Eine Unternehmerin räumt auf

„Die Wokeness-Bewegung ist zu weit gegangen“

05.11.2024
Lesedauer: 4 Minuten
"Für mich ist Arbeit ein Teil des Lebens", sagt Janna Ensthaler. (Foto: privat)

Janna Ensthaler hat eine steile Karriere hingelegt. Die Investorin und Unternehmerin hat ein Einser-Abi, in Oxford studiert, drei Startups gegründet und drei Kinder bekommen. Seit 2023 ist sie Teil des Löwen-Rudels der VOX-Show „Die Höhle der Löwen“. Laut „Manager Magazin“ gehört sie zu den 100 einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft. Von „Null-Bock-Tagen“ und Wokeness hält Ensthaler gar nichts. Im ntv-Podcast „Startup – jetzt ganz ehrlich“ fordert sie bessere Bedingungen für Frauen, die gründen möchten. Sie sagt aber auch: Perfekte Vereinbarkeit gibt es nicht.

ntv: Viele kennen Sie als Jurorin der VOX-Show „Die Höhle der Löwen“, aber die wenigsten Ihren steilen Karriereweg. Abitur mit 1,0, Studium an der Elite-Universität Oxford, drei Startups gegründet, drei Kinder bekommen und jetzt Investorin. Woher kommt dieser Ehrgeiz?

Das Wort „Ehrgeiz“ hat oft einen negativen Beigeschmack. Ich hatte das Glück, in einer Familie aufzuwachsen, in der Leistung und Erfolg positiv besetzt waren. Es macht einfach Spaß, etwas zu erreichen! Diesen Ehrgeiz hatte ich schon immer im Blut, aber früher war ich noch verbissener. Durch meine Kinder – meine Älteste ist zehn – habe ich gelernt, warum ich Dinge erreichen will. Heute will ich die Zukunft meiner Kinder verbessern und etwas Positives bewirken. Dieser neue Ehrgeiz fühlt sich für mich viel erfüllender an.

Zuletzt wurde gemeldet, dass einige Unternehmen sogenannte „Null-Bock-Tage“ anbieten. An diesen Tagen müssen Arbeitnehmer nicht zur Arbeit, wenn sie keine Lust haben. Was sagen Sie dazu?

Wir Deutschen schauen oft nur auf uns. Doch wir stehen im globalen Wettbewerb und können unser Sozialsystem nur finanzieren, wenn wir gemeinsam Erfolg haben. Aktuell arbeiten wir weniger als andere europäische Länder. Für mich ist Arbeit ein Teil des Lebens. Idealerweise liebt man, was man tut. Es geht darum, zur Gemeinschaft beizutragen und gemeinsam etwas Größeres zu schaffen, das finde ich wichtig. Darauf sollten wir uns fokussieren, statt nach weniger Arbeit zu streben.

Sind wir zu satt in Deutschland?

Das wäre eine Pauschalisierung. Es gibt viele Deutsche, etwa Rentner und Alleinerziehende, die unter der Armutsgrenze leben. Wir wiegen uns eher in falscher Sicherheit. Uns stehen viele Herausforderungen bevor, auf die wir uns besser vorbereiten sollten. Dafür brauchen wir klare Strategien, sonst reagieren wir nicht stark genug.

Sie haben mit 26 Jahren gemeinsam mit der Gründerschmiede Rocket Internet das Startup Glossybox gegründet. Über die Arbeit dort ranken sich wilde Mythen. Wie war’s wirklich?

Rocket Internet war eine verrückte Zeit. Null-Bock-Tage oder eine Vier-Tage-Woche gab es definitiv nicht. Wir haben alle super viel gearbeitet, oft bis tief in die Nacht, und hatten trotzdem Spaß daran. Für mich war das keine Ausbeutung, sondern eine Phase, die ich geliebt habe und niemals bereuen würde. Sicher, der Umgangston war nicht wie im Waldorfkindergarten, aber ich habe unglaublich viel von Oliver Samwer gelernt. Zum Beispiel, wie viel man innerhalb eines Monats erreichen kann, wenn man sich ehrgeizige Ziele setzt und richtig Gas gibt. Das war das Größte für mich: Zu sehen, was in kurzer Zeit möglich ist.

Als Frau und Investorin sind Sie eine Ausnahme in der Startup-Welt. Zuletzt ist die Zahl der Gründerinnen sogar zum ersten Mal seit Langem von knapp 21 Prozent auf 19 Prozent gesunken. Woran liegt das?

Ich halte es für wichtig, dass Frauen den Mut haben, zu gründen, wenn sie es möchten. Dafür muss es gleiche Chancen geben, damit Frauen auch mit Kindern gründen können. Aber die Debatte wird meiner Meinung nach zu groß gemacht. Natürlich wäre es schön, wenn der Anteil der Gründerinnen wächst, aber eigentlich sollten wir uns auf größere Fragen konzentrieren: Warum gehen Gründungen insgesamt zurück? Warum fließt nicht mehr Kapital in den Markt, unabhängig vom Geschlecht? Warum sind wir nicht erfolgreicher bei der Schaffung von Unicorns? Es sollte egal sein, ob ein Team aus Frauen oder Männern besteht. Und warum sollten wir Männerteams nicht genauso fördern?

Wirtschaftlicher Schaden entsteht aber auch, weil viele Frauen, die gerne arbeiten oder gründen würden, wegen fehlender Kinderbetreuung nicht können.

Man muss anerkennen, dass es keine perfekte Vereinbarkeit gibt. Es ist auch völlig in Ordnung, wenn Frauen in den ersten Jahren zu Hause bleiben. Warum sollte das nicht anerkannt werden? Warum bekommen Frauen, die diese wertvolle Aufgabe übernehmen, nicht mehr Wertschätzung und finanzielle Unterstützung? Gleichzeitig sollten wir mehr Möglichkeiten für Frauen schaffen, die trotzdem gründen möchten. Es sollte ausreichend gute Kinderbetreuung geben, sonst arbeiten wir auf Kosten der nächsten Generation.

Das ist das Ziel des Feminismus: Jede Frau sollte tun, was sie möchte.

Das sehe ich genauso. Mir ist es wichtig, dass wir uns als Gesellschaft in eine gute Richtung entwickeln. Die Wokeness-Bewegung ist mir aber zum Beispiel zu weit gegangen. Wir sollten Ebenbürtigkeit anstreben, nicht Gleichmacherei. Männer und Frauen tragen unterschiedlich zur Gesellschaft bei. Das sollten wir als Ergänzung sehen, nicht als Hindernis.

Mit Janna Ensthaler sprach Janna Linke. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Vollständig können Sie es im ntv-Podcast „Startup – jetzt ganz ehrlich“ anhören.

Quelle: ntv.de

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