In Bayern werden Corona-Fälle, bei denen der Impfstatus unbekannt ist, als Ungeimpfte eingestuft. ZDF-Moderator Markus Lanz nennt das „skurril“. CSU-Generalsekretär Markus Blume verteidigt das Vorgehen der Landesregierung – und löst mit einer Aussage heftigen Widerspruch aus.
Glaubwürdigkeit – das war eines der zentralen Themen für Markus Lanz diese Woche. Am Donnerstagabend sprach der Moderator in seiner ZDF-Sendung darüber auch mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und CSU-Generalsekretär Markus Blume. Warum haben Politiker eine Impfpflicht erst kategorisch ausgeschlossen, um sie jetzt doch zu befürworten?
„Herr Tschentscher, war das ein Fehler?“, fragte Lanz, nachdem in einem Einspieler zu sehen war, wie reihum ein Politiker nach dem anderen in den vergangenen Monaten eine Impfpflicht abgelehnt hatte. „In einer Pandemie etwas auszuschließen, das lehrt jetzt die Erfahrung aus den letzten anderthalb Jahren, ist immer ein großes Risiko“, sagte der SPD-Politiker. Der Stimmungsumschwung rühre aber auch daher, dass vielen klar geworden sei, dass die aktuelle Impfquote nicht ausreiche, um durch die Pandemie zu kommen.
Als die Frage an Markus Blume ging, wiegelte der zunächst ab: „Wir müssen uns davor hüten, mit den Kenntnissen von heute zu beurteilen, was vor einem halben oder einem Jahr los war.“ Er ergänzte: „Es ist richtig, in einer freiheitlichen und offenen Gesellschaft nicht gleich mit dem großen Hammer zu kommen, sondern erst mal…“ Er wollte sagen: das mildeste Mittel zum Einsatz zu bringen. Den Satz konnte Blume aber nicht beenden, weil Moderator Lanz einwarf: „… sondern erst mal die Wahl abzuwarten.“ Immerhin gestand Blume ein, dass sich die Landesregierung bei der Impfbereitschaft getäuscht habe.
Bei einem weiteren Thema ließ Lanz den CSU-Politiker ebenfalls nicht gut aussehen. Es ging um die Datenlage in Deutschland, insbesondere in Bayern. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spricht gerne von der Pandemie der Ungeimpften. Der Freistaat weist dazu auch die Sieben-Tage-Inzidenz von Geimpften und Ungeimpften getrennt aus.
Eine WELT-Recherche ergab jedoch, dass die Zahlen nicht korrekt sind. Denn: Jene Infizierten, bei denen der Impfstatus unklar ist, werden den Ungeimpften zugeschlagen.
Eine Aussage von Markus Blume löst prompt Protest aus
„Das finde ich irgendwie skurril“, sagte Lanz darüber. Und ergänzte: „Das ist doch verrückt.“ „Nee, das ist nicht verrückt“, widersprach Blume. „Das ist ein Erfahrungswert aus den Wochen und Monaten davor.“ Es gebe verschiedene Studien, mit denen klar werde: Von denen, die keine Angabe machen, sind 80 oder 90 Prozent nicht geimpft.
Leider nehmen die Corona-Infektionen gerade bei Ungeimpften dramatisch zu. Es gibt einen direkten Zusammenhang von niedrigen Impfquoten und hohen Infektionsraten. Lassen Sie sich daher bitte impfen. Nur Impfen hilft. pic.twitter.com/pu09922WJm
— Markus Söder (@Markus_Soeder) November 18, 2021
„Es ist misslich, dass die meisten Länder in Deutschland wie auch das RKI deswegen Schätzverfahren anwenden müssen, um zu möglichst genauen Zahlen zu kommen“, gab Blume zu. „Auf der anderen Seite muss man ehrlicherweise auch sagen: Ob jetzt die Inzidenz von Ungeimpften um den Faktor acht-, zehn- oder zwölfmal höher ist, ist nicht total entscheidend.“
Da gab es prompt heftigen Widerspruch in der Lanz-Runde. „Sie befeuern doch ein Narrativ damit, und das nicht ohne Absicht, wenn man das im Kontext sieht“, befand die Ethikerin Christiane Woopen.
„Das ist doch der Stoff, aus dem Verschwörungstheorien gestrickt werden: dass man die Dinge nicht so genau weiß“, urteilte die „FAZ“-Redakteurin Helene Bubrowski. „Sie sagen jetzt acht, zehn, zwölf. Aber das ist doch genau das, wo die Leute reinstoßen und sagen: Die Zahlen stimmen gar nicht.“
Markus Lanz hat eine Idee
„Was ist Ihr Rezept dann?“, fragte Blume, der sich offenbar Tipps für die politische Kommunikation aus der Talkshow-Runde erhoffte.
Die Idee kam von Moderator Markus Lanz: Schleswig-Holstein weise die Inzidenz für Menschen, bei denen der Impfstatus nicht bekannt ist, gesondert aus. „Was dann interessanterweise in der Statistik dazu führt, dass der Faktor bei der Inzidenz für Ungeimpfte nur zweimal und nicht dreizehnmal höher ist“, sagte der Moderator. „Das ist für Verschwörungsnarrative natürlich ein riesiger Unterschied.“
Blume war von der Idee nicht überzeugt. „Diese Zahl liegt ja viel weiter weg von der tatsächlichen Lage als die andere Zahl“, sagte er. „Das ist eine grobe Unterschätzung.“
Lanz gab dem CSU-Politiker recht. Fügte dann aber hinzu: „Wir sind uns doch alle in der Runde einig: Es kann doch nicht sein, dass ein hoch entwickeltes Land wie Deutschland schätzen muss, wie viele Leute geimpft sind?“
„Es gibt viele Dinge in Deutschland, die so ähnlich sind, und eigentlich unglaublich sind“, sagte Bubrowski. Sie sprach sich für eine anonymisierte Erfassung der Impfdaten aus.
„Das tut Not, weil wir in dieser heißen Diskussionsphase verlässliche Daten brauchen“, ergänzte der Virologe Timo Ulrichs. „Gesundheit ist in Deutschland Ländersache, das Robert-Koch-Institut hat da keine Handhabe, aber es kann da immerhin Vorschläge unterbreiten, wie man das besser machen kann.“ Dringend würden bessere Daten gebraucht. Zum Beispiel mit einem zentralen Impfregister.
Lanz forderte Markus Blume am Ende der Sendung auf, doch in seiner Sendung ein Impfregister zu fordern. „Ich glaube, an der Stelle müssen wir tatsächlich vorankommen“, sagte Blume lediglich und duckte sich dann weg. „Das ist jetzt, lieber Herr Lanz, wie Sie auch wissen, Aufgabe der neuen Bundesregierung.“