Nachdem VW am Montag eine drastische Verschärfung des Sparkurses angekündigt hatte, trafen heute der Vorstand und mehrere Tausend Arbeitnehmer aufeinander. Der Betriebsrat sieht den Grund für die Misere in der Chefetage. Die Manager weisen die Schuld von sich.
Mit scharfen Protesten der Belegschaft hat bei VW die Betriebsversammlung begonnen. Mitarbeiter begrüßten den Vorstand in Wolfsburg mit Transparenten, mit denen sie gegen die jüngsten Sparpläne protestierten. „Hände weg von der Beschäftigungssicherung“, war auf einem Transparent zu lesen. Auf einem anderen wurde dem Vorstand mit Blick auf mögliche Gehaltskürzungen „Scheiß Doppelmoral“ vorgeworfen.
Auf der nicht öffentlichen Betriebsversammlung wollten Markenchef Thomas Schäfer und Konzernfinanzchef Arno Antlitz die Sparpläne erläutern. Auch Konzernchef Oliver Blume war als Teilnehmer erwartet worden. Eine weitere Betriebsversammlung ist am Nachmittag am Standort Emden geplant.
Mehr als 10.000 Teilnehmer wurden zu dem Belegschaftstreffen erwartet, weitere sollen der Versammlung vor der Halle auf Leinwänden folgen können. Betriebsratschefin Daniela Cavallo hatte zuvor von großer Verunsicherung in der Belegschaft gesprochen und erheblichen Widerstand gegen die Pläne des Vorstands angekündigt.
„Mit mir, Daniela Cavallo, Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG, wird es hierzulande keine Werksschließungen geben“, sagte sie bei der Betriebsversammlung. Kündigungen, Werksschließungen und Einschnitte beim Gehalt „wären nur in genau einem Szenario zulässig! Und zwar dann, wenn das ganze Geschäftsmodell gestorben ist“.
Vorstand stehe „mit dem Hintern an der Wand“
VW kranke nicht an den deutschen Standorten und den Personalkosten, das Unternehmen kranke daran, dass der Vorstand seine Arbeit nicht mache, so Cavallo. „Wer die ganze Zeit mit dem Hintern an der Wand steht, bekommt kein Team hinter sich versammelt. Und eins ist mal klar: Ohne diese Belegschaft werden wir aus dieser Krise nicht herauskommen.“
Europas größter Autobauer hatte am Montag angekündigt, angesichts der sich zuspitzenden Lage den bisher eingeschlagenen Sparkurs bei der Kernmarke VW noch einmal zu verschärfen. Auch Werkschließungen in Deutschland und betriebsbedingte Kündigungen werden nicht länger ausgeschlossen. Laut Betriebsrat verlangt VW zudem Einschnitte beim Haustarif.
Nach den Worten von Finanzchef Antlitz setzt vor allem der schwache Absatzmarkt dem Konzern zu. „Es fehlen uns die Verkäufe von rund 500.000 Autos, die Verkäufe für rund zwei Werke. Und das hat nichts mit unseren Produkten zu tun oder schlechter Leistung des Vertriebs. Der Markt ist schlicht nicht mehr da“, sagte er am Mittwoch. Derzeit würden von allen Herstellern zusammen zwei Millionen Autos weniger verkauft als vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Der Volkswagen-Konzern sei mit einem Marktanteil von rund einem Viertel der größte Hersteller.
Dem Autobauer machten zudem hohe Kosten zu schaffen. „Wir geben in der Marke seit geraumer Zeit schon mehr Geld aus, als wir einnehmen“, sagte Antlitz. „Das geht nicht gut auf die Dauer! Wenn wir so weiter machen, schaffen wir die Transformation nicht.“ VW habe noch ein oder zwei Jahre Zeit, das Ruder herumzureißen. „Aber diese Zeit müssen wir nutzen.“ Markenchef Thomas Schäfer sagte, das Unternehmen habe gute Produkte in der Pipeline und wolle sie erfolgreich auf den Markt bringen. „Dafür brauchen wir jetzt Geld, um kräftig zu investieren.“
Kanzler Scholz schaltet sich ein
Inzwischen hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in die Krise eingeschaltet. Ein Regierungssprecher sagte am Mittwoch in Berlin, Scholz habe sowohl mit dem Management als auch mit der Konzernbetriebsratsvorsitzenden sowie Aufsichtsrats-Mitgliedern gesprochen. Dem Kanzler sei die Bedeutung von VW als eines der größten Unternehmen der Autoindustrie klar. Er sei sich bewusst über die Herausforderung der Transformation, vor der die gesamte Branche stehe. Scholz werde die Entwicklung ganz genau verfolgen. Es sei Sache des Unternehmens, die Probleme zu lösen, da mische sich die Bundesregierung nicht ein.
Experte glaubt an Werksschließungen außerhalb von Niedersachsen
Auto-Experten Ferdinand Dudenhöffer glaubt, dass VW um eine Werksschließung in Deutschland nicht herumkommen wird. „Das wird aber nicht in Niedersachsen geschehen“, sagt der Direktor des privaten „Center Automotive Research“ (CAR) in Bochum. „Die mit 20 Prozent beteiligte Landesregierung und die IG Metall werden dafür sorgen, dass sich rund um Wolfsburg nichts Wesentliches ändert.“ Im Umkehrschluss seien Werke außerhalb des VW-Kernlandes wie Bremen, Kassel oder Zwickau besonders gefährdet.
Die negativen Absatzerwartungen von VW in Europa seien zum Teil auch hausgemacht, weil die Modellpalette überaltert sei und Softwareprobleme nach wie vor ungelöst erscheinen, meinte Dudenhöffer. Der Markt entwickele sich nicht so schwach, wie vom VW-Management erwartet. Die übrigen deutschen Hersteller seien zudem weit besser aufgestellt.
Reuters/dpa/luz/con