Eric Gujer

Die billigste Ausrede nach dem Hochwasser: Der Klimawandel ist an allem schuld

23.07.2021
Lesedauer: 6 Minuten
Vorbereitungsarbeiten zur Bergung zerstörter Autos nach der Hochwasserkatastrophe. Christoph Hardt / Imago

Nach einer Flutkatastrophe ist die Versuchung gross, dafür die Erderwärmung verantwortlich zu machen. Eindimensionale Erklärungen sind jedoch gefährlich. So spricht einiges dafür, dass der Hochwasserschutz vernachlässigt wurde.

Kanzlerin Merkel tut es, Ministerpräsident Laschet tut es auch und die Grüne Baerbock sowieso. Alle Parteien mit Ausnahme der AfD fordern als Reaktion auf das Hochwasser mehr Klimaschutz. Wenn alle Politiker dasselbe sagen, sollten die Bürger misstrauisch werden.

Entweder sind die Forderungen tatsächlich alternativlos, dann fragt man sich allerdings, weshalb Bund und Länder sie nicht längst umgesetzt haben. Oder die Politiker zeigen mit dem Finger so resolut in die eine Richtung, um von eigenen Versäumnissen abzulenken und in der Stunde der Not Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit zu simulieren.

Die dritte Möglichkeit ist eine Mischung aus allem. Die richtige Antwort auf die Flutkatastrophe fällt nicht so einfach aus, weil die Lage unübersichtlich ist und verschiedene Faktoren beim Entstehen des Hochwassers mitgewirkt haben.

Die Welt ist nun einmal komplizierter, als durch den Matsch stapfende Politiker ihre Wähler glauben machen wollen.

Die Parteien denken, sie hätten jeden Wahlkampf schon verloren, wenn sie komplexe Zusammenhänge zu erläutern versuchten. Sie halten die Bürger für reichlich einfach gestrickt oder zumindest für unwillig, sich mit Sachverhalten zu beschäftigen, die sich nicht in der Schlagzeile einer Boulevardzeitung zusammenfassen lassen.

Claus Kleber ist ein Meister der Apokalypse

Der Klimawandel begünstigt ohne Zweifel Starkregen, weil warme Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann. Allerdings haben in Deutschland solche sintflutartigen Niederschläge in den Sommermonaten nicht zugenommen. Eine andere Theorie besagt, der in grosser Höhe von West nach Ost wehende Jetstream werde durch den Klimawandel so beeinflusst, dass er die Ausbreitung von stationären Wetterlagen wie das Tief «Bernd» fördere.

Der Erklärungsversuch ist allerdings unter Meteorologen umstritten. Eine klare Evidenz gibt es nicht, was das «heute journal» nicht daran hinderte, die Behauptung mehr oder minder als Tatsache auszugeben. Nicht nur die Politik, auch der öffentlichrechtliche Rundfunk verbreitet das Narrativ: Der Klimawandel ist an allem schuld.

Ein Meister des Framings ist der ZDF-Moderator Claus Kleber. Mit apokalyptischem Timbre raunt er von den Naturgewalten, welche den Menschen für den Raubbau an der Schöpfung bestrafen würden. Kleber verbreitet seine kruden Theorien selbst dann, wenn eine Interviewpartnerin schüchtern darauf hinweist, der Klimawandel spiele sicher eine Rolle, sei allerdings gewiss nicht der einzige Grund für die Überschwemmungen.

Framing ist allemal wichtiger als Fakten. Warum das so ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Will man in öffentlichrechtlichen Redaktionen den Grünen im Wahlkampf helfen? Oder regt sich die deutsche Lust an der Romantik mit ihrer Neigung, den Menschen als Störfaktor für eine im Urzustand heile Natur zu betrachten?

Wie sehr sich die Romantik in der deutschen Politik manifestiert, zeigte sich früher in der Angst vor dem Waldsterben oder zeigt sich heute im irrationalen Umgang mit der Atomenergie, deren Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel man wider alles Wissen leugnet.

Von den Vermutungen zurück zu den Tatsachen. Das besonders verwüstete Ahrtal wurde letztmals 1910 von einer vergleichbaren Flutwelle mit damals 57 Todesopfern heimgesucht. Verheerende Überschwemmungen sind also im Wortsinn eine Jahrhundertkatastrophe – selten, aber eben doch wiederkehrend.

Gesamtniederschlag nimmt zu – nur im Sommer nicht

Helmut Lussi, der Bürgermeister der Gemeinde Schuld, berichtete in der «Welt», die Lage sei ausser Kontrolle geraten, als sich von der Ahr mitgerissene «Campingmobile und Öltanks, grosse Bäume und Autos» in einer Brücke verkeilt hätten. Daraufhin habe sich das Wasser seinen Weg mitten durch die Ortschaft gesucht.

Haben die Behörden die Gefahrenstellen in den Flusstälern konsequent entschärft?

