Magdalena Martullo-Blocher

Schweizer Milliardärin: „Die deutsche Autoindustrie reitet sich völlig ins Abseits“

26.07.2021
Lesedauer: 5 Minuten
Magdalena Martullo-Blocher - Die Chefin des Kunststoffherstellers Ems-Chemie hält von der Elektromobilität wenig – auch wenn ihr Konzern selbst davon profitiert. (Foto: imago images/Rolf Simeon)

Magdalena Martullo-Blocher ist als Unternehmerin und rechtskonservative Politikerin erfolgreich. Über ihre Kunden, die deutschen Autobauer, spottet sie gern.

Domat, Ems Es braucht nicht viel, damit Magdalena Martullo-Blocher ihre Stimme erhebt. Wenn einer ihrer Mitarbeiter nicht spurt, wird die Chefin und Großaktionärin des Kunststoffherstellers Ems-Chemie schnell laut. Und als Politikerin der rechtskonservativen Schweizer Partei SVP verbirgt sie ihren Ärger nicht, wenn die EU mal wieder eine – aus ihrer Sicht – große Fehlentscheidung getroffen hat.

Den Plan der EU, ab 2035 keine Autos mit Verbrennermotoren zuzulassen, hält sie für einen „Riesenfehler“. „Ich verstehe nicht, warum sich die deutsche Autoindustrie nicht stärker gegen so drastische Vorgaben wehrt“, sagt die 51-Jährige im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Auf den ersten Blick ist es ein Widerspruch: Die Kunststoffe und Wärmeleitpasten von Ems-Chemie tragen dazu bei, dass Batterien in den Elektroautos des VW-Konzerns nicht überhitzen oder Feuer fangen. Gleichzeitig sagt Martullo-Blocher: „Politisch war ich immer gegen die Elektromobilität, weil der Strom dafür wieder fossil produziert wird.“

Doch tatsächlich steckt dahinter Martullo-Blochers Erfolgsrezept: Als Unternehmerin macht sie auf der ganzen Welt Geschäfte. Deutschland, China und die USA sind die wichtigsten Märkte für Ems-Chemie. Als SVP-Abgeordnete im Parlament zieht sie ihre Popularität aus dem Kampf gegen die Öffnung der Schweiz gegenüber Europa und die Corona-Maßnahmen der Regierung in Bern.

In beiden Rollen könnte es derzeit kaum besser für Martullo-Blocher laufen: Im Mai hat die Schweiz die Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen beendet. Eine Annäherung an die EU ist auf absehbare Zeit vom Tisch.

Und ihr Unternehmen Ems-Chemie hat kürzlich für die ersten sechs Monate des Jahres ein Rekordergebnis vorgelegt: Mit einem Umsatz von knapp 1,2 Milliarden Franken, umgerechnet etwa 1,1 Milliarden Euro, und einem Betriebsergebnis (Ebit) von rund 320 Millionen Franken ist das Unternehmen hochprofitabel.

An der Börse ist Ems-Chemie 22 Milliarden Franken wert – so viel wie noch nie. Davon profitiert Martullo-Blocher als Großaktionärin: Ihr Vermögen wird vom Finanzdienst Bloomberg auf acht Milliarden Dollar geschätzt.

Hang zu markigen Sprüchen

Kein Wunder also, dass Martullo-Blocher das nötige Selbstbewusstsein hat, um einer ihrer wichtigsten Kundengruppen die Leviten zu lesen. „Die deutsche Autoindustrie reitet sich politisch, indem sie sich nicht wehrt oder mit der EU-Kommission zusammenarbeitet, völlig ins Abseits.“ Die Elektromobilität sei ohne Verbote und Auflagen noch nicht wettbewerbsfähig. Daher schade die EU der Industrie mit ihren strikten Vorgaben, ist sie überzeugt.

Spott hat sie übrig für Kunden, die trotz rasant steigender Nachfrage in Werksferien gehen. „Vor allem in Deutschland geht man von Corona in den Urlaub.“ Der Anspruch in der deutschen Autoindustrie, die Produktion hochzufahren, sei nicht groß.

Den Hang zu markigen Sprüchen teilt Martullo mit ihrem Vater, Christoph Blocher, dem prägenden Politiker der rechtskonservativen SVP. Der heute 80-Jährige hatte seine Karriere bei Ems-Chemie begonnen und kaufte in den 1980er-Jahren die kriselnde Firma von der Eigentümerfamilie.

Nachdem Blocher 2003 in die Schweizer Regierung, den Bundesrat, einzog, übernahm Magdalena das Management des Unternehmens. Unter ihrer Führung hat sich der Aktienkurs von Ems-Chemie fast verzehnfacht. Die Ebit-Marge habe zur Zeit ihres Einstiegs 17 Prozent betragen, erinnert sie sich. Heute sind es 27 Prozent. Ems-Chemie ist Marktführer bei Hochleistungs-Polymeren, hitzebeständigen oder druckfesten Kunststoffen, die etwa Stromkabel oder Sicherungen schützen. Viele Produkte entwickelt Ems-Chemie mit dem Kunden gemeinsam.


An der Produktentwicklung werde nicht gespart, sagt Martullo-Blocher: „Innovationen und Kundennutzen sind für uns entscheidend.“ Daher sei Ems-Chemie nur in jenen Nischenanwendungen aktiv, in denen sich hohe zweistellige Margen durchsetzen lassen.

Der Vorteil dieser Strategie zeigt sich beispielsweise beim Elektroauto VW ID 4. Die einzelnen Batteriezellen sind über Kupferkabel miteinander verbunden. Diese werden extrem heiß und sind daher in Kunststoffteile eingewickelt, die Ems-Chemie produziert.

Diese Komponenten selbst machen nur einen Bruchteil der Kosten für die Batteriezellen aus. Gleichzeitig ist jedoch der Schaden riesig, wenn die Kunststoffe versagen und die Batterie in Brand gerät. Daher zahlen die Autobauer gern mehr für ein verlässliches Produkt – und bescheren den Schweizern hohe Gewinne.

Volksnahe Politikerin

Von ihren Mitarbeitern verlangt Martullo-Blocher Leistung: Jeder „Emser“ müsse ein „Ergebnisjäger“ sein, sagt sie. Als Unternehmerin denke Martullo-Blocher stark in Szenarien, sagt einer, der sie lange kennt. Für jedes Szenario habe sie den passenden Plan in der Schublade.

Nach der Coronakrise hat sich das bewährt: Ems-Chemie hat in der Hoffnung auf eine wieder anziehende Konjunktur die Lager aufgestockt – und war trotz weltweiter Kunststoffknappheit lieferfähig.

Martullo-Blocher neigt jedoch auch dazu, Stereotypen zu verbreiten. Wenn sie etwa über Preisverhandlungen mit US-Kunden spricht, hört sich das so an: „Der Amerikaner ist ein Haudegen, ein Cowboy.“ Aus ihren politischen Einstellungen hat sie nie einen Hehl gemacht. Dass sie ein politisches Amt übernehmen würde, war trotzdem lange nicht abzusehen.

2015 zog sie für die SVP in das Parlament, den Nationalrat, ein. Dass Martullo-Blocher gleichzeitig Unternehmerin und Politikerin ist, das ist für sie „das typisch schweizerische und erfolgreiche Milizsystem“.

Ähnlich wie ihr Vater gibt sich Martullo-Blocher volksnah: Auf die Frage des Schweizer Fernsehens, ob sie den Ausstieg aus dem Rahmenabkommen mit der EU mit einem Glas Champagner gefeiert habe, antwortete die Milliardärin: „Ich habe tatsächlich mit meinem Mann angestoßen, aber mit familieneigenem Limoncello. Ich bin ja nicht der Champagnertrinker.“

Trotzdem machen politische Beobachter einen großen Unterschied aus. Christoph Blocher habe nie die Schweizer Institutionen infrage gestellt, schreibt etwa die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ). Martullo-Blocher dagegen sagte Anfang des Jahres über die Corona-Maßnahmen der Regierung, der auch SVP-Politiker angehören: „Der Bund hat eine Diktatur eingeführt. Er hat die Demokratie ausgeschaltet.“ Mit solchen Worten treibe Martullo-Blocher den rechtspopulistischen Kurs der SVP voran, so die „NZZ“.

Martullo-Blocher ist überzeugt, dass sich mehr Unternehmer politisch äußern sollten. Dem Erfolg ihrer Firma hat ihr Engagement jedenfalls keinen Abbruch getan. Selbst wenn den deutschen Automanagern der Kurs der Ems-Chefin missfallen sollte – auf die Kunststoffe sind sie dringend angewiesen.

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