Die Identitätspolitik verlangt die totale Ausdifferenzierung – auch bei Chat-Bildchen. Die Grenze zwischen Symbol und Wirklichkeit verschwimmt.
Schon der Vorschlag hatte Kontroversen ausgelöst, nun ist es offiziell: Apple-Nutzer werden bald das Emoji eines schwangeren Mannes versenden können. Auch eine geschlechtsneutrale «schwangere Person» wird in die Beta-Version des neuesten Betriebssystems aufgenommen.
In den USA brachte die Ankündigung republikanische Politiker auf den Plan: Der ehemalige Pressesprecher des Weissen Hauses Sean Spicer bedauerte auf Twitter, dass er in der Schule Geologie statt Biologie gewählt habe und darum nun das neue Emoji nicht verstehe. Der prominente Fox-News-Moderator Tucker Carlson bezeichnete das Emoji gar als «Desinformation» – und warnte die männlichen Zuschauer vor einer ungewollten Schwangerschaft.
Von rechten Kritikern oder auch moderateren Stimmen, die einen Zusammenhang zwischen Geschlecht und Schwangerschaft erkennen wollen, lässt sich das Unicode-Konsortium nicht verunsichern. In dieser gemeinnützigen Organisation stimmen sich die grossen Tech-Konzerne über gemeinsame Standards für Codierungen, also etwa Schriftzeichen oder Emojis, ab. Nach und nach werden diese dann von den einzelnen Unternehmen übernommen. Zu den Kriterien zählt, dass die neuen Emojis in kleinem Format leicht zu erkennen sein und etwas Neues ausdrücken sollten, das nicht schon durch andere Emojis vermittelt werden könne. Ausserdem muss mit einer häufigen Verwendung gerechnet werden können.
Schwule Ampelmännchen und Weihnachtspersonen
Letzteres scheint jedoch nicht immer den Ausschlag zu geben: 2020 beglückte das Konsortium die Nutzer unter anderem mit einem Mann im Brautschleier und einem geschlechtsneutralen Weihnachtsmann. Allerdings weisen die Entwickler darauf hin, dass neue Emojis auch metaphorisch zu verstehen sein müssten: Das Schwein könne als Zeichen für die Polizei genutzt werden, der schwangere Mann stehe für das Überfressen. Und wer kennt nicht die Phasen emotionaler Aufgewühltheit, in denen sich mal wieder die innere männliche Braut meldet?
Dass im Bemühen um die Repräsentanz aller gesellschaftlichen Gruppen zunehmend Symbol und Wirklichkeit durcheinandergeraten, deutete sich schon vor einigen Jahren an, als in zahlreichen europäischen Städten schwule und lesbische Ampelmännchen installiert wurden. Wer seither die Strasse überquert, fragt sich manches Mal, ob im letzten roten Aufflackern nicht eine gewisse Zweideutigkeit lag.
Immerhin kann man davon ausgehen, dass das Ampelmännchen mit der Schwangerschaft des Emojis nichts zu schaffen hat: Denn im Universum der Emojis sind Geschlechtsteile nicht vorhanden. Als zweiter Vater kommt wohl nur der Heilige Geist infrage.
Diversität ohne Grenzen?
Anderen Körperregionen begegnet das Konsortium weniger verschämt: 2020 ergänzte es ein anatomisches Herz und eine Lunge. Letztere kam zusammen mit dem im selben Jahr eingeführten Grabstein durchaus zum richtigen Zeitpunkt. Auch non-binäre Royals kommen in Zukunft dank der «Person mit Krone» auf ihre Kosten. Gender-bewusst, wie die Tech-Branche nun einmal ist, wird bestimmt bald auch ein Mann mit muslimischem Kopftuch ins Repertoire aufgenommen. Oder kennt die Diversität etwa Grenzen?
In Zeiten steigender Sensibilität verlangt die Identitätspolitik die totale Ausdifferenzierung. Das Symbol wandelt sich von einer Vereinfachung der Realität in deren originalgetreue Abbildung. 25 neue Emoji-Versionen des Händeschüttelns sollen ab dem Frühjahr alle Kombinationen von Hautfarben erfassen. Die Übersicht der schüttelnden Hände erinnert an Rassenkunde-Tafeln aus dem 19. Jahrhundert. Um einen Fauxpas bei der Arbeit zu vermeiden, sollte man solch eine Farbtafel lieber im Büro dabei haben, um die Hautfarben der Kollegen abzugleichen – falsch gewählte Emojis bringen einem schliesslich schnell den Vorwurf des Rassismus ein.
Wer bis anhin ohne Bedenken Smileys verwendete, muss sich nun wohl fragen lassen, was mit seiner Selbstwahrnehmung nicht stimmt: Sieht er beim Blick in den Spiegel einen knallgelben Pfannkuchen? Die Grenze zwischen Symbol und Realität verschwimmt. Man blicke dem Erdal-Frosch bloss nicht zu tief in die Augen: Es könnte eine Anzeige wegen Sodomie ins Haus stehen.