Die Schilderung erinnert an das Hochwasser in Brig im schweizerischen Bergkanton Wallis im Jahr 1993. Damals löste Schwemmgut die Katastrophe aus. Es verstopfte den Durchfluss unter einer Brücke in der Innenstadt, nachdem das Flüsschen Saltina wegen heftiger Regenfälle angeschwollen war.

Die Behörden zogen die Lehren aus der Überschwemmung mit zwei Todesopfern. Sie bauten nicht nur Rückhaltebecken für das Schwemmgut, sondern auch eine hydraulische Brücke, die bei steigendem Pegel automatisch angehoben wird. Das System bewährt sich. Obwohl die Saltina im Oktober 2000 dreissig Prozent mehr Wasser führte als 1993, kam es zu keinen grösseren Problemen.

Ein ähnlicher Weckruf war in der Schweiz das Hochwasser 2005. Danach investierten die Kantone an Bächen, Flüssen und Seen in den Hochwasserschutz. So fielen in der letzten Woche die Schäden trotz regional höheren Pegelständen als 2005 deutlich geringer aus.

Es ist natürlich viel leichter, den Klimawandel verantwortlich zu machen, als der Frage nachzugehen, ob Versäumnisse beim Hochwasserschutz das Ausmass der Katastrophe mitverursacht haben. In den Alpen gehören Schlammlawinen, sogenannte Murgänge, zum Alltag nach starken Regenfällen. Hat man im Berchtesgadener Land die baulichen Schutzvorkehrungen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich modernisiert?

In engen Tälern wie an der Ahr entwickelt Wasser in Engstellen die reissende Kraft einer Turbine. Die hydraulischen Effekte, die selbst unscheinbare Bäche innerhalb weniger Stunden zu Todesfallen werden lassen, sind gut erforscht. Wurden sie in den Mittelgebirgen unterschätzt, weil man Murgänge und Überflutungen als ein Phänomen von Alpen und grossen Flüssen betrachtete?

An Rhein und Mosel hat man nach Hochwassern in den achtziger Jahren viel Geld für mobile Barrieren und andere Vorrichtungen ausgegeben. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob entlang von Ahr und Erft mit gleicher Sorgfalt vorgegangen wurde.

Wenn sich herausstellen sollte, dass die Behörden die letzten Jahre nur unzureichend zur Vorbereitung genutzt haben, werden sich die Landesregierungen der Debatte über die politische Verantwortung stellen müssen. Verständlicherweise reden Markus Söder, Armin Laschet und Malu Dreyer lieber über die Erderwärmung.

Angesichts der ungewöhnlich vielen Toten wird auch zu klären sein, ob die Frühwarnsysteme funktionierten und ob die Behörden Warnungen rasch genug weitergaben. Es wird sich zeigen, ob man sich mit Alarmplänen und der Aufklärung der Bevölkerung für den schlimmstmöglichen Fall gewappnet hat. Erste Stimmen beklagen bereits, Warnungen seien zu spät verbreitet worden.

Mit Erstaunen vernimmt man die Äusserung von Innenminister Horst Seehofer, die Bundesrepublik habe in Gefahrenlagen kein flächendeckendes Sirenensystem, aber auch keine andere Warnvorrichtung. In der Schweiz ist das in durch Hochwasser gefährdeten Zonen, etwa entlang der Sihl, Standard.

Galt in Deutschland einmal mehr die Devise «Geiz ist geil»? Laut einer Faustformel verhindert jeder Euro für den Hochwasserschutz knapp drei Euro an Schäden. Die Investitionen rechnen sich also.

Eine Doppelstrategie gegen die Erderwärmung

Fragen müssen beantwortet und Schwachstellen ausgemerzt werden: Verbesserungen, die Menschenleben retten und Sachschäden vermeiden. Was konkret getan werden kann, muss jetzt angepackt werden.

Daher ist es gefährlich, wenn Politiker die Flutkatastrophe vorrangig unter dem Gesichtspunkt der Erderwärmung diskutieren. Im besten Fall dämpfen die Massnahmen zum Klimaschutz ohnehin nur den Temperaturanstieg der Atmosphäre. Die Rückkehr zu einem wie auch immer gearteten Status quo ante ist illusorisch.

Mit anderen Worten: Die bereits eingetretenen Wetterphänomene wie die Häufung von Extremereignissen lassen sich nicht rückgängig machen. Die Anpassung an die Veränderungen ist unausweichlich. Der Streit, ob der Klimawandel bekämpft werden muss oder ob die Adaption an die Verhältnisse genügt, ist eine Scheindebatte. Es braucht beides.

Der Worst Case ist dabei noch gar nicht eingerechnet: dass die europäischen Anstrengungen für einen nachhaltigen Klimaschutz wirkungslos verpuffen, weil der Rest der Welt nicht im gleichen Ausmass mitzieht.

Hier wird ein gravierender Unterschied sichtbar, der in Zukunft noch Kopfzerbrechen bereiten könnte. Selbst kleinere technische und bauliche Anpassungen an den Klimawandel zeigen im nationalen Rahmen unmittelbar Wirkung, umfangreiche Programme wie das der EU zur Dämpfung des Temperaturanstiegs womöglich nicht.

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