Thomas Mayer

Die gefährliche Ignoranz der Zentralbanker

04.06.2021
Lesedauer: 5 Minuten
Ökonom Thomas Mayer (r.) nimmt eine Kolumne für Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman (l.) genau unter die Lupe - Quelle: Europa Press via Getty Images; picture alliance/dpa/Marc Comes

Nobelpreisträger und Keynesianer Paul Krugman weist in seiner „New York Times“-Kolumne die Kritik zurück, die Fed drucke Geld, um das Haushaltsdefizit der USA zu finanzieren. Ein Fehlschluss, weil Keynes‘ Theorie nach wie vor etwas Folgenschweres ausblendet.

Paul Krugman ist ein Nobelpreisträger und sehr einflussreicher Wirtschaftskolumnist der „New York Times“. Wenn er über die Geldpolitik schreibt, erwarten seine Leser, dass er versteht, wovon er spricht. Leider deutet seine Kolumne vom 21. Mai darauf hin, dass dies nicht der Fall sein könnte.

Man fragt sich, wie viele andere hochkarätige Ökonomen der keynesianischen Schule, die gegenwärtig das Denken in den Universitäten und in den Zentralbanken dominiert, ebenfalls nicht wissen, wovon sie reden.

Krugman weist in seiner Kolumne die Kritik zurück, dass die Fed Geld drucke, um das Haushaltsdefizit der US-Regierung zu finanzieren. Das begründet er so: „Auf einer fundamentalen Ebene finanzieren die Haushalte das Defizit: Die Mittel, die von der Regierung geliehen werden, stammen aus den enormen Ersparnissen, die von den Familien getätigt wurden, die einen Großteil ihres Einkommens in einem Umfeld sparen, in dem sich ein Großteil ihres üblichen Konsums nicht mehr sicher anfühlt.“

Er gibt zu, dass die US-Haushalte ihre Ersparnisse nicht direkt an die Regierung übergeben können, sondern den Weg über die Banken gehen müssen: „Familien bunkern ihre Ersparnisse in Banken. Die Banken wiederum häufen Reserven an – das heißt, sie verleihen an die Fed, die heutzutage Zinsen auf Bankreserven zahlt. Und die Fed hat Staatsanleihen gekauft.“ Hätte einer meiner Studenten diese Sätze in einer Seminararbeit vorgelegt, hätte ich ihn beiseite genommen und vorgeschlagen, dass wir rekapitulieren, was hier wirklich vor sich geht.

Wenn eine Zentralbank eine Staatsanleihe kauft, gibt sie einen Auftrag an eine Geschäftsbank. Diese kauft die Anleihe von einem Marktteilnehmer und gibt sie an die Zentralbank weiter. Um das Geschäft abzuwickeln, zahlt die Zentralbank Reservegeld auf das Zentralbankkonto der Geschäftsbank ein.

Diese schöpft dafür Bankengeld und schreibt es dem Anleiheverkäufer gut. Am Ende hat die Zentralbank einen neuen Vermögenswert in Form der Staatsanleihe und eine Verbindlichkeit in Form von Zentralbankgeld auf dem Konto der Geschäftsbank. Letztere hat Zentralbankgeld als Aktivum und Bankengeld als Passivum. Der Anleiheverkäufer hat seine Staatsanleihe gegen Bankengeld getauscht. Somit erhöht sich die Geldmenge.

Die Fakten belegen die Überlegung: Zwischen Januar 2019 und Februar 2020 blieben die Wertpapierbestände der Federal Reserve unverändert und die Geldmenge (M2) stieg nur um eine Billion US-Dollar. Zwischen Februar 2020 und April 2021 stiegen die Wertpapierbestände um 3,5 und die Geldmenge um satte 4,8 Billionen Dollar.

Nehmen wir an, der Staat tauscht nun eine neue Anleiheemission gegen Bankengeld beim Verkäufer der ersten Anleihe ein und überweist dieses Bankengeld an die privaten Haushalte. Nun steigt das verfügbare Einkommen. Dank des Transfers kann dies auch dann geschehen, wenn das Bruttosozialprodukt fällt. So sank zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem zweiten Quartal 2020 das nominale Bruttosozialprodukt um 2,4 Billionen Dollar, während das verfügbare Einkommen um 1,7 Billionen Dollar stieg.

Nehmen wir nun weiter an, dass die Haushalte keine Möglichkeit haben, den Anstieg des verfügbaren Einkommens auszugeben. Infolgedessen steigen ihre Geldersparnisse an. Zwischen Januar 2020 und Juni 2020 stiegen die Ersparnisse der privaten Haushalte um 3,2 Billionen Dollar, während die Geldmenge um 2,8 Billionen Dollar stieg. Unterm Strich sind also die Geldersparnisse durch staatliche Transfers von Geld erhöht worden, das die Zentralbank für den Staat geschaffen hat.

Krugman zieht in seiner Kolumne dagegen den folgenden Schluss: „Die Fed ist nicht die venezolanische Regierung, die Bolívars druckt, um ihre Soldaten zu bezahlen; sie agiert im Grunde als Finanzvermittler für Investoren, die ihr Geld irgendwo sicher parken wollen. Und obwohl es viele Gründe gibt, sich über die Entwicklung der US-Wirtschaft Sorgen zu machen, stehen die Anleihekäufe der Fed und der Anstieg von M2 nicht auf der Liste. Beruhigen Sie sich.“

Er hat recht, dass die Fed nicht die venezolanische Regierung ist, aber sie druckt Dollars für die US-Regierung. Man muss kein Monetarist sein, um zu erwarten, dass das nominale Bruttosozialprodukt steigt, wenn die Haushalte ihre Geldersparnisse im Zuge des Abklingens der Pandemie wieder abbauen. Dies könnte Produktion und Beschäftigung ankurbeln. Aber angesichts der Größenordnung der Geldschöpfung wäre es sehr überraschend, wenn die Preise nicht ebenfalls steigen würden.

Krugman ist in seinem Fehlurteil über die Wirkungen der Geldpolitik nicht allein. Am 23. Februar sagte US-Notenbankchef Jerome Powell bei einer Anhörung im Kongress: „Im Moment würde ich sagen, dass das Wachstum von M2 … nicht wirklich wichtige Implikationen für den wirtschaftlichen Ausblick hat. M2 wurde vor einigen Jahren aus der Standardliste der Frühindikatoren gestrichen, und die klassische Beziehung zwischen Geldmengen und Wirtschaftswachstum in Bezug auf die Größe der Volkswirtschaft gilt einfach nicht mehr. Wir hatten zu verschiedenen Zeiten ein starkes Wachstum der Geldmengen ohne Inflation, also etwas, das wir wohl wieder verlernen müssen.“

Warum können führende Ökonomen und Zentralbanker zu solchen Schlüssen kommen? Die Antwort ist, dass die keynesianische Theorie die Geldschöpfung der Banken völlig ausblendet. Als Keynes seine von der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre inspirierte Theorie entwickelte, war das vielleicht verzeihbar. Heute führt die Ignoranz der Rolle der Banken jedoch zu krassen Fehlschlüssen.

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