Sein angeblich erfundenes Interview mit erdogannahen Medien lässt dem Kanzlerkandidaten keine Ruhe. Weil Laschet nicht gegen die Vereinnahmung durch das AKP-Regime protestiert, gerät er nun unter Feuer – zu Recht.
Ende Juli wurde Armin Laschet in der deutschen Öffentlichkeit unmöglich gemacht – durch ein Interview, das für die türkische Öffentlichkeit gedacht war. Dieses will Faruk Sen mit dem CDU-Kanzlerkandidaten geführt haben. Sen leitete bis 2008 das Zentrum für Türkeistudien in Essen. Laschet war damals NRW-Integrationsminister und hatte viel mit Sen zu tun.
Das Interview der beiden veröffentlichte die türkischsprachige Zeitung „Sabah“ in ihrer Europaausgabe. Laschet rühmt in dem Interview die Türkei überschwänglich („Ich habe eine große Liebe zur Türkei“). Zu Recht. Die Türkei ist ja auch ein schönes Land.
Doch über das gar nicht schöne AKP-Regime dieses Landes verliert er kein einziges kritisches Wort – obgleich es die Demokratie filetiert, Medien gleichgeschaltet und Minderheiten mit übelsten Repressionen überzogen hat. Stattdessen kündigte Laschet im Interviewtext an, als Kanzler würde er sich für ein „sehr ernsthaftes Partnerschaftsabkommen“ mit diesem Regime einsetzen. Das passt zu den Lesern der „Sabah“, die für AKP-Nähe bekannt ist. Aber zu einem Demokraten wie Laschet passt es ganz und gar nicht. Es wirkt geradezu ruinös. Nein, es würde ruinös wirken – wenn das Interview geführt worden wäre. Genau das bestritt die Staatskanzlei jedoch auf WELT-Anfrage vor einigen Wochen. Auch Sen wurde auf dpa-Anfrage wortkarg, ließ das Interview von seiner Website verschwinden und sagte in maximaler Schwammigkeit, die Sache sei mit der Staatskanzlei „geklärt“.
Ist sie das wirklich? Und wenn ja: wie? In den sozialen Medien beteuert Sen weiterhin, er habe das Gespräch mit Laschet sehr wohl geführt. Wann und wo, wollte er auf WELT-Nachfrage allerdings nicht verraten. Auch irritiert, dass die Staatskanzlei Sen nicht zum Schweigen bringt – wenn er doch die Unwahrheit sagt. Auf Anfrage erklärte die Staatskanzlei zwar, Laschet habe in den vergangenen drei Jahren nur ein Mal mit Sen kommuniziert. Im März 2019. Aber warum geht die Staatskanzlei dann nicht juristisch vor gegen ein angeblich frei erfundenes Interview, das Laschet als kritiklosen Regime-Freund, ja fast als Erdogan-Claqueur präsentiert? Warum lässt er den Erfinder dieses vermeintlich zusammenfantasierten Textes gewähren, der noch immer behauptet, das Gespräch habe stattgefunden?
Gab es womöglich doch einen informellen Austausch zwischen Sen und zumindest dem Umfeld Laschets? Hatte irgendwer in der Staatskanzlei gehofft, Laschet könne an der deutschen Öffentlichkeit vorbei ausschließlich mit der türkischen kommunizieren– sozusagen mit gespaltener Zunge? Um ein paar türkeistämmige Wähler zu gewinnen?
Das will die Grüne Berivan Aymaz nun genauer wissen. In einer kleinen Anfrage erkundigt sie sich, ob Mitarbeiter oder Beauftragte Laschets und seiner Staatskanzlei mit Sen gesprochen haben. Diese Anfrage hat einen ernsten Hintergrund. Die Grüne verweist auf den aktuellen Verfassungsschutzbericht. Ihm zufolge bemühen sich ausländische Akteure zunehmend um „Vereinnahmungsversuche politischer Entscheidungsträger“ und „Beeinflussung der öffentlichen Meinung über die Medien“. Hat Laschet sich also von Medienstrategen des AKP-Regimes vereinnahmen, ja einseifen lassen?
Das mag man glauben oder nicht – ein Kanzlerkandidat muss über solch einen Verdacht erhaben sein. Laut und deutlich müsste er gegen jeden etwaigen Vereinnahmungsversuch protestieren. Doch Laschet zieht es vor zu schweigen. Wie seine Gegner sagen würden: Er kneift.