Enorme Zuwächse wegen Not

Pfandleiher: „Eigentlich könnte ich der Regierung dankbar sein“

23.02.2024
Lesedauer: 7 Minuten
Das Schaufenster eines Pfandleihhauses. Bildquelle: dpa/Lukas Barth

Noch nie war der Andrang im Koblenzer Pfandhaus Hermann so groß wie in diesen Tagen. Im Interview berichtet der Geschäftsführer Stephan Hermann über eine in vielerlei Hinsicht völlig neuartige Situation – und wie er mit ihr umgeht.

FOCUS online: Ihr Pfandleihhaus ist eine Institution….  

Stephan Hermann: … uns gibt es tatsächlich bereits seit 40 Jahren…

Dann haben Sie vermutlich einen guten Überblick darüber, wie Menschen in Krisenzeiten agieren und sehen rasch, wenn es ernst wird.  

Hermann: Ich glaube schon. Die Finanzkrise damals hat deutlich in unser Tagesgeschäft hinein gewirkt. Und natürlich auch Corona. Aber mit der aktuellen Situation lässt sich das alles nicht vergleichen.  

Pfandleiher: „Nie da gewesener Zulauf“

Was beobachten Sie?  

Hermann: Einen nie da gewesenen Zulauf. Ganz aktuell kommt nun außerdem noch der Jahresanfang dazu.  

Was meinen Sie?  

Hermann: Januar und Februar sind ja typischerweise die teuersten Monate im Jahr, das war schon immer so. Zu Jahresbeginn werden die ganzen Versicherungen fällig, Nachzahlungen müssen geleistet werden…  

Wir sind es gewohnt, dass in dieser Zeit mehr Kunden kommen. Aber in diesem Jahr ist es extrem. Kein Wunder, es kommen schließlich noch satte Preissteigerungen in verschiedenen Lebensbereichen dazu.

Die gestiegenen CO2-Preise haben Auswirkungen auf Sprit und Energie. Und in der Gastronomie ist zuletzt die Steuervergünstigung weggefallen. Zwei Beispiele mit spürbaren Folgen für den Alltag vieler Menschen. Zu uns kommen in diesen Tagen übrigens nicht nur insgesamt mehr Kunden. Es kommt auch ein anderer Personenkreis als bisher.

Sarkastisch: „Ich kann der Regierung dankbar sein“

Nämlich?  

Hermann: Naja, die Ärmsten der Armen haben bei uns noch nie zum Kundenkreis gehört. Wenn ich etwas beleihen will, muss ich im Besitz von Werten sein. Und arme Menschen haben in der Regel nun mal nichts. Neu ist, dass die Kundschaft viel mehr als früher aus der Mitte der Gesellschaft kommt.  

Das sind Menschen wie du und ich, die sagen: „Ich kann die Stromrechnung nicht mehr bezahlen.“ Oder: „Das Gas ist so teuer geworden, ich schaffe es nicht mehr anders“. Anders als früher kommen auch viele Selbstständige.

Die Konkurse nehmen ja insgesamt zu. „Das habe ich mir nie vorstellen können, mal in ein Pfandhaus gehen zu müssen“ – auch diese Äußerung fällt jetzt öfter mal. Das ist noch sowas, was wir von früher so nicht kennen.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie so etwas hören?  

Hermann: Sarkastisch könnte ich jetzt natürlich sagen: Ich kann der Regierung dankbar sein. Das Geschäft läuft. Aber im Ernst, natürlich ist man zwiegespalten. Die Leute, die zu uns kommen, sind oft total verunsichert. Das ist nicht schön.  

Wie reagieren Sie auf die Verunsicherung?  

Hermann: So professionell wie möglich. Auffällig ist, dass die Kunden sich neuerdings oft erklären. Manchmal kommt einem fast so vor, als hätte das Gegenüber ein schlechtes Gewissen. Nach dem Motto: „Ich kann nichts dafür, dass es so gekommen ist. Die Aufträge bleiben weg.“ Oder: „Ich habe Steuerschulden…“  

„Kunden sind keine Bittsteller“

Und was sagen Sie dann?  

Hermann: Auf so was gehen wir überhaupt gar nicht ein. Die Kunden sind keine Bittsteller, das muss ganz klar rüberkommen. Wissen Sie, über die Jahre entwickelt man da ein gewisses Fingerspitzengefühl. Das Letzte, was anklingen darf, ist Arroganz. Das A und O ist ein professioneller, freundlicher Umgang.  

Wäre nicht hier und da Trost angebracht? Die Leute wollen ja offensichtlich entastet werden und hören, dass sie nicht „Schuld“ sind.  

Hermann: Trost wäre sicher verkehrt. Das ist einfach nicht unsere Rolle – selbst wenn das Gegenüber Tränen in den Augen hat…  

… weil es etwas abgibt, an dem er oder sie sehr hängt?  

Hermann: Ja, genau. In solchen Momenten bleiben wir weiter sachlich. Oft wird die Verzweiflung ein Stück weit durch etwas anderes abgefangen.  

Durch was?  

