Eine E-Mail aus der EU-Kommission an Google erklärt, wie weitreichend das Verbot der russischen Propagandasender RT und Sputnik sein soll. Suchergebnisse und Social-Media-Inhalte sollen nicht nur zensiert werden, wenn sie von den Sendern kommen, sondern auch, wenn sie deren Inhalte wiedergeben.
In einer umstrittenen Entscheidung hat die EU die russischen Propaganda-Sender RT und Sputnik mit Sanktionen belegt, die zu verschiedenen Formen der Internetzensur in der EU führen. Provider blockieren die Websites der Sender, Social-Media-Unternehmen sperren ihre Accounts auf ihren Plattformen für Europa. Wer sie aufrufen will, bekommt Warnhinweise angezeigt. Die russischen Staatssender RT und Sputnik werden für ihre Desinformation und manipulative Berichterstattung schon seit Jahren kritisiert, solche umfassende Maßnahmen werden nun aber mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine und Kriegspropaganda begründet.
Starke Eingriffe in Suchergebnisse gefordert
Ein inoffizieller Erklärungstext aus der EU-Kommission an Google legt nahe, dass die Maßnahmen sehr weit reichen könnten. Die entsprechende E-Mail ist in der Datenbank Lumen abrufbar, in der Google und andere Unternehmen regelmäßig Löschanfragen veröffentlichen. Nach Informationen von netzpolitik.org ging die E-Mail auch an weitere Anbieter wie Facebook und Tiktok. Dort heißt es:
Daraus folgt, dass nach der Verordnung die Anbieter von Internetsuchdiensten sicherstellen müssen, dass i) jeder Link zu den Internetseiten von RT und Sputnik und ii) jeder Inhalt von RT und Sputnik, einschließlich kurzer textlicher Beschreibungen, visueller Elemente und Links zu den zu den entsprechenden Websites nicht in den Suchergebnissen erscheinen, die Nutzern in der EU angezeigt werden.
Dies bedeutet, dass nicht nur die Angebote der Sender selbst aus den Suchergebnissen gelöscht werden sollen, sondern dass auch eine publizistische oder wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den Inhalten selbst unter die Zensurbestimmungen fallen könnten.
Die Erläuterungen seien ein „informeller Standpunkt“, der die EU-Kommission nicht bindet, so ein Disclaimer über den Erklärungen, die an Google verschickt wurden. Es sei „Sache der nationalen Richter und letztlich des Europäischen Gerichtshofs, über die Auslegung des Unionsrechts zu entscheiden“.
Ist die Diskussion über RT-Propaganda noch möglich?
Doch nicht nur Suchmaschinen sollen Inhalte weitreichend zensieren. Auch Social-Media-Plattformen müssten ihren Nutzer:innen die „Ausstrahlung“ der Inhalte untersagen, so die Erläuterung. Das gelte für alle Personen, auch für solche, die nicht mit Sputnik oder RT verbunden sind. Alle Konten, die „die entweder formell oder de facto RT und Sputnik oder deren Partnern gehören“ müssen demnach ganz gesperrt werden. Noch weitreichender wird es bei der folgenden Formulierung:
Was die Beiträge von Einzelpersonen betrifft, die den Inhalt von RT und Sputnik reproduzieren, so dürfen diese Beiträge nicht veröffentlicht werden und müssen, falls sie veröffentlicht werden, gelöscht werden.
Hierbei sind offenbar auch Inhalte gemeint, in denen beliebige Accounts Inhalte von RT und Sputnik wiedergeben, verlinken oder diskutieren. Zwar spricht der Erklärtext von einer Trennlinie zwischen den RT-/Sputnik-Inhalten und den eigenen Inhalten des Users, die beachtet werden müsse, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Auf der anderen Seite heißt es aber dann im Text: „Zugegebenermaßen könnte diese Grenze in bestimmten Fällen in der Praxis schwer zu ziehen sein.“ Würde diese Form der Zensur auf den Plattformen strikt durchgesetzt, könnte fast jede Auseinandersetzung von Privatpersonen mit Inhalten der Propagandasender Gefahr laufen, gelöscht zu werden.
