Robert Habecks Prognose war zu optimistisch: Die deutsche Wirtschaft ist wieder geschrumpft. Ökonomen kritisieren die Regierungspolitik hart.
„Im weiteren Jahresverlauf sehen wir jetzt Anzeichen dafür, dass sich die Wirtschaft langsam aus der Schwächephase herausbewegt.“ Diese Aussage von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) aus dem April könnte ihm auf die Füße fallen, denn: Die deutsche Wirtschaft ist nach einem Mini-Wachstum zu Jahresbeginn im zweiten Quartal unerwartet um 0,1 Prozent geschrumpft, wie Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen.
Im Gegensatz dazu wuchs die Wirtschaft in der gesamten Euro-Zone überraschend um 0,3 Prozent. Deutschland bleibt somit das große Sorgenkind. „Die Erholung der deutschen Wirtschaft verläuft schwächer als zu Jahresbeginn allgemein erwartet und in der Frühjahrsprojektion unterstellt“, gesteht das Wirtschaftsministerium auf Anfrage. Die neue Wachstumsinitiative der Bundesregierung soll das Ruder nun herumreißen. Mit ihr würden „wichtige Impulse zur Stärkung des Wirtschaftswachstums in Deutschland“ gesetzt, erklärt ein Ministeriumssprecher. Doch wie realistisch ist das?
Bereits im vergangenen Jahr musste Robert Habeck seine zu optimistisch angesetzte Prognose nach unten korrigieren. Wiederholt sich jetzt das Szenario? Die Berliner Zeitung hat mehrere Ökonomen befragt. Ihr Fazit fällt vernichtend aus.
IW-Ökonom kritisiert Ampel: „Wirtschaftspolitik muss endlich weniger ideologisch sein“
„Wir stellen fest, dass die kleinteilige und oft inkonsistente Wirtschaftspolitik die Unternehmen zusätzlich verunsichert“, kritisiert Thomas Obst die Bundesregierung. Der Chefökonom beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln betont, dass die Ampel-Regierung „in der aktuellen Lage großer Umbrüche und geopolitischer Schocks uneins und zerstritten“ wirke. Es fehle an Planbarkeit für Investitionen und einer Aussicht auf stabile und günstige Energieversorgung. Außerdem habe die Ampel nicht den nötigen Mut, die „Abgabenlast beispielsweise über eine Unternehmenssteuerreform zu senken“.
Obst ist skeptisch, dass die Wachstumsinitiative daran etwas ändern wird. Einige Punkte gingen zwar „in die richtige Richtung“, meint der Volkswirt. Allerdings würden beispielsweise Steuerrabatte für Ausländer bis zu 600 Millionen kosten und wenig bringen. „Sie sind außerdem diskriminierend im Sinne der Steuergerechtigkeit.“ Besser wäre es aus seiner Sicht, „die Abgabenlast für alle zu senken und damit den privaten Konsum und die Unternehmensinvestitionen zu stimulieren“. Die wirtschaftspolitischen Themen müssten „endlich pragmatischer und weniger ideologisch angepackt werden“, betont Obst.
Experte über Bundesregierung: „Vertrauen hat massiv gelitten“
Der Rückgang der deutschen Wirtschaft überrascht auch den Leiter der Wirtschaftsforschung für die Wirtschaftsauskunftei Creditreform, Patrik-Ludwig Hantzsch, nicht. „Die Versäumnisse der jüngeren Vergangenheit wiegen so schwer, dass eine kurzfristige und vor allem nachhaltige Erholung der Wirtschaft kaum zu erwarten war“, sagt er auf Anfrage. Er erwarte sogar, dass sich das Problem weiter verschlimmern werde. „Analog zu den steigenden Insolvenzzahlen werden sich erst nach und nach die Schäden in der Statistik materialisieren.“
Die Bundesregierung sei zwar nicht allein verantwortlich, da viele Fehler „bis tief in die Ära Merkel reichen“, sagt der Ökonom. Aber: „Die wirtschaftspolitische Ausrichtung der Ampel lavierte gerade am Anfang zwischen Krisenmanagement und ideologischem Wunschdenken.“ Das Ergebnis sei eine „tiefe Verunsicherung der Unternehmen, insbesondere des Mittelstands, die einen Aufschwung lähmt“.
Hantzsch hält die Wachstumsinitiative für einen guten Ansatz. „Sie kommt aber zu spät und ist zu wenig konsequent.“ Der Bürokratieabbau sei „halbherzig“, die Subventionspolitik „fehlgeleitet“ und die Energiepolitik „verheerend“, kritisiert er. „Bei einem Marathon nutzt ein kurzer Sprint eher wenig.“ Der Wirtschaftsforscher glaubt nicht daran, dass die Ampel das Ruder noch herumreißt. „Das Vertrauen hat bereits massiv gelitten.“ Das zeige sich daran, „dass weder die deutschen Unternehmen in ausreichendem Maße investieren noch ausländische Investoren den Standort Deutschland als besonders attraktiv empfinden“.
Der Internationale Währungsfonds prophezeit für Deutschland nur noch ein Wachstum von 0,2 Prozent 2024 – die schwächste Rate aller führenden westlichen G7-Industriestaaten. Doch woran liegt es, dass die Ampel das Land wirtschaftlich nicht auf Kurs bekommt?
Gunther Schnabl: „Deutschland muss soziale Abgaben kürzen und Steuern senken“
Der renommierte Wirtschaftsexperte von der Universität Leipzig und Autor des Buches „Deutschlands fette Jahre sind vorbei“, Gunther Schnabl, hat dafür eine mögliche Antwort: „Die Partner in der Koalition blockieren sich gegenseitig.“ SPD und Grüne möchten den Sozialstaat ausbauen und die grüne Transformation fortsetzen. Die FDP stelle sich jedoch gegen neue Schulden.
„Die von der Bundesregierung verfolgte grüne Transformation kann das vom Kanzler versprochene Wirtschaftswunder nicht schaffen“, betont der Experte. Sie sei vielmehr ein wichtiger Grund für die Krise. Was muss also getan werden, um die Wirtschaft zu stärken?
„Deutschland bräuchte eine grundlegende wirtschaftspolitische Wende“, fordert Schnabl. Es brauche ein „grundlegendes Umdenken zurück zu den marktwirtschaftlichen Prinzipien, die Deutschland einst zur Wachstumslokomotive von Europa gemacht haben“. Was bedeutet das konkret? „Der deutsche Staat müsste seine Ausgaben, insbesondere im sozialen Bereich, deutlich kürzen und Steuern senken“, erklärt Schnabl. Außerdem müssten Regulierungen wie das Lieferkettengesetz und „die Klimaagenda zurückgefahren werden“.
Ähnlich sieht es Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der chemischen Industrie (VCI). „Die Regierung muss schnellstens vom Reden ins Handeln kommen, damit die zweite Jahreshälfte besser verläuft“, sagt er. Das heiße im Klartext: „Runter mit den Energiepreisen, weg mit überbordender Bürokratie, freie Fahrt für Innovationen.“ Außerdem brauche es einen „mentalen Wandel“ hierzulande. „Deutschland muss dynamischer und offensiver werden, sonst bleiben wir auch im nächsten Jahr wirtschaftliches Schlusslicht.“ Wirklich rosig klingen die Aussichten für die deutsche Wirtschaft nicht.
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