Der andere Blick

Der gewalttätige Protest gegen den AfD-Parteitag ist kein Anlass zur Freude, sondern ein Armutszeugnis für die deutsche Demokratie

01.07.2024
Lesedauer: 4 Minuten
Antifa-Anhänger bei der Demo gegen den AfD-Parteitag in Essen am Wochenende. Mindestens 28 Polizisten wurden verletzt, ein Beamter schwer. Foto: Jochen Tack / Imago

Man stelle sich vor, Zehntausende würden versuchen, einen Parteitag der Grünen zu verhindern. Niemand würde von einem «starken Zeichen» für die Demokratie sprechen. Aber wenn es «gegen rechts» geht, dann ist in Deutschland so gut wie alles erlaubt.

Sie lesen einen Auszug aus dem werktäglichen Newsletter «Der andere Blick», heute von Marc Felix Serrao, Chefredaktor NZZ Deutschland. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.

Wenn es gegen die AfD geht, dann kommen in Deutschland mitunter wilde Bündnisse zustande. Dann kann es sogar passieren, dass eine stramm linke Zeitung und einer der einflussreichsten bürgerlichen Politiker des Landes fast gleich tönen. So geschehen an diesem Wochenende, als im nordrhein-westfälischen Essen Zehntausende gegen den dortigen AfD-Parteitag demonstrierten.

Der Protest sei «stark» gewesen, lobte die «TAZ»; er habe «ein Zeichen» gesetzt. Hendrik Wüst, der christlichdemokratische Ministerpräsident des Bundeslandes, lobte derweil auf der Plattform X «ein starkes Zeichen für unsere Demokratie». Auch sonst klangen das Blatt, das sich bis heute als Berliner «Gegenöffentlichkeit» begreift, und der Regierungschef des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes auffallend ähnlich. Vor «Hass» und «Hetze» warnten beide.

Im Gleichklang mit der «TAZ»

Aus Sicht der «TAZ» ist dieser Gleichklang ein Erfolg. Er demonstriert, wie weit sich der einst auf linksalternative Milieus beschränkte Jargon inzwischen in der Öffentlichkeit durchgesetzt hat: Man kämpft Seit’ an Seit’ mit der vormals verhassten CDU «gegen rechts». Man stellt eine Demonstration unisono auch dann noch als Dienst an der Demokratie dar, wenn diese demokratische Grundprinzipien wie die ordnungsgemässe Durchführung eines Parteitags aushebeln will. Und man formuliert Kritik an gewalttätigen Demonstranten mit Worten, die eher nach bedürfnisorientierter Erziehung als nach ernstgemeinter Ächtung klingen.

Jeder könne so hart in der Sache diskutieren, wie er möge, erklärte Hendrik Wüst. Um dann ganz allgemein zu ergänzen: «Aber Gewalt darf nie das Mittel der Wahl sein.» In den Worten der «TAZ»: «Das Ziel muss immer sein: Friedlich bleiben!»

Man stelle sich vor, die Demo von Essen hätte nicht der AfD, sondern den Grünen gegolten, mit denen Wüst sehr harmonisch zusammen regiert. Man stelle sich vor, vermummte Rechte hätten Polizisten ins Krankenhaus geprügelt. Nicht nur gäbe es tagelang Sondersendungen und Leitartikel über die bedrohte Demokratie. Auch der junge Ministerpräsident in Düsseldorf hätte andere, gewiss sehr deutliche Worte gefunden.

Aus Sicht des Christlichdemokraten Wüst ist der Gleichklang mit der «TAZ» nicht nur inhaltlich, sondern auch strategisch höchst fragwürdig. Natürlich wird er seine Worte nicht mit brennendem Herzen, sondern mit Kalkül formuliert haben: Gegen die AfD zu sein, kommt im besonders stark migrantisch geprägten Nordrhein-Westfalen sicherlich bei vielen gut an. Und auch Wüsts grüner Koalitionspartner wird solche Töne goutieren.

Aber im Umfeld des Ministerpräsidenten denkt man schon lange grösser. Der 48 Jahre alte Politiker wird dort als übernächster, wenn nicht schon als nächster Kanzlerkandidat der CDU gehandelt. Vor diesem Hintergrund erscheint sein Lob für eine Demo, auf der «Hass, Hass, Hass» und «Feuer und Flamme den Abschiebebehörden» skandiert wurde, in einem anderen Licht.

Das Fundament der Demokratie

Würden bürgerliche Wähler in anderen Bundesländern einem Politiker das Land anvertrauen wollen, der solchen Demos ein Gütesiegel verleiht? Würden sie einen Mann im Kanzleramt sehen wollen, der linke Gewalt nur in abstrakten Worten geisselt?

Die AfD ist eine radikale und illiberale Partei. Es gibt gute Gründe, sie politisch zu bekämpfen. Aber dabei darf man das Fundament des Gemeinwesens nicht untergraben. Einen Parteitag durchzuführen, ist nicht nur das Recht, sondern die Pflicht einer jeden Partei. Auch die AfD muss das tun können, ungestört. Wer sie dabei behindert, verteidigt nicht die Demokratie, er schadet ihr.

Gleiches gilt für bürgerliche Politiker, die den Jargon radikaler Linker übernehmen. Man kann nicht glaubhaft, wie Hendrik Wüst, die AfD als «Nazi-Partei» bezeichnen und bei anderer Gelegenheit die Gewalt gegen die Partei verurteilen. Wer einen politischen Kontrahenten – in massloser und geschichtsblinder Weise – als das ultimativ Böse darstellt, der schürt die Gewalt förmlich.

Bei linken Medien hat man sich an diese Ausdrucksweise gewöhnt. Bei bürgerlichen Politikern, zumal mit solchen Ambitionen, möchte man sich nicht daran gewöhnen.

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