Löchrige Ausnahme für Medien
Eine Ausnahme formuliert die E-Mail nur für Medien:
Berichtet ein anderes Medienunternehmen als Russia Today und Sputnik über die aktuelle Verordnung und ihre Folgen, kann es unter anderem den Inhalt liefern und dabei auf Nachrichtenstücke von RT und Sputnik verweisen, um die Art der von den beiden betroffenen russischen Medien verbreiteten Informationen zu veranschaulichen, um die Leser/Zuschauer objektiv und vollständig zu informieren.
Diese Ausnahme ist allerdings auch beschränkt, denn es heißt: „Wenn also ein anderes Medienunternehmen vorgibt, seine Leser/Zuschauer zu informieren, aber in Wirklichkeit darauf abzielt, Inhalte von Russia Today oder Sputnik öffentlich auszustrahlen oder dies zu bewirken, verstößt es gegen das in der Verordnung festgelegte Verbot.“
Auch hier können also Eingriffe in andere Medien als RT und Sputnik erfolgen, wenn die Verbreitung der verbotenen Inhalte nicht einer nicht näher definierten Veranschaulichung und objektiven und vollständigen Information der Leser:innen gilt.
„Im demokratischen Rechtsstaat nicht angebracht“
Schon an den in der letzten Woche erlassenen Einschränkungen gab es deutliche Kritik, unter anderem von Reporter ohne Grenzen (ROG): „Der Einfluss dieser Medien auf die Meinungsbildung in Europa ist begrenzt, die zu erwartenden russischen Gegenmaßnahmen allerdings könnten eine unabhängige Berichterstattung aus Russland erschweren oder sogar unmöglich machen“, so der ROG-Geschäftsführer Christian Mihr im Vorfeld.
Die niederländische Bürgerrechtsorganisation „Bits of Freedom“ kritisiert, dass es in einem demokratischen Rechtsstaat nicht angebracht sei, dass ein politisches Gremium darüber entscheidet, welche Informationen uns zugänglich sind und welche nicht. „In einem freien Land entscheidet die Regierung nicht darüber, welche Websites Sie aufrufen dürfen und welche nicht.“ Statt auf Zensur zu setzen, solle die EU lieber unabhängige Medien in Russland fördern.
Eine solche unabhängige Berichterstattung aus Russland ist derzeit kaum mehr möglich: Inländische Medien mussten ihre Arbeit einstellen, Facebook und Twitter sind aus Russland nicht mehr ohne Umwege erreichbar, ein drakonisches Gesetz gegen angebliche Falschnachrichten bedroht unabhängige Medienschaffende und Privatpersonen.
Zwischen Medienrecht und Völkerrecht
Das Völkerrecht gestattet Eingriffe in Medien: Der von Deutschland unterzeichnete UN-Zivilpakt sieht im Artikel 20 ein Verbot von Kriegspropaganda vor. In einem Interview mit Legal Tribune Online nennt der Medienrechtsprofessor Tobias Keber diesen Artikel „hoch umstritten“, zumal sich die Frage stelle: „Was ist Kriegspropaganda?“ Das Verbot ganzer Sender sehe er als Medienrechtler kritisch, weil es eine sehr weitgehende Einschränkung der Informationsfreiheit sei. Als Völkerrechtler halte er es hingegen für richtig.
Über den Autor/ die Autorin
Markus Reuter
Markus Reuter beschäftigt sich mit den Themen Digital Rights, Hate Speech & Zensur, Desinformation, Rechtsradikale im Netz, Videoüberwachung, Grund- und Bürgerrechte sowie soziale Bewegungen. Bei netzpolitik.org seit März 2016 als Redakteur dabei. Er ist erreichbar unter markus.reuter | ett | netzpolitik.org und auf Twitter unter @markusreuter_