Jordan B. Peterson ist einer der bekanntesten und umstrittensten Wissenschaftler unserer Zeit. Jetzt hat der klinische Psychologe seine Professur an der Universität Toronto aufgegeben. Und in seiner Begründung ordentlich ausgeteilt.
Jordan B. Peterson erreicht mit seinen Büchern, Youtube-Videos und Podcasts Millionen Menschen. Der klinische Psychologe aus Kanada ist aktuell einer der bekanntesten Wissenschaftler – und einer der umstrittensten. Viele verehren ihn, viele hassen ihn. Peterson polarisiert, da dürften sich beide Lager einig sein. Jetzt hat der 59-Jährige seine Professur an der Universität Toronto aufgegeben. In seiner Begründung prangert er einmal mehr Entwicklungen in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik an, die er seit Jahren kritisiert. Eine Kritik, die zu seinem Markenzeichen geworden ist.
Jordan B. Peterson wurde einer größeren Öffentlichkeit im Jahr 2016 als Gegner eines neuen kanadischen Gesetzes, Bill C-16, bekannt. Das Antidiskriminierungsgesetz wurde im Sommer 2017 erlassen und soll insbesondere Transgender-Menschen vor Benachteiligung schützen. Unter Umständen kann mit dem Gesetz die fälschliche Verwendung von Pronomen wie „er“ oder „sie“ ein Vergehen sein. Peterson kritisierte, dass die Verwendung von Wörtern vorgeschrieben werde. Er sah darin einen Angriff auf die Redefreiheit. Wenn ihn einzelne Studenten darum bitten würden, sie mit einem bestimmen Pronomen anzusprechen, käme er dem nach und habe das in der Vergangenheit auch mehrfach getan. Auf einer individuellen Ebene habe er kein Problem damit. Doch Petersons Kritiker warfen ihm vor, Vorurteile und Transphobie zu schüren. Er wurde zur Hassfigur. Und zur Ikone im Kampf gegen Political Correctness.
Sein Buch „12 Rules for Life. An Antidote to Chaos“ wird zum Bestseller
Zahlreiche neue Anhänger – das Wort Leser wäre in vielen Fällen eine Untertreibung – fand Jordan Peterson im Jahr 2018, als sein Sachbuch „12 Rules for Life: An Antidote to Chaos“ erschien. Es wurde mit mehr als fünf Millionen verkauften Exemplaren zum Bestseller. Petersons Botschaft: „Stand up with your shoulders straight“. Mach dich gerade! Peterson kommt mit Blick auf Evolution, Gesellschaft und Menschen zu dem Schluss, dass Hierarchien allgegenwärtig sind. Er liefert Ratschläge, wie sich Menschen innerhalb dieser Strukturen erfolgreich bewegen können und richtet sich dabei insbesondere an diejenigen, die aufgrund von Krankheiten, seelischem Leid oder wirtschaftlicher Not unten stehen in der Hierarchie. Bereits im Kleinen könne jeder etwas tun, um seine Situation zu verbessern: Jeden Morgen zur selben Zeit aufstehen, das Bett machen. Ordnung und Struktur sind Peterson extrem wichtig. So lautet auch der Untertitel seines Bestsellers: „An Antidote to Chaos“. Chaos beschreibt Peterson als das symbolisch Weibliche, Ordnung als das symbolisch Männliche.
Auf Unterschiede zwischen Männern und Frauen und traditionelle Rollenbilder verweist er immer wieder und in diesem Zusammenhang auf das Beispiel Schweden: Nirgendwo sonst könnten Frauen freier leben und würden sich doch besonders häufig für soziale Berufe entscheiden. Quoten jeglicher Art sind Peterson ein Dorn im Auge. Er plädiert für Eigenverantwortung und Chancengleichheit und strikt gegen Ergebnisgleichheit.
Peterson, der selbst verheiratet ist und zwei Kinder hat, hebt in seinen Interviews und Vorträgen immer wieder den Wert von Familie hervor. Jungen Männern rät er, eine Frau zu finden und eine Familie zu gründen. Menschen, die bewusst kinderlos blieben, seien „kurzsichtig und selbstsüchtig“. Erwachsene Kinder wiederum, Menschen in ihren 30ern, die keine Verantwortung übernehmen wollen, bezeichnet er als „hässliches Ding“. Die fundamentale Realität des Lebens ist für Peterson Tragödie und Leiden. Da suche man sich besser selbst die Opfer aus, die man bringe. Und suche sich Verantwortung und eine Aufgabe, die einem Halt gebe.
Jordan Peterson zieht auch Menschen am rechten Rand an
Peterson ist eine charismatische Figur und rhetorisch einnehmend. Er wirkt einerseits väterlich und professoral, andererseits kumpelhaft mit einer leicht verständlichen Sprache, die reich ist an Beispielen und Anekdoten. Peterson schöpft dabei aus Therapiesitzungen, der Bibel, der Mythologie und Romanen von Dostojewski. Und er wird auch gerne mal ausfällig. Anhänger der „radikalen Linken“ bezeichnet er als „dumm“ und wirft ihnen „Gehirnwäsche“ vor. Peterson begeistert mit seinen klaren, konservativen Ansagen insbesondere viele junge, männliche Leser und Zuhörer. Auch solche am rechten Rand.
Während patriarchale Strukturen bekämpft werden und #metoo-Skandale ganze Länder und Branchen erschüttern, sieht Peterson die Männlichkeit in einer Krise. Er weist in diesem Kontext auf eine „erzwungene Monogamie“ hin, nicht vom Staat auferlegt, aber als gesellschaftlich erstrebenswertes Ideal. Petersons Argumentation: In der Dominanzhierarchie, in der wir leben, würden sonst ein paar Topmänner alle Frauen kriegen und viele hoffnungslose Männer auf der Strecke bleiben. Und niemand würde sich um diese Männer kümmern. Peterson schürt mit seinen Ansichten und seinem Auftreten nicht nur Zorn und Unbehagen bei Feministinnen und Linken, sondern auch bei alten Weggefährten.
Bernard Schiff, der ehemalige Leiter des Psychologie-Instituts an der Universität von Toronto, veröffentlichte 2018 im „Toronto Star“ einen Beitrag mit dem Titel „Ich war Jordan Petersons größter Förderer. Jetzt halte ich ihn für gefährlich“. Peterson sei mehr Prediger als Professor und entfessle „dunkle Sehnsüchte“. In einem Interview mit „CBC News“ warf Schiff Peterson vor, Misogynie zu ermutigen und dass unter seinen Anhängern viele wütende Menschen seien, die noch wütender werden. Er selbst erhalte hasserfüllte Mails von ihnen.
Peterson rechnet mit „einer abscheulichen Ideologie“ ab
Zwischenzeitlich war es ruhig geworden um Peterson – zumindest was öffentliche Auftritte betrifft. Peterson, der sich zum Ziel gesetzt hat, anderen zu helfen, brauchte selbst Hilfe. Er wurde von Benzodiazepin abhängig, Auslöser war offenbar die Krebserkrankung seiner Frau. Seine Medikamentensucht trieb Peterson am Ende nach Russland, wo er in ein künstliches Koma versetzt wurde. Seine Rückkehr im vergangenen Jahr kam nahezu einer Auferstehung gleich.
Peterson ist zurückgekehrt, hat sich inzwischen aber von seiner Universität abgekehrt. Mitte Januar veröffentlichte er in der kanadischen Zeitung „National Post“ einen Gastbeitrag mit dem Titel „Warum ich nicht mehr länger ein festangestellter Professor an der Universität von Toronto bin“. Peterson schreibt, er habe sich vorgestellt, an der Universität von Toronto zu lehren und zu forschen, bis man sein Skelett aus seinem Büro hätte tragen müssen. Er habe seinen Job geliebt. Dass er jetzt gehe, dafür gebe es viele Gründe.
Erstens würden seine qualifizierten und herausragend ausgebildeten, heterosexuellen, weißen, männlichen Doktoranden eine geringe Chance haben, Forschungsstellen an Universitäten zu bekommen, entgegen ihrer exzellenten wissenschaftlichen Dossiers. Das liege zum Teil an Mandaten für Diversität, Inklusivität und Gleichheit. Auf Englisch: Diversity, Inclusivity and Equity. Petersons bevorzugte Abkürzung dafür ist DIE – das englische Wort für sterben – und bringt bereits auf den Punkt, was er von diesen Vorgaben hält.
Peterson schreibt von einer „abscheulichen Ideologie“, die gerade Universitäten zerstöre und von dort ausgehend die gesamte Kultur. Auch Hollywood, die Wirtschaft und Orchester hätte diese Ideologie längst erreicht. Wir seien an einem Punkt, an dem Ethnie, gender oder sexuelle Vorlieben als die fundamentale Eigenschaft betrachtet werden, um eine Person zu definieren und als wichtigste Qualifikation für Studium, Wissenschaft und Einstellung, so Peterson. „Muss ich betonen, dass das krank ist?“
Es ist eine wütende Abrechnung mit Entwicklungen, gegen die er seit Jahren ankämpft. Mit 59 ist Peterson jetzt emeritierter Professor. Von seiner Lehrtätigkeit dürfte ihn das aber kaum abhalten – im Gegenteil. In seinem Beitrag in der „National Post“ nennt er als einen der Gründe für seinen Abgang, dass er jetzt viel mehr Menschen und mit weniger Einschränkungen online unterrichten könne. Wir werden weiterhin von Jordan B. Peterson hören.
Quellen: „National Post“, „12 Rules for Life. An Antidote to Chaos“, BBC, „Die Zeit“, Youtube, „Toronto Star“, CBC News, „The New York Times“, „FAZ“