In Deutschland bangen immer mehr Unternehmen um ihr Überleben. Inzwischen herrscht bei fast jedem 14. Betrieb Existenzangst, wie eine Ifo-Umfrage zeigt. Vor allem eine Branche hebt sich ab. Das Institut rechnet perspektivisch mit einem weiteren Anstieg der Insolvenzen.
Bei Deutschlands Unternehmen steigt die Existenzangst. 7,3 Prozent der Firmen bangen akut um den eigenen Fortbestand, zeigt eine Umfrage des Münchner Ifo-Instituts. Betroffen ist damit fast jedes 14. Unternehmen hierzulande. Zum Vergleich: Anfang 2023 hatte lediglich jeder 21. Betrieb Sorgen um das wirtschaftliche Überleben.
Die Gründe für diese deutliche Verschlechterung der Lage sind vielfältig. „An erster Stelle steht branchenübergreifend der Auftragsmangel, der zu erheblichen Liquiditätsengpässen führt“, berichten die Ifo-Wirtschaftsforscher. Zudem seien die Betriebs- und Personalkosten stetig gestiegen, während die anhaltende Kaufzurückhaltung gleichzeitig die Umsätze schmälert.
Der daraus resultierende Kostendruck werde durch wachsende bürokratische Anforderungen noch zusätzlich verschärft. „Besonders belastend wirkt sich darüber hinaus die Kombination aus hohen Energiekosten und wachsender internationaler Konkurrenz aus“, heißt es in der Untersuchung, die jährlich erfolgt.
Perspektivisch rechnet Ifo-Umfragen-Chef Klaus Wohlrabe mit entsprechenden Konsequenzen. „Der kontinuierliche Anstieg bei den Unternehmensinsolvenzen dürfte sich fortsetzen“, schlussfolgert der Experte. Zuletzt war der Anstieg aber nicht nur kontinuierlich, sondern sprunghaft. So rechnet der Kreditversicherer Allianz Trade für 2024 mit rund 22.200 Firmenpleiten in Deutschland, das sind 25 Prozent mehr als im Vorjahr, wo es bereits einen Anstieg in ähnlicher Größenordnung gegeben hatte.
Insolvenzen müssen allerdings nicht das Ende einer Firma bedeuten. Umgekehrt scheiden indes auch einige Unternehmen aus dem Markt aus, ohne in der Insolvenzstatistik aufzutauchen. Zunehmend viele sogar. Jedenfalls stieg die Gesamtzahl der vollständigen Gewerbeabmeldungen von Januar bis September um 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 356.800, meldet das Statistische Bundesamt. Bei den „Betrieben mit wirtschaftlicher Bedeutung“, wie es im Amtsdeutsch heißt, liegt der Rückgang mit 1,8 Prozent sogar noch etwas höher.
Gleichzeitig hat sich die Zahl der Unternehmensgründungen in den ersten neun Monaten reduziert, konkret um knapp ein Prozent auf 456.000. Bei Kleinunternehmen gab es dabei laut Statistik einen Einbruch um gut ein Viertel. „In dem eingetrübten wirtschaftlichen Umfeld wagen weniger Menschen den Schritt in die Selbstständigkeit“, heißt es dazu.
Für Gründer hätten sich die Perspektiven mit dem Zinsanstieg und der schwächelnden Konjunktur eingetrübt. Aber auch Betriebe, deren Rechtsform und Beschäftigtenzahl auf eine größere wirtschaftliche Bedeutung schließen lassen, wurden weniger häufig gegründet: 90.700 bedeuten ein Minus von knapp einem Prozent.
Bei bestehenden Unternehmen gibt es die größten Existenzsorgen im Einzelhandel, zeigt die Ifo-Umfrage. Hier berichten 13,8 Prozent der Unternehmen von tiefgreifenden wirtschaftlichen Problemen. Das bedeutet eine Zunahme von 3,5 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahreswert. Grund für die schlechte Lage ist laut dem Handelsverband Deutschland (HDE) die anhaltende Konsumzurückhaltung der Verbraucher bei gleichzeitig stark steigenden Kosten für zum Beispiel Personal, Energie und Bürokratie.
„Die Handelsunternehmen stoßen an ihre Grenzen“, kritisierte HDE-Präsident Alexander von Preen jüngst beim Handelskongress in Berlin. Ihnen würden immer weitere Dokumentations- und Berichtspflichten auferlegt. „Die Unternehmer, die dieses Land mit ihrem Ideenreichtum und Tatendrang stark gemacht haben, werden dadurch in die Passivität gezwungen.“ Im engen Korsett der Vorgaben und Verbote könnten zahlreiche Geschäftsideen gar nicht erst gedacht werden und blieben daher aus.
Viele kleine Handelsunternehmen treibe die Bürokratie in die Geschäftsaufgabe, bevor sie eine Säule des Wohlstands hätten werden können. „Es ist an der Zeit, die bürokratischen Fesseln, die dieses Land so sehr hemmen, endlich zu zerschlagen“, so von Preen. Aber das wisse die Politik eigentlich auch. „Wir haben in Deutschland kein Problem der Analyse und der Erkenntnis, sondern mit der Umsetzung.“ Die Ampel-Regierung habe jedenfalls nicht geliefert. „Die Rahmenbedingungen sind unzureichend.“
Auf Platz zwei bei den Existenzängsten steht hinter dem Einzelhandel das Verarbeitende Gewerbe. Auch dort ist die Betroffenheitsquote spürbar gestiegen – von 6,4 Prozent vor einem Jahr auf jetzt 8,6 Prozent. „Die Unternehmen verlieren stündlich Aufträge, zugleich fressen die Kosten Mittelständler auf“, sagt stellvertretend Christian Vietmeyer, der Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung (WSM).
Die Branche mit rund 5000 Unternehmen und 500.000 Arbeitnehmern meldet für den Zeitraum Januar bis September einen Produktionsrückgang von stattlichen 7,2 Prozent. Vietmeyer fordert dementsprechend schnelle Entscheidungen von der Politik. „Was nutzen Gipfelgespräche, wenn niemand die Ergebnisse umsetzt?“, fragt der Verbandschef. „Der Industriestandort Deutschland braucht Taten. Die Energiepreise müssen definitiv noch 2024 runter.“
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.