Schulbücher

Der Staat ist der Held, die Unternehmen sind das Problem

22.02.2024
Lesedauer: 6 Minuten
Schülerinnen und Schüler einer gymnasialen Oberstufe in Niedersachsen © Hauke-Christian Dittrich/​dpa

Schule sollte Interesse für Wirtschaft wecken. Doch eine Studie zeigt, dass in Lehrbüchern die Wirtschaft eher negativ dargestellt wird – und Führung vor allem männlich.

Deutschland steckt in einer fundamentalen, nicht bloß konjunkturellen Wirtschaftskrise. Kann es sein, dass auch die Art, wie über Wirtschaft in den Schulen gesprochen wird, für die Krise mitverantwortlich ist?  Das legt eine Studie des Zentrums für ökonomische Bildung an der Universität in Siegen (Zöbis) nahe; sie kommt – kurz zusammengefasst – zum Ergebnis, dass in deutschen Schulbüchern das Unternehmertum, der freie Markt, der freie Welthandel eher als Problemschaffer denn als Problemlöser dargestellt wird.

Dabei geht es nicht um Deutsch-Lesebücher oder dergleichen. Das Team von Nils Goldschmidt, Marco Rehm und Romina Kron hat 40 Schulbücher untersucht, die für verschiedene „sozialwissenschaftliche Integrationsfächer sowie die Fächer Wirtschaft, Geschichte und Erdkunde an allgemeinbildenden Schulen zugelassen“ sind. Die Studie Marktwirtschaft und Unternehmertum in Schulbüchern wird demnächst auf der Webseite des Zentrums veröffentlicht und liegt ZEIT ONLINE im Entwurf vor.

„Das zentrale Ergebnis der Untersuchung ist: Schulbücher vermitteln nur in seltenen Fällen ökonomisches Denken“, heißt es dort. „Man spricht also zwar über Wirtschaft, aber nicht aus der notwendigen fachwissenschaftlichen Perspektive.“

Dafür ist der Staat der Held der Lehrbücher: „Er tritt in den Schulbüchern als benevolenter, paternalistischer Akteur auf, der über seine Bürger wacht und stets das Gute will. Eine kritische Betrachtung staatlichen Handelns findet nicht statt.“ Hingegen suche man „unternehmerische Initiative als treibende Kraft von gesellschaftlichen Veränderungen und dem Strukturwandel“ oder marktwirtschaftliche Lösungen für gesellschaftliche Probleme „meist vergeblich“.

Deutschlands Probleme haben viele Väter und Mütter

Dazu passt, dass Frauen als Unternehmerin oder Managerin kaum vorkommen. Stattdessen „werden stereotype berufliche Rollenverteilungen reproduziert, bei denen Männer Führungspositionen einnehmen und Frauen ihnen untergeordnet sind“. Was sonst verpönt wäre, geht hier durch, darf man annehmen, weil es zwar nicht der Wahrheitsfindung, wohl aber der Kritik nutzt.

Die Globalisierung schließlich werde „nur am Rande thematisiert“, und wenn, dann „fast immer am Beispiel der Modeindustrie und des Schicksals der Näherinnen in Bangladesch“. So frage ein Textbuch tendenziös: „Darf Kleidung so billig sein?“ Dass billige Textilien – und Handys, Fernseher, Computer und Elektroautos – hier den Lebensstandard gerade für Geringverdienende erhöhen und in den Herstellerländern Jobs und damit die Grundlage für Wohlstand schaffen, wird nicht berücksichtigt.

Da es nur in wenigen Bundesländern – wie etwa Baden-Württemberg – ein eigenes Fach Wirtschaft gibt, finde ökonomische Bildung „in verschiedenen Integrationsfächern statt“, so die Studie. Dabei sei „das (Teil-) Fach Wirtschaft ein Fach ohne ökonomische Fachlichkeit“, das nur selten von qualifizierten Fachkräften unterrichtet wird.

Noch einmal: Deutschlands Probleme haben viele Väter und Mütter, von den Managern der Autoindustrie, die sich zu lange gegen die Elektrowende sperrten, über die Politiker der Merkel-Regierungen, die Deutschland in die Abhängigkeit von Russland und China manövriert und zu wenig in die Infrastruktur investiert haben, bis hin zu den Bürokraten, die Unternehmen und Bürgern das Leben schwer machen, und einer Öffentlichkeit, die allzu lange dem Treiben zusah.

