nein' sagen."#Flüchtlingsnot #Fluechtlinge pic.twitter.com/NqlwXqYmNU
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Manfred Weber griff zuerst zu drastischen Begriffen der Kritik, attestierte der EU Versagen in der Migrationspolitik, sah darin gar „die offene Wunde des Kontinents“, um dann aber doch einiges Positives zu finden – etwa die Unterstützung, die zumindest die anerkannten Flüchtlinge in Europa erfahren würden. Der CSU-Politiker lobte auch den griechisch-türkischen Grenzzaun, den es seit 2015 und der dazu diene, sich als Europäer nicht von Erdogan erpressen zu lassen. „Recht wird umgesetzt in dieser Europäischen Union. Das heißt, illegale Zuwanderung wird unterbunden, Schlepperbanden wird das Handwerk gelegt.“
Özdemir schlägt vor: „Wir nehmen 40.000 Menschen auf“
Mit dem Verweis auf das bestehende Recht nahm Weber auch die spanischen Beamten in Schutz, die kürzlich Flüchtlinge aus Marokko gewaltsam daran gehindert hatten, in Spanien an Land zu gehen. „Da ist doch das Problem, dass wir die Möglichkeiten, nach Europa zu kommen, quasi an die europäische Außengrenze verlagert und delegiert haben und die die Drecksarbeit für uns machen lassen“, ging Özdemir dazwischen. Er schlug mehr Hilfe für die Erstaufnahmeländer und ein Resettlement-Programm gemeinsam mit dem UNHCR vor.
"#Deutschland sollte vorangehen und mehr #Flüchtlinge aufnehmen", fordert @Die_Gruenen-Politiker @cem_oezdemir. "Wenn 100.000 #Migranten in EU-Länder verteilt werden, würde das für mehr Ordnung in Erstaufnahmeländern sorgen."#hartaberfair @DasErste zum Thema #Flüchtlingsleid pic.twitter.com/Fw4knwAnpD
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Darüber sollte Deutschland dann einen Beitrag zur legalen Zuwanderung nach Europa leisten. „Warum gehen wir nicht her und sagen, wir nehmen 40.000 Menschen auf“, warf Özdemir in die Runde. „Das ist ein Wort, das ist eine Zusage für die Menschen, die in diesen Ländern sind, dass sie eine legale Möglich haben zu kommen.“ Damit könne Deutschland möglicherweise auch andere europäische Länder motivieren, ihrerseits Flüchtlinge aufzunehmen, beschrieb Özdemir.
„Das ist ein mörderisches Sterbenlassen von Menschen“
Gegen Webers Motto „Grenzsicherung und Solidarität“ legte Petra Bosse-Huber entschiedenen Widerspruch ein. „Grenzsicherung hört sich so harmlos an verglichen mit dem, was tatsächlich passiert im Mittelmeer“, hob die EKD-Auslandsbischöfin an. „Das ist ein mörderisches Sterbenlassen von Menschen, die keine legalen Zugangswege zu irgendeiner Form von Asyl haben. Es gibt keine sicheren Wege nach Europa, es gibt sie nicht.“
"Das #Mittelmeer ist ein riesiges Massengrab." Bei #hartaberfair @DasErste erklärt die Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber (@EKD) das #Flüchtlingsleid im Mittelmeer: "Die #EU schaut weg und nennt das dann #Grenzschutz. Das ist ein Skandal."#Fluechtlinge #Frontex pic.twitter.com/7LNwATUIRt
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Sie kritisierte den Stopp fast jeglicher Seenotrettung und die Rolle der libyschen Küstenwache, die die Flüchtlinge vom Meer zurück nach Libyen in „Folterlager“ bringe – und zwar mit Unterstützung der EU. „Wir finanzieren das mit, wir kucken weg und nennen es dann Grenzschutz.“
"Auch mit Hunderten Schiffen könnten nicht alle #Migranten im #Mittelmeer gerettet werden", sagt der Journalist @NikolausBlome (@RTLde) bei #hartaberfair @DasErste. Der Fokus solle deshalb auf die #Schlepper gerichtet werden. Dort habe das Problem seinen Ursprung. #Fluechtlinge pic.twitter.com/Q6r3ye2M2P
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Nikolaus Blome haderte mit dieser Analyse der Bischöfin und versuchte sich seinerseits an einem Ausweg. „Da müsste man irgendetwas tun, dass niemand mehr in die Boote steigt, das wäre doch die Lösung. Anstatt zu versuchen, möglichst viele zu retten in dem Wissen, dass man wahrscheinlich nur einen Bruchteil der Menschen rettet.“ Natürlich heiße das nicht, Ertrinkenden nicht länger zu helfen – man müsse die Leute vielmehr schon zuvor aufhalten. „Die Anrechenquoten der maghrebinischen Staaten, der drei nordafrikanischen Staaten pendeln um ein bis zwei Prozent“, erläuterte Blome. „Das heißt, jeder der aufs Boot geht, könnte wissen, dass er fast keine Chance hat, bleiben zu dürfen. Und das müsste man den Leuten etwas deutlicher sagen.“