Gastkommentar

Die Grünen und ihre naive Vorstellung von Willkommenskultur

06.05.2021
Lesedauer: 6 Minuten
Keine andere Partei positioniert sich so antinational wie die Grünen. Wohin wird sich Deutschland entwickeln, wenn sie an die Macht kommen? Filip Singer / EPA

Sollten die Grünen bei den Bundestagswahlen an die Macht kommen, könnten sie Deutschland möglicherweise zur bunten Einwanderungsgesellschaft umformen. Das droht zum Sprengsatz
für die Sozialkassen und die Gesellschaft zu werden.

In Deutschland wird Annalena Baerbock bereits als künftige Kanzlerin gehandelt. Falls CDU/CSU nicht doch noch zu alter Geschlossenheit und Stärke findet, haben die Grünen tatsächlich grosse Chancen, bei der Bundestagswahl im September als Erste durchs Ziel zu gehen – und damit federführend eine neue Koalitionsregierung bilden zu können. Von nicht wenigen Medien wird das geradezu hymnisch ersehnt.

Eine Frage dürfte bei einer Kanzlerin Baerbock von besonderem Interesse sein, nämlich, wie sie es mit dem Amtseid hielte, der darauf verpflichtet, «das Wohl des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden».

Bisher war bei Vereidigungen des politischen Führungspersonals allenfalls der Gottesbezug eine Frage von Relevanz. An der Verpflichtung, sich zum Wohle des deutschen Volkes einzusetzen, hat noch niemand gezweifelt. Doch mit Baerbock würde sich auch dies ändern: Keine andere Partei positioniert sich so antinational wie die Grünen. Wenn die AfD wohlgesinnt als national-konservativ bezeichnet wird, dann ist die einstige Ökopartei das genaue Gegenteil. Nicht nur der Grünen Jugend sind nationale Symbole zuwider. Ein syrischer Flüchtling wird von der Partei als Direktkandidat für den Bundestag nominiert, wo er als Erstes den Leitspruch über dem Reichstag «Dem deutschen Volke» entfernen lassen will.

Moralische Bevormundung

Robert Habeck, der in der Frage der Kanzlerkandidatur seiner Co-Vorsitzenden den Vortritt lassen musste, bekannte offen, dass er den Begriff Vaterlandsliebe abstossend finde. Von Baerbock sind derart drastische Abwehrreaktionen nicht überliefert. Aber auch sie verkörpert das Wahl- und Grundsatzprogramm ihrer Partei. Darin kommen nationale Bezüge allenfalls als Verpflichtung vor: um das Klima oder gleich die ganze Welt zu retten.

Wenn an der grünen Programmatik überhaupt Kritik geübt wird, dann an der Neigung zur moralischen Bevormundung. Wirtschaftsverbände fürchten eine «grüne Planwirtschaft» mit drastisch steigenden Abgaben und Wettbewerbsnachteilen. Weitgehend unbeachtet bleibt dabei ein Bereich, der für die Grünen mindestens ebenso wichtig wie ein radikaler Klimaschutz ist: die Veränderung des Landes in eine bunte Einwanderungsgesellschaft. Das ohnehin schon grosszügige Recht, in Deutschland aufgenommen und versorgt zu werden, soll noch generöser gehandhabt werden. Qualifikation soll ausdrücklich kein Kriterium sein, womit das formale Ziel einer «punktebasierten Talentkarte» als Nebelkerze entlarvt wird. Stattdessen propagiert Baerbock eine «einladende Zuwanderungspolitik», um «auch im gering- und unqualifizierten Bereich neue Zugangswege nach Deutschland zu schaffen», wie es im Parteiprogramm heisst.

Für Migranten noch attraktiver werden?

Das im Vergleich zu klassischen Einwanderungsländern ebenfalls sehr liberale Staatsbürgerschaftsrecht soll «für alle Menschen gelten, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben und Teil der Gesellschaft geworden sind». Damit sind auch Flüchtlinge gemeint, denen dann folgerichtig das «Recht auf politische Teilhabe» nicht verwehrt werden kann. Das schliesst das Wahlrecht ein, um die «erheblichen Repräsentationsdefizite unserer Demokratie» auszugleichen. Folgerichtig ist dann auch eine «Migrantenquote von 35 Prozent», wie sie die Linkspartei und die Grünen in Berlin für alle Bereiche des öffentlichen Dienstes fordern.

Doch nicht nur den Weg in den Staatsdienst und an die Urnen wollen die Grünen erleichtern, sondern auch den «unterschiedslosen Zugang zu Wohnraum, Gesundheits- und Sozialleistungen». Die Hartz-IV-Sätze sollen von 432 auf 603 Euro monatlich aufgestockt und in eine «Garantiesicherung» umgewandelt werden. Auch für Kinder soll es deutlich mehr Geld geben. Das schafft zusätzliche Anreize für alle, die es nach Deutschland geschafft haben.