Hermann: Ich bin nicht allein, das kann jeden treffen – wer in diesen Tagen zu uns kommt, um etwas zu beleihen, sieht das gleich. Die Leute stehen Schlange. Manchmal bedienen wir zehn Kunden gleichzeitig. Weil die Leute immer öfter mit mehreren Gegenständen kommen, sind wir ziemlich gefordert. Wo es früher die eine Uhr war, ist es jetzt die Uhrensammlung.  

Vergleichsweise emotional wird es vermutlich beim Schmuck, nicht wahr?  

Hermann: Das stimmt, zumindest ab und an. Vor einiger Zeit kam eine Frau, die einen schönen Ring beleihen lassen wollte. Sie hatte ihn damals zur Geburt ihres Kindes geschenkt bekommen. Jetzt brauchte sie Geld, um für dieses Kind die Schulbücher bezahlen zu können.  

„Der Verkauf ist auch schwieriger geworden“

Entschuldigen Sie, wenn ich nochmal frage: Nimmt Sie so etwas denn wirklich nicht persönlich mit?  

Hermann: Ich denke, wenn das so wäre, könnte ich diesen Job nicht machen. Nehmen wir diesen Mann, ein Handwerker, der vor einiger Zeit kam. Er hatte für eine Behörde gearbeitet, also für den Staat. Offenbar ist der Staat nicht unbedingt der schnellste Zahler.  

Der Handwerker musste jedenfalls Uhren beleihen, um Schulden beim Finanzamt zu begleichen. Dabei hatte der Staat letztlich Schulden bei ihm. Das ist natürlich eine Geschichte zum Kopfschütteln.

Aber wissen Sie, wenn ich damit erstmal anfange… Ich muss ja salopp gesagt selbst schauen, dass der Laden läuft. Wir dürfen nicht vergessen: Der Verkauf ist auch schwieriger geworden.

Was genau meinen Sie?  

Hermann: Naja, der Absatz ist bei weitem nicht mehr so, wie er mal war. Zum Beispiel bei den Uhren: Von Rolex bis AP… Die Preise sind insgesamt drastisch gefallen und das merken wir natürlich deutlich: Wir müssen preisbereinigt verkaufen.   

Das Geschäft ist unterm Strich also doch nicht so gut?  

Ich kann nicht klagen. Das Pfandgeschäft ist unser wichtigster Geschäftsbereich. Generell lässt sich sagen, dass etwa 90 Prozent der beliehenen Gegenstände zurückgenommen werden.

Was heißt das?  

Hermann: Die Leute bringen uns ihre Sachen und bekommen dafür direkt Bargeld auf die Hand. Der Gesetzgeber schreibt eine Pfanddauer von drei Monaten vor. Für die Lagerung in einem abgesicherten Bereich mit Tresoren zahlen die Kunden Zinsen und Lagerkosten. Nach den drei Monaten und einer weiteren einmonatigen Karenzzeit kann der Gegenstand zurückgeholt werden. Wie gesagt: In den meisten Fällen passiert das.  

Was ist der Sinn des Ganzen, wenn am Ende gar nicht verkauft wird?  

Hermann: Vorübergehende Liquidität. Sie glauben gar nicht, wie erleichtert viele Kunden wirken, wenn sie mit dem Geld den Laden verlassen. Jetzt geht es erst mal weiter – so etwa.  

Kürzlich kam eine Mutter und brachte uns das iPad ihres Kindes. Um Lebensmittel kaufen zu können, genau so hat sie es gesagt. Sie hätte vielleicht 300 oder 400 € für das Gerät bekommen können. Aber es war klar, dass sie es wieder auslösen will – und dass sie die 300 oder 400 € nicht schaffen würde. Das iPad wurde dann mit 200 € beliehen.

„Vieles spricht dafür, dass die Zeiten nicht besser werden“

Hat die Mutter das Gerät wieder geholt?

Hermann: Ja, hat sie. Ohne große Worte. Das ist übrigens auch typisch. Wenn die Kunden wiederkommen, sind sie einfach nur froh. Wir erfahren also nicht, wie der oder die einzelne die Kurve gekriegt hat.  

Wie erfahren nur, wenn es nicht geklappt hat. Bei der Frau mit dem Ring, den sie zur Geburt des Kindes bekommen hatte etwa. Der ist am Ende versteigert worden… Ich fürchte, so wird das in Zukunft öfter laufen…

Klingt so, als würden Sie die aktuelle Situation eher als einen Anfang sehen?

Hermann: Tatsächlich gehen wir von einem langfristigen Wachstum aus. Vieles spricht dafür, dass die Zeiten nicht besser werden. Zumindest nicht für unsere Kunden…

Das könnte man jetzt wieder sarkastisch nennen.  

Hermann: Mag sein, aber letztlich ist das unser Geschäft. Und man muss es ja auch mal so herum sehen: Ohne uns ginge es den Leute noch schlechter.  

Unser Angebot macht es vielen möglich, sich Liquidität zu verschaffen. Sowas wie einen Aufschub vereinfacht gesagt. Ich sehe im Pfandleihgeschäft nichts Unanständiges.

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