Das negative Bild vom Unternehmertum steht dem Wachstum im Weg

Und: Es gibt viele Hebel und Stellschrauben, an denen gedreht werden kann und muss. Die Schuldenbremse ist nicht hilfreich; das Wachstumschancengesetz ist überfällig; Fachkräfte müssen angeworben und ausgebildet, Investoren angelockt werden und so weiter und so fort. Aber wenn das Unternehmertum, die Schaffung von Werten und Arbeit, Waren und Dienstleistungen, nicht positiv gesehen wird, fehlt es für alle diese Maßnahmen an öffentlicher Unterstützung. Wenn nicht mehr junge Menschen das unternehmerische Risiko wagen, bleiben die alteingesessenen Firmen und ihre Manager bestimmend.

Wenn die Schule die Schule der Nation ist, wie Willy Brandt sagte, muss sie Verständnis für die Rolle der Wirtschaft wecken. Schulbücher – dieser Autor war jahrelang selbst Schulbuchautor – werden aber hauptsächlich von Lehrern und Lehrerinnen geschrieben. Mithin von Menschen, die größtenteils vom Staat beschäftigt werden und keine Erfahrung als Unternehmer oder Managerin haben. Man tritt den Lehrenden auch nicht zu nahe, wenn man unterstellt, dass sie – gerade in den sozialpolitischen Fächern – politisch mehrheitlich links oder grün eingestellt sind und ihrem Arbeitgeber – allen negativen Erfahrungen zum Trotz – mehr vertrauen als den privaten Arbeitgebern.

Auch gilt es als ausgemacht, dass es gut ist, bei den Lernenden „Problembewusstsein“ zu schaffen. Und das stimmt auch. Kritische Konsumenten sollten die Werbung durchschauen und etwa Lieferketten hinterfragen können. Künftige Arbeitnehmer sollten ihre Rechte und die Bedeutung von Gewerkschaften kennen, alle Staatsbürgerinnen müssen sich gegen Lobbyismus wenden.

Über Deindustrialisierung schimpfen und Industrieansiedlungen blockieren

Keine Frage: Mächtige Wirtschaftsinteressen – in der Gas-Lobby etwa – haben einen Teil unserer heutigen Probleme verursacht. Aber einen anderen Teil verursacht das grundsätzliche Misstrauen gegen wirtschaftliche Interessen. Und das äußert sich nicht nur in den radikalen Klima-Aktionen von Ende Gelände oder der Letzten Generation, sondern dieser Tage etwa in Grünheide bei Berlin, wo Tesla sein Autowerk erweitern will. Das wird Arbeitsplätze schaffen, den Wert der Häuser und Grundstücke steigern, kurzum dem Ort weiteren Wohlstand verschaffen und überdies dem Standort Deutschland nutzen.

Dafür müssten 100 Hektar Wald gerodet werden. Also ein Quadratkilometer oder 100 Bundesliga-Fußballfelder. Nicht schön, aber verkraftbar. In einer Volksabstimmung haben sich aber zwei Drittel der Bürger in Grünheide dagegen ausgesprochen. Tesla mit ihrem Chef Elon Musk ist für viele ein Hassobjekt. Anderswo sind es andere Hassobjekte. So haben sich kürzlich die Bürger des bayerischen Dorfs Mehring mit 928 zu 454 Stimmen gegen die Errichtung eines Windparks auf ihrem Gebiet entschieden. Mit den 40 Rotoren wollte die Landesregierung Firmen im nahegelegenen sogenannten Chemiedreieck mit billigem Strom versorgen. Ökostrom – nein danke, sagen aber die Leute in Mehring. Unterleuten lässt grüßen.

Man kann jedoch nicht über die Deindustrialisierung Deutschlands schimpfen, wenn man Industrieansiedlungen und Energieprojekte blockiert. NIMBY heißt die Haltung des Ohnemichel im Englischen: „Not in my backyard“ – nicht in meinem Garten, nicht hinter meinem Haus. Und diese Haltung wird befördert durch einen Unterricht, in dem die Wirtschaft nur als Problem erscheint, nicht als Lösung.

Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass die Zahl der Existenzgründungen, also der Gründung neuer Firmen, seit dem Höhepunkt 2003 rapide gesunken ist und seit 2016 vor sich hindümpelt.  

Dafür, wie für die NIMBY-Haltung der Bürger, gibt es viele Gründe, aber einer dürfte die negative Haltung gegenüber dem Unternehmertum sein, die in deutschen Lehrbüchern vermittelt wird. „Die Zeitenwende in der ökonomischen Bildung wird gerade verpasst“, sagt Thomas Hoppe, Bundesvorsitzender der Jungen Unternehmer, die zusammen mit der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung die Studie in Auftrag gaben. „Es wird Misstrauen gegenüber Unternehmern und dem Markt vermittelt und der Staat zur einzigen Lösung stilisiert. Da ist es doch kein Wunder, dass immer weniger junge Menschen gründen wollen und bei jedem Problem nach dem Staat rufen.“

Da ist etwas dran.

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