Aus- und Einwanderung

Wie sehr diese Sogwirkung den Sozialstaat an seine finanziellen Grenzen bringen kann, verdeutlicht der jüngste Demografiebericht der Bundesregierung: Von 2009 bis 2019 sind über fünf Millionen Ausländer zugewandert, meist aus bildungsfernen Schichten, wodurch sie im Arbeitsmarkt schlecht integrierbar sind. Zugleich habe der «starke Zuzug von weiblichen Schutzsuchenden» aus Arabien und Afrika «zu einem Anstieg der Geburtenzahlen in Deutschland» geführt. Die Fertilitätsrate lag bei ihnen etwa doppelt so hoch wie bei Einheimischen. Derweil die deutschen Akademikerinnen am häufigsten kinderlos bleiben und es vornehmlich Hochqualifizierte sind, die Deutschland den Rücken kehren. Die Auswanderer zieht es vor allem in die Schweiz, die USA, nach Österreich und in das Vereinigte Königreich.about:blank

Während Deutschland also für (Schutz-)Bedürftige noch attraktiver werden soll, obwohl es schon heute die Hauptlast der Migrationsströme in Europa trägt und der Druck eher steigen wird, wollen die Grünen die Tore noch weiter öffnen. Zugleich wird den hiesigen Leistungsträgern das Bleiben durch noch höhere Abgaben verleidet. Umworbene Talente lockt man so nicht. Doch alle Warnungen, dass diese Schlagseite zu gesellschaftlichen Verwerfungen führen wird, werden in den Wind geschlagen. Selbst Forderungen aus dem liberal-akademischen Migrantenmilieu, wenigstens Hardcore-Islamisten erst gar nicht ins Land zu lassen oder Intensivtäter abzuschieben, finden kaum Gehör. Im Gegenteil: Für die Grünen ist «kein Mensch illegal». Vorrang hat die schnelle Vergabe sicherer Aufenthaltstitel auch für abgelehnte Asylbewerber.

Ungehörte Warnungen

Selbst eine renommierte Politologin und Frauenrechtlerin wie Ayaan Hirsi Ali wird ignoriert. Dabei kann die gebürtige Somalierin in ihrem Buch («Beute. Warum muslimische Einwanderung westliche Frauenrechte bedroht») die durch Zuwanderung importierten Probleme mit vielen Fakten belegen und die Forderung nach Enttabuisierung gut begründen.

Die Meinungsforscher von Allensbach haben bereits 2018 ermittelt, dass die Deutschen genau das Gegenteil wollen: 80 Prozent fordern eine effizientere Kontrolle der Zuwanderung, 77 Prozent mehr Konsequenz bei Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber, und zwei Drittel verlangen höhere Anforderungen an Migranten, die dauerhaft im Land bleiben wollen. Ob sich die sorgenvolle Haltung seither geändert hat, weiss man nicht. Denn entweder wird danach gar nicht mehr gefragt, oder der Themenbereich wird von den Demoskopen in Einzelfragen derart zergliedert, dass – jenseits der Pandemie – immer die Klimafrage an Dringlichkeit obsiegt.about:blank

Auch die aufgeladene Debatte um strukturellen Rassismus, die Cancel-Culture und die Identitätspolitik spielen den Grünen in die Hände: In einem Klima des anklagenden Moralismus wird jede Debatte über eine pragmatische Migrationspolitik verunmöglicht.

Gerade in Deutschland mit seiner dunklen nationalsozialistischen Vergangenheit will ausserhalb rechts-nationaler Zirkel niemand Forderungen erheben, die schnell in den Ruch von Selektion und Deportation kommen. Nicht einmal die Nationalität soll mehr benannt werden. Da CDU/CSU, die SPD, die Linkspartei und selbst die FDP schon jetzt darum wetteifern, Bündnispartner der Grünen sein zu dürfen, bliebe einzig die AfD als Nutzniesserin des lauten (Ver-)Schweigens.

«Ökologische Uhr»

Führende Grüne wie Baerbock und Habeck verweisen stets darauf, dass sie das Schwinden des Grundkonsenses in der Gesellschaft mit Sorge erfüllt. Mit Blick auf die «ökologische Uhr» dürfe es nicht passieren, «dass bei den weitreichenden Transformationsprozessen weite Teile der Gesellschaft für die Demokratie verloren gehen», sagt Habeck in seinem neuen Buch warnend. Doch gerade diese Sensibilität fehlt der Partei beim Thema Migration. Der demoskopische Höhenflug hält sie weit weg von der Erkenntnis, wonach das Gutgemeinte der grösste Feind des Guten sein kann.

Leidtragende einer naiven Willkommenskultur wären vor allem jene Zuwanderer, die sich gut integriert haben – und dann in Mithaftung für wachsende Spannungen genommen werden. Gerade diejenigen, deren sich die Grünen also besonders annehmen wollen, weil sie nicht auf der Sonnenseite einer multikulturellen Gesellschaft stehen, können den Titel von Habecks neuem Buch – «Von hier an anders» – auch ganz anders verstehen: als Drohung.

Wolfgang Bok war Chefredaktor der «Heilbronner Stimme» und arbeitet heute als freier Publizist. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn strategische Kommunikation.

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