Großbritannien hat den Leitzins von 0,15 auf 0,25 Prozent angehoben und so den ersten Schritt zurück in geldpolitische Normalität gemacht. Der Euro-Raum aber verharrt in seinem Corona-Krisenmodus. Dabei gibt es gute Gründe für einen Kurswechsel.
Wenn derzeit von Großbritannien die Rede ist, geht es meistens um Pleiten, Pech und Pannen: Das Land hat in Europa mit die höchste Ansteckungsquote bei Covid-19. Es leidet wegen der Kombination aus Brexit und Pandemie unter wirtschaftlichen Engpässen. Und seine Bürger erleben gerade eine Mangelwirtschaft wie in der ehemaligen DDR.
Aber eines haben die Briten uns definitiv voraus: Sie haben die Leitzinswende geschafft – und damit den ersten Schritt zurück in eine geldpolitische Normalität.
Der Euro-Raum hingegen verharrt weiterhin in einer Art geldpolitischer Schockstarre. Frühestens im Jahr 2023, so hat es die Europäische Zentralbank (EZB) gerade verkündet, könnte es eine Zinswende geben. Wenn nicht doch wieder etwas dazwischenkommt.
Das ist auch deshalb so erstaunlich, weil die Argumente, die EZB-Präsidentin Christine Lagarde angeführt hat, eigentlich für eine Rückkehr zur Normalität sprechen: Die Arbeitslosenrate ist niedrig, die Konjunktur wächst wieder und die Inflationsprognose sieht für 2024 eine Rate von 1,8 Prozent voraus. Das wäre nur noch ganz knapp unter dem Zielwert von zwei Prozent.
Für das kommende Jahr hat die EZB ihre Inflationsprognose sogar drastisch angehoben – was erst recht für eine normalere Geldpolitik sprechen sollte. Warum also wagt die EZB nicht, was Bank of England und die US-Notenbank Federal Reserve vorgemacht haben?
EZB will flexibel bleiben
Eine überzeugende Antwort darauf ist Lagarde erneut schuldig geblieben. Stattdessen beharrt die EZB-Chefin darauf, dass die EZB auch künftig flexibel bleiben muss und jederzeit umstrittene Instrumente, etwa für Krisenkäufe bei Anleihen, wieder reaktivieren oder vergrößern kann. Eine verlässliche Geldpolitik, die Inflationsgefahren glaubwürdig bekämpft und Länder mit unsoliden Staatsfinanzen in die Schranken weist, sieht definitiv anders aus.
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann ist für genau so eine regelgebundene Geldpolitik stets eingetreten. Dass er nun vorzeitig von Bord geht, ist aus deutscher Sicht besonders deprimierend. Zumal der Gestaltungsspielraum für seinen Nachfolger gering ist, angesichts des Übergewichts von hoch verschuldeten Ländern im EZB-Rat.
Statt sich also über die Briten lustig zu machen, sollte sich der Euro-Raum lieber fragen, warum es hier immer noch eine Krisenpolitik braucht, um Schaden von Europa abzuwenden. Und vor allem wie lange noch.