Jürgen von der Lippe: Gendern „verhunzt“ die Sprache, ist „schlicht falsch“ und „kontraproduktiv“

28.08.2023
Lesedauer: 8 Minuten
211919346.jpg © Henning Kaiser/dpa

In Korbach gibt sich Comedy-Urgestein Jürgen von der Lippe die Ehre. Im Interview spricht er über das moderne Fernsehen, Gendern und Cannabis.

Korbach – Jürgen von der Lippe sitzt vor seinem Auftritt in der Korbacher Stadthalle entspannt in seiner Garderobe. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, das markante Hawaiihemd wird er später noch überziehen. In einer Stunde wird er die Bühne betreten. Für ein Interview mit WLZ-Redakteur Philipp Daum ist noch Zeit.

Herr von der Lippe, Sie haben vor sich die Waldeckische Landeszeitung liegen. Warum?

Zeitungen sind für meine Arbeit sehr wichtig. Ich reiße Artikel heraus und sammel diese. Auf meinem Schreibtisch liegen stapelweise Sachen, von denen ich beim Lesen gesagt habe, das ist interessant, da könnte eine Geschichte drin stecken. Wenn ich Ruhe habe, nehme ich mir die Sachen vor und lasse mich inspirieren. Dazu brauche ich diese Zeitungsschnipsel, ich bin ein klassischer Anstreich-Leser. Natürlich habe ich auch einen E-Book-Reader, den ich aber nur im Urlaub benutze, weil ich nicht 20 Bücher mitschleppen will. Ich lese darauf Krimis und Sachen, die mich unterhalten. Auf den Nachtfahrten zwischen den Spielorten ist der E-Book-Reader ebenfalls ideal, weil ein stärkeres Licht im Auto, was ich zum Lesen eines richtigen Buches bräuchte, den Fahrer stören würde. Zwar kann man auch im E-Book-Reader Stellen markieren, aber das ist viel zu umständlich.

Sie sind ein großer Literaturfan und haben zuerst mit „Was liest du?“ und danach mit „Lippes Leselust“ Ihre Leidenschaft auf die Bühne gebracht. Auf Ihrem YouTube-Kanal werden die Sendungen tausendfach aufgerufen. Wie entstand die Idee, mit Berufskollegen eher unbekannte Literatur vorzustellen?

Ich habe das immer vorgehabt. Wann mich das angesprungen hat, weiß ich nicht mehr genau. Es liegt aber auf der Hand. Ich habe bei „Geld oder Liebe“ immer die Musik-Acts favorisiert, die dem Publikum noch nicht so bekannt waren. Deshalb war die Show damals die begehrteste für aufstrebende Künstler. Obgleich man auch sagen muss, dass uns das jedes Mal Millionen Zuschauern gekostet hat, die zu anderen Sendern abgewandert sind. Später galt Musik aber auch in den anderen Shows als sicherer Quotenkiller – das ist jetzt, vor allem auch dank der privaten Sender, glücklicherweise wieder anders. Ich finde Formate wie The Voice of Germany oder Sing meinen Song – Das Tauschkonzert richtig toll.

Sind es nur private Sender, die erkannt haben, dass sich Musik wieder lohnt, um Quote mit jungen Zuschauern zu machen?

Eher schon. Wie dagegen einige öffentlich-rechtliche Sender heute mit ihren Zuschauern umgehen, ist ein Skandal. Die jungen Leute schauen doch gar kein Fernsehen mehr, sondern streamen oder tummeln sich auf YouTube. Die treuen TV-Zuschauer sind die über 60-Jährigen, die noch regelmäßig schauen – aber die werden nicht gut behandelt. In völliger Unkenntnis der Sachlage hecheln die Sender der Jugend nach, die sie sowieso nicht kriegen. Beliebte Formate für ältere Zuschauer werden abgesetzt – das fing schon damals damit an, als Karl Moik in Rente geschickt wurde, obwohl er das Durchschnittsalter des ZDF- oder ARD-Zuschauers hatte und mit seiner Show auch genau diese Zielgruppe erreichte.

Vollblutkomiker: Vor seinem Auftritt in der Korbacher Stadthalle sprach Jürgen von der Lippe mit der WLZ. Schnell war klar: Lokalzeitungen inspirieren den Künstler.
Vollblutkomiker: Vor seinem Auftritt in der Korbacher Stadthalle sprach Jürgen von der Lippe mit der WLZ. Schnell war klar: Lokalzeitungen inspirieren den Künstler. © Andre Kowalski

Gendersprache „verhunzt“ die Sprache, ist „schlicht falsch“ und „kontraproduktiv“

Ob in der Zeitung oder in Büchern: Auf eine verständliche und klare Sprache kommt es an. Sie haben sich eindeutig gegen das Gendern ausgesprochen, warum?

Ich bin dankbar für das Thema, das bei meinen Bühnenprogrammen auch eine Rolle spielt. Hierbei stelle ich immer wieder