Andrea Böhm

Klimafreundlich, aber menschenfeindlich

16.12.2021
Lesedauer: 5 Minuten
Quelle: zeit.de

Für Elektroautos braucht man Rohstoffe aus Ländern, in denen Menschenrechte und Umweltschutz missachtet werden. Doch es ist möglich, mehr Gerechtigkeit zu schaffen.

Joe Biden hat vergangene Woche Staats- und Regierungschefs zu einem virtuellen Demokratiegipfel eingeladen. Mit dabei war Félix Tshisekedi, Präsident der Demokratischen Republik Kongo. Man kann darüber streiten, wie demokratisch die Verhältnisse dort sind. Tshisekedi kam 2019 durch eine Wahlfälschung an die Macht, die er nun abwechselnd mit politischer Manipulation und Reformversuchen festigen will.

Die US-Regierung hat den Mann jedenfalls zum Partner in Sachen Klimaschutz auserkoren. Das ist im Prinzip eine gute Idee. Ohne den afrikanischen Kontinent wird man die Erderwärmung nicht bei 1,5 Grad abbremsen können. Schon allein weil sich hier riesige Vorkommen von Rohstoffen befinden, die man für die globale Energiewende braucht – vor allem im Verkehrssektor: Kupfer, Nickel, Lithium, Kobalt. Womit wir mitten in der Demokratischen Republik Kongo sind.

Kobalt wird für die Herstellung von Batterien für Elektroautos benötigt. Deren weltweiter Verkauf steigt rasant. Nicht nur Tesla, auch VW, Mercedes, Toyota und chinesische Hersteller verheißen inzwischen emissionsfreie Mobilität. Selbst fossile Schlachtrösser wie General Motors rüsten um. Ab 2035 soll es von GM nur noch elektrische Pick-up-Trucks und SUV geben.

„Neues Saudi-Arabien“

Dafür braucht man Batterien, also auch Kobalt. Sehr viel Kobalt. Die weltweit größten Vorkommen an Land befinden sich im Südosten des Kongo, wo Bergbauunternehmen und Kleinschürfer derzeit 60 Prozent des globalen Nachschubs produzieren. Hier entstehe gerade ein „neues Saudi-Arabien“ im Energiegeschäft, schwärmten Investoren schon vor einigen Jahren.

Bloß war Rohstoffreichtum im Kongo anders als am Golf bislang immer Fluch statt Segen – egal was gerade ausgebeutet wurde: Kautschuk für Europas Industrialisierung durch mörderische koloniale Plantagenwirtschaft. Uran für das amerikanische Atomwaffenprogramm (und die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki). Diamanten, Gold und Kupfer für die privaten Kassen des Diktators Mobutu samt Entourage und nach dessen Sturz für Dutzende plündernde ausländische Armeen und einheimische Milizen. Zuletzt hatte sich Tshisekedis Amtsvorgänger Joseph Kabila in der Tabelle der Kleptokraten eifrig nach oben gearbeitet. 

Vor wenigen Wochen dokumentierten afrikanische NGOs und internationale Medien dank eines gewaltigen Datenlecks die systematischen Plünderungen der Kabila-Familie – mit Hilfe des staatlich kontrollierten Bergbaukonzerns Gécamines, chinesischer Unternehmen und internationaler Banken. Der Profit aus den Ressourcen des Landes hat sich über Jahrzehnte also auf wechselnde Eliten verteilt. Heute leben über zwei Drittel der Kongolesinnen und Kongolesen unterhalb der Armutsgrenze von weniger als 1,90 Dollar am Tag.  

Zu ihnen zählen die Kleinschürfer, darunter viele Kinder, die mit Schaufeln, Eimern und bloßen Händen in selbst gegrabenen Tunneln nach Rohstoffen suchen und von Zwischenhändlern mit ein paar kongolesischen Francs abgespeist werden. Sie fördern bis zu einem Drittel des gesamten kongolesischen Kobaltexports. Man könnte jetzt achselzuckend sagen: Da ändert sich ja nie was. Falsch. Da ändert sich gerade doch etwas. 

Hungerlöhne von nicht mehr als drei Dollar

Afrikanische NGOs und internationale Medien sind heute gut genug vernetzt, um investigative Recherchen durchzuführen. Das ist schon ein enormer Fortschritt. Gerade erst haben Arbeitsrechtler des kongolesischen Centre d’Aide Juridico-Judiciaire (CAJJ) zusammen mit der britischen NGO Raid massive Verstöße gegen Menschenrechte und internationale Arbeitsschutzstandards in mehreren industriellen Kobaltminen im Kongo dokumentiert. Dort werden rund 70 Prozent des gesamten Exports gefördert.

Hungerlöhne von nicht mehr als drei Dollar am Tag, Schläge, keine oder ungenügende Schutzausrüstung – so lauten einige der Vorwürfe. Laut CAJJ und Raid landet das so produzierte Kobalt unter anderem bei Tesla, Volvo, Volkswagen und General Motors. Das neue E-Auto – klimafreundlich, aber menschenfeindlich.

Nun gibt es anders als noch vor ein paar Jahren heute einen ganzen Baukasten an Instrumenten, um gegen diese Ausbeutung vorzugehen: Sorgfaltspflichten für Unternehmen, Zertifizierung von Rohstoffen, Lieferkettengesetze – oder wie zuletzt bei der Klimakonferenz in Glasgow das Bekenntnis, „grünes Wachstum“ an globalen Arbeits- und Umweltschutz zu koppeln. Aber Papier ist geduldig. Viele dieser Maßnahmen sind zu unkonkret und basieren auf freiwilliger Selbstverpflichtung statt auf rechtlicher Verbindlichkeit.

Zertifizierte Handelsketten

Doch seit 2019 ist in den USA eine Klage gegen Apple, Dell, Google, Microsoft und Tesla anhängig, weil sie von Kinderarbeit in kongolesischen Kobaltminen profitiert haben sollen. Kobalt wird auch für Batterien in Laptops und Smartphones verwandt. Deutsche und kongolesische Geologen arbeiten seit Jahren an „Certified Trading Chains“, zertifizierten Handelsketten für eine nachhaltigere und sozial gerechtere Rohstoffproduktion, die auch auf Kobalt ausgeweitet werden könnten. Und der kongolesische Präsident Tshisekedi hat vor zwei Wochen – auf anhaltenden Druck Washingtons – den Chef von Gécamines und Kabila-Gefährten Albert Yuma entlassen, unter dessen Amtszeit mehrere Milliarden Dollar an Einnahmen aus der Rohstoffförderung verschwunden sein sollen.

Für den einheimischen Bergbausektor sind unterdessen Reformen angekündigt: Maßnahmen gegen Kinderarbeit, staatlich regulierter und besser bezahlter Ankauf von Kobalt der Kleinschürfer, eine Überprüfung der obskuren Rohstoffverträge des Kabila-Regimes mit chinesischen Unternehmen. Den Rohstoffgiganten Glencore, Betreiber einer Kobaltmine, will die kongolesische Regierung zwingen, den Rohstoff im Kongo nicht nur abzubauen, sondern dort auch zu verarbeiten.  

Wer es noch nicht gemerkt hat: Hinter dem neuen Engagement der USA im Kongo steckt keineswegs nur das hehre Interesse am Klimaschutz, sondern auch am Einhegen des großen Rivalen China. Hinter Tshisekedis Reformplänen steckt nicht nur das Interesse am Wohlergehen seiner Landsleute, sondern auch die Angst, die anhaltend skandalösen Zustände bei der Rohstoffförderung könnten die Abnehmer verscheuchen. Nicht nur bei Tesla hofft man schließlich auf kobaltfreie Batterien, an denen Wissenschaftler bereits arbeiten. Die EU setzt in ihrem Green Deal auf neue Abbaugebiete in Europa, Frankreich will die technischen Voraussetzungen für die Kobaltförderung in der Tiefsee vorantreiben, wo weit mehr Reserven lagern als im Kongo. Was für die kongolesischen Bergarbeiter eine schlechte Nachricht wäre – abgesehen von den Folgen für die Ozeane.

Josué Kashal, einer der Arbeitsrechtler, die die Lage der Schürfer in den Kobaltninen untersucht haben, glaubt immer noch daran, dass die globale Energiewende gerecht gestaltet werden kann. Er sagt, der Boom der Elektroautos sollte eigentlich die Chance bieten, die Armut im Kongo zu bekämpfen.

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