Wer hätte gedacht, dass es heute politisch heikel ist, öffentlich davon zu erzählen, als Kind fantasiert zu haben und sich in andere Welten zu beamen? Bei den Grünen ist man da unten durch. Unser Kolumnist tut es trotzdem: Er gab den Indianerhäuptling.
Moralisch hochüberlegene Spießer dieser Welt, bevor Sie mich verwünschen und gedanklich steinigen, müssen Sie eine schlimme Hölle erleiden, die ich gleich vor Ihnen ausbreiten werde. Daher warne ich Sie, es sich bestens zu überlegen, ob Sie weiterlesen oder nicht. Ich verwende in Kürze einen Begriff, der im Verdacht steht, „herabwürdigend gegenüber Angehörigen indigener Bevölkerungsgruppen“ zu sein. Ich gebe zu, als Bub Cowboy und Indianer gespielt zu haben. Mal war ich der weiße Pistolero, der schneller schoss als Lucky Luke, mal die Rothaut, die dem Blutsbruder und der Blutsschwester das Leben rettete. Mit etwas Glück durfte ich an manchen Tagen sogar Häuptling der Indianer sein, den wir damals „den Bestimmer“ nannten, weil wir nicht wussten, dass es „der Entscheider“ heißt. Das haben wir erst nach der Wiedervereinigung gelernt.
Ich habe einen Ausdruck benutzt, den Menschen als diskriminierend empfinden können, und zwar sehr konkret. So etwas passiert. Inzwischen habe ich mit einem Parteimitglied gesprochen, die das persönlich betrifft und die dieser Ausdruck tatsächlich verletzt. Auf eine solche..(1/3) https://t.co/Kd5xK0I1j8
— Bettina Jarasch (@Bettina_Jarasch) March 27, 2021
Ich hätte nicht gedacht, dass es eines Tages als politisch unkorrekt gelten könnte, davon zu erzählen, als Kind von anderen Kontinenten und ihren Bewohnern geträumt zu haben, dass es verwerflich sein könnte, in die Rolle eines unbekannten Indianers oder Häuptlings geschlüpft zu sein, noch dazu in der Ostzone, wo Cowboy und Indianer die Inbegriffe naiver Vorstellungen von Ferne und Abenteuer im Wilden Westen waren, bevor die Treuhand kam und das Territorium in den Wilden Osten verwandelte. Obwohl ich ein tadelloser Sehr-Gutmensch bin, bitte ich keinesfalls um Vergebung, mich in Personen hineinversetzt zu haben, ohne je eine echte Friedenspfeife geraucht und in einem preiswerten Wigwam geschlafen zu haben. Sollte mich das nachträglich zum Rassisten machen, täte es mir verdammt leid. Ich war ein Junge, der nichts von der Welt und dem All wusste und den Mars für einen Schokoriegel hielt, den man nur im Intershop kaufen konnte.
Das war zu einer Zeit, als die In-den-Grünen-Seienden, wie Mitgliederinnen und Mitglieder der Grünen neuerdings genannt werden müssen, damit auch der letzte Cowboy kapiert, dass Mitglieder nicht „mit Glied“ bedeutet, sondern auch Menschen ohne Glied einschließt. Sie haben es sicher mitbekommen, dass ein In-den-Grünen-Seiender die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, Bettina Jarasch, fragte: „Was wolltest du werden, bevor du Regierende Bürgermeisterin werden wolltest?“ Die naive Frau, ungefähr so alt wie ich, teilte meinen Traum: Sie wollte „Indianerhäuptling“ werden. Hilfe! Sie hätte sagen müssen: „Ich wollte die Welt retten, indem ich ganz viel von dem, was Spaß macht, verbiete.“ Oder: „Ich wollte nicht zur Schule und die Klimabewegung ‚Freitage für die Zukunft‘ gründen“ – Anglizismen waren vor 40 Jahren noch nicht so populär.
Es folgt ein Warnhinweis
Das später ins Netz gestellte Video versahen die sprachbewussten Grünen mit einem „Warnhinweis“: „An dieser Stelle wurde im Gespräch ein Begriff benutzt, der herabwürdigend gegenüber Angehörigen indigener Bevölkerungsgruppen ist. Wir haben diesen Teil daher entfernt. Auch wir lernen ständig dazu, und wollen weiter daran arbeiten, unser eigenes Handeln und Sprechen weiter auf diskriminierende Denkmuster zu hinterfragen.“ Gerne, aber Berliner Grüne, bringen Sie doch bitte vorher das Impf- und Testdebakel in der Stadt auf die Reihe und legen Sie Gesetze vor, die nicht vom Bundesverfassungsgericht einkassiert werden. Das wäre ein Fortschritt und würde Ihnen den Dank von Menschen aller Hautfarben einbringen, die nun viel Miete nachzahlen müssen.
Der Gipfel war, dass sich Jarasch, diese Friedenspfeife, für ihre „unreflektierten Kindheitserinnerungen“, die „andere verletzen“ könnten, entschuldigte, ich könnte auch sagen: sich moralisch skalpierte. Halbtote Bußrituale sind bei den Grünen inzwischen genauso wichtig wie lebendiger Kampf gegen Rassismus. Es ist absurd, dass sich eine Erwachsene für die Offenlegung ihrer Kinderträume steinigt. (Falls sich irgendein Christ durch die Verwendung des Begriffs „steinigt“ beleidigt fühlt, kann ich nur sagen: Ich lerne ständig dazu und will weiter daran arbeiten, mein Handeln und Sprechen weiter auf diskriminierende Denkmuster zu hinterfragen.)
Genauso bizarr ist, dass die Berliner Grünen auf die aussichtsreichen Plätze ihrer Landesliste zur Bundestagswahl keine einzige Rothaut setzten, noch nicht mal eine Türkischstämmige, von denen es in der Stadt nun wahrlich viele gibt. Laut „taz“ unterlag ein Özcan Mutlu, „der mit seiner Erfahrung und seinem Migrationshintergrund für sich warb“, klar bei der Abstimmung um Platz 6 gegen eine Laura Sophie Dornheim. Laura Sophie Dornheim klingt nach meinem Gefühl urdeutsch. Aber ich bin auch kein Sprachsensibler. Immerhin kam mit einer Juliana Wimmer eine Frau auf Platz 8, die „brasilianische Wurzeln“ habe. Kann es sein, dass bei der Verteilung von Macht auch bei den Grünen die multikulturelle Vielfalt aufhört?
Ein friedlicher Entscheider
Zu meiner Ehrenrettung schwöre ich übrigens, dass ich als Junge nichts wusste von der Vernichtung indigener Ureinwohner Amerikas durch weiße Fieslinge. Das Skalpieren habe ich nur nachgeahmt, will sagen: Ich habe meine Feinde, die mein imaginärer Pfeil traf, nie wirklich die Haare samt Haut vom Kopf getrennt – ich war im Tiefsten meines Herzens ein friedlicher Indianer (und Cowboy).
Tatsächlich hat das Gute immer gesiegt, zumindest wenn ich der Entscheider war – und ich kann mit einiger Berechtigung behaupten, den Job des Indianerhäuptlings verdammt gut gemacht und damals den Grundstein zur Werdung des Sehr-Gutmenschen gelegt zu haben, der ich bis heute ohne jeden Zweifel bin, auch wenn ich auch heute nicht unter Gendersternen reite, die falschen Begriffe verwende, als Kind politisch unkorrekt geträumt und mich in eine Rothaut versetzt habe, weil ich nicht wusste, dass man das als Mensch mit Weißhaut nicht tun sollte, da man keine Ahnung hat, wie es ist, „Betroffener“ zu sein.
Geheimsprache bei Fridays for Future
Ein anderer meiner Kinderträume war, in einer Weise kommunizieren zu können, die nur ich und ein paar Auserwählte verstehen. Offenkundig haben diesen Wunsch Kinder und junge Leute von heute ebenfalls. Im Gegensatz zu mir haben sie es allerdings geschafft und eine Geheimsprache erfunden: „TERFs (Trans Exclusive Radical Feminists) wollen nur Menschen mit Uterus und XX-Chromosomen empowern. Damit bewegen sie sich auf einer Wellenlänge mit allen Sexist*innen, die weiblich gelesene Personen auf ihren Körper reduzieren.“ Haben Sie das verstanden? Ich nicht ansatzweise. Das hat Fridays for Future getwittert. Meine Fragen lauten: Was hat das mit Klimawandel zu tun? Und wer oder was ist eine weiblich gelesene Person?
Die Frage könnte ich einer Führungskräftin der Grünen stellen, die auch an die Macht will und auf Twitter verkündete: „Grüne Zukunft ist nichts, was uns einfach passiert. Wir haben sie in der Hand. Und wir können sie besser machen – mit einer feministischen Regierung, einem zukunftsfähigen Gesundheitssystem und einem neuen Sicherheitsversprechen.“
Es ist erstaunlich, dass eine politische Organisation 23 Prozent der Bevölkerung wählen wollen, obwohl In-ihr-Seiende derartige Phrasen in die Welt posaunen. Nichtssagendes Geblubber ist nichts, was uns einfach passiert. Es kommt aus Köpfen. Wir haben es in der Hand, qualifizierter zu reden. Ich hoffe, dass die feministische Regierung das berücksichtigt. Aber das bleibt wohl ein Traum wie der, Cowboy, Indianer oder gar Indianerhäuptling zu sein.
Quelle: ntv.de