Sahra Wagenknecht im Cicero-Interview

„In der AfD sind nicht alles Rechte oder gar Nazis“

23.04.2021
Lesedauer: 3 Minuten

In ihrem neuen Buch geht Sahra Wagenknecht hart ins Gericht mit linker Identitätspolitik. Es ist eine Kampfansage an die eigene Partei. Dabei ist die ohnehin nicht gut auf die Vorzeigefrau zu sprechen. Dagegen benutzt die AfD sie für den Wahlkampf. Wie kommt sie aus dieser Sackgasse wieder heraus?

Eigentlich hatte man sich mit ihr zum Zoom-Interview verabredet, doch eine Stunde vorher kommt ein Anruf: Frau Wagenknecht möchte lieber telefonieren, es gebe „Übertragungsprobleme“. Unter der angegebenen Festnetz-Nummer meldet sich eine männliche Stimme: „Meine Frau telefoniert gerade noch, rufen Sie später nochmal an.“ 15 Minuten später ruft er zurück und verbindet uns. Oskar Lafontaine als Privatsekretär seiner Frau. 

Frau Wagenknecht, wie definieren Sie „selbstgerecht“?

Selbstgerecht sind die Meinungsführer eines gutsituierten großstädtischen Milieus, die ihren privilegierten Lebensstil für eine persönliche Tugend halten. Selbstgerecht sind Linke, die meinen, selbst keinen Fehler gemacht zu haben, wenn rechte Parteien stärker werden, und die stattdessen die angeblich unverständigen Wähler verantwortlich machen. Selbstgerecht ist es, andere zu belehren, wie sie zu reden, zu denken und zu leben haben.

In Ihrem neuen Buch „Die Selbstgerechten“ rechnen Sie mit Parteigenossen ab, denen Sie vorwerfen, sie würden ihr Augenmerk auf „auf immer kleinere und skurrilere Minderheiten“ richten, die „ihre Identität in irgendeiner Marotte“ finden. Ist das nicht auch ziemlich selbstgerecht?

Es geht nicht primär um Parteigenossen, es geht um eine bestimmte Haltung, die leider in der gesellschaftlichen Linken europaweit immer verbreiteter ist. Und die dazu beiträgt, dass die linken und sozialdemokratischen Parteien immer schwächer werden, weil sie diejenigen verlieren, deren Stimme und Interessenvertretung sie eigentlich sein sollten, nämlich Menschen, die um ihr bisschen Wohlstand immer mehr kämpfen müssen.

In Ihrer Partei kommt das Buch gar nicht gut an. Ihr Fraktionskollege Niema Movassat schäumt, es sei eine „Kriegserklärung an Hunderttausende junge Menschen, die uns wählen“. Man könnte auch von einer schallenden Ohrfeige sprechen. War nicht genau dieser Effekt beabsichtigt?

Also, eine Kriegserklärung ist es allenfalls an ein Verständnis linker Politik, das die Linke zu einer gesellschaftlich immer einflussloseren Kraft macht. Und ich bekomme aktuell auch sehr viel begeisterte Resonanz, übrigens auch von jungen Leuten und von Parteimitgliedern.

Was schreiben Ihnen die Befürworter?

Dass ich ihnen mit meiner Kritik aus dem Herzen spreche und sie froh sind, dass mit meinem Buch ein schlüssiges Gegenprogramm vorliegt, mit dem wir weit mehr Menschen erreichen könnten. Das Problem ist, dass ein Teil der Funktionsträger linker Parteien die Bodenhaftung verloren haben. Sie kommen aus relativ wohlhabenden Akademikerfamilien und haben die Menschen außerhalb ihres Milieus aus dem Blick verloren.

Das Buch ist am 14. April erschienen – vier Tage, nachdem die Linke in NRW Sie mit 61 Prozent der Stimmen zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl nominiert hat. Das Timing ist bestimmt kein Zufall. Oder hätten Sie auch noch eine Mehrheit bekommen, wenn Ihre bitterböse Abrechnung mit linker Identitätspolitik vorab erschienen wäre?

Na ja, das Buch war ja vorher schon erhältlich. Die angeblich schlimmsten Zitate wurden überall verbreitet, oft verfälschend aus dem Zusammenhang gerissen. So sollte der maximale Gruselfaktor erreicht werden.

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