Bereits im Januar kündigte der ehemalige »Bild«-Chefredakteur Julian Reichelt eine neue Medienmarke an. Nun hat er erste Angestellte, ein Büro in Berlin – und sein eigenes Unternehmen.
Nach professionellem Fernsehen sah es nicht gerade aus, was Julian Reichelt in den vergangenen Wochen in seinen Instagram-Videos zeigte. Mal stand er vor einer Tankstelle und erklärte anhand der hohen Benzinpreise, »welches Trümmerfeld uns Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre CDU hinterlassen haben«. Mal trug er vor dem Kanzleramt eine von ihm selbst geschriebene Rede zum Ukrainekrieg vor, die Olaf Scholz seiner Meinung nach halten müsste.
Reichelts Videoauftritte könnten ein Vorgeschmack darauf sein, was der geschasste Ex-»Bild«-Chefredakteur für sein neues Medienprojekt plant. Seit Wochen treffen er und einige Mitstreiter sich in einem Büro in Berlin-Kreuzberg, um an Reichelts Comeback zu arbeiten. Sie tüfteln an Formaten und versuchen, neue Leute zu rekrutieren. Eine Firma hat Reichelt auch schon gegründet. Was hat er vor?
Rückkehr nach Vorwürfen des Machtmissbrauchs
Im Oktober vergangenen Jahres hatte der Axel-Springer-Verlag Reichelt mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben als »Bild«-Chefredakteur entbunden. Dem Schritt waren Recherchen zu Reichelts Umgang mit jungen Mitarbeiterinnen vorangegangen, die auch im SPIEGEL erschienen. Schließlich habe der Vorstand erfahren, dass er auch nach Abschluss eines diesbezüglichen Compliance-Verfahrens »Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat«, hieß es in einer Erklärung des Verlags. Reichelt bestreitet das bis heute – und kündigte bereits im Januar seine Rückkehr mit einer »neuen Plattform« an.
Ende März gründete Reichelt die Rome Medien GmbH. Ihr Zweck laut Handelsregister: »Die Produktion, die nationale Verbreitung und Vermarktung von Medieninhalten durch diverse Verbreitungskanäle (z. B. Online, Mobile, Lineares TV)«, das Stammkapital beträgt 25.000 Euro.
Reichelts neue Redaktion indes arbeitet von den Aqua-Höfen, einem Co-Working-Space in der Berliner Ritterstraße, aus. Der Gebäudekomplex, in dem im vergangenen Jahrhundert WC-Druckspüler hergestellt wurden, wird heute von Start-ups, Architekten und Designern bevölkert. Direkt unter Reichelts Redaktion: der Nachtklub Ritter Butzke.
»Temporäres Untermieterverhältnis«
Das Klingelschild für das Büro im vierten Stock weist jedoch nicht auf Reichelt oder Rome Medien hin, sondern auf das Unternehmen CompuGroup Medical (CGM), einen führenden Anbieter für Gesundheitssoftware mit Sitz in Koblenz. Gegenüber dem SPIEGEL bestätigt das Unternehmen ein »temporäres Untermieterverhältnis«.
Hinter dem Konzern steckt der Milliardär Frank Gotthardt. Er und Reichelt hatten sich im Januar zu einem Abendessen in einem Restaurant an der Mosel getroffen. »T-Online« und das Branchenportal »Medieninsider« berichteten darüber, weder Reichelt noch Gotthardt wollten sich damals zum Inhalt ihrer Gespräche äußern.
Der Unternehmer Gotthardt machte sein Geld als IT-Pionier, gründete 1987 die CompuGroup Medical, die an der Börse heute rund drei Milliarden Euro wert ist und die er bis Ende 2020 selbst führte. Der Oldtimer-Sammler ist Haupteigentümer des Eishockeyklubs Kölner Haie und Ehrenvorsitzender des Wirtschaftsrats der CDU in Rheinland-Pfalz. Außerdem betreibt er drei Fernsehsender: DRF1, TV Mittelrhein und Westerwald-Wied TV. Bei den Sendern weiß man nichts von einer möglichen Zusammenarbeit mit Reichelt.
Abgeworbene Mitarbeiter
CompuGroup Medical bestreitet, selbst mit Reichelt verbandelt zu sein. Weder sei die Firma Geldgeber der Redaktion, noch seien Reichelts Angestellte über ein Tochterunternehmen angestellt. Auf sechs von sieben Fragen antwortet das CompuGroup Medical mit: »Bitte wenden Sie sich an Frank Gotthardt.« Dieser wiederum war am Dienstag nicht für eine Stellungnahme erreichbar.
In den vergangenen Wochen bemühte sich Reichelt offenbar wiederholt darum, Mitarbeiter von seinem früheren Arbeitgeber abzuwerben. Mindestens ein Dutzend Personen seien angesprochen worden, erzählt man sich bei »Bild« – mit mäßigem Erfolg. Bis jetzt haben die ehemaligen »Bild«-Redakteure Sebastian Vorbach und Willi Haentjes bei Reichelt angeheuert, »Medieninsider« berichtete zuerst über die Personalien. Zur Frage nach seiner konkreten Aufgabe sagt Haentjes dem SPIEGEL: »Wir werden es erleben.«
Zwei weitere Mitarbeiterinnen kommen von außerhalb des Springer-Kosmos.
- Janina Lionello, ehemalige Redakteurin bei den »Nürnberger Nachrichten«, die sich in sozialen Medien wiederholt gegen die Coronamaßnahmen ausgesprochen hat und in einem Artikel erklärte, warum sie sich nicht impfen lässt. Ihren Wechsel zu dem »neuen Fernsehsender von Julian Reichelt« verkündete sie beiläufig in einem Gastbeitrag für das Magazin »Cicero«, wo auch der Ex-»Bild«-Chef neuerdings Kolumnen über Russland und die Ukraine schreibt.
- Ute Oelker, Ex-Fotochefin der »Neuen Post«, arbeitet nach SPIEGEL-Informationen seit Kurzem ebenfalls für das Medienprojekt.
Debattenformat mit politischen Blickwinkeln
Reicht das, um einen Fernsehsender zu betreiben? Auch Reichelt war für eine Stellungnahme am Dienstag nicht verfügbar. Beteiligte sagen, man sei mitten in der Konzeptionsphase und noch unsicher über die Ausrichtung des neuen Projekts. Ein tagesfüllendes Programm sei für den Anfang ausgeschlossen. Denkbar sei ein Debattenformat mit fünf Personen, die verschiedene politische Blickwinkel abdecken – ähnlich wie »Viertel nach Acht« also, die abendliche Diskussionsrunde von »Bild Live«.
Nicht nur inhaltlich, sondern auch geografisch ist Reichelt seinem früheren Arbeitgeber weiterhin nahe: Zu Fuß ist es von den Aqua-Höfen zu Axel Springer keine Viertelstunde. Die Aussicht aus Reichelts neuem Büro kann mit der aus seinem »Bild«-Chefbüro im 16. Stock zwar nicht mithalten, doch auch dafür hat er bereits eine Lösung gefunden. In einem Instagram-Video, in dem Reichelt auf die »woke«-Gesellschaft schimpfte, stand er vor einem Bildschirm. Darauf zu sehen: der Panoramablick aus dem Springer-Hochhaus. Mitarbeit: Laura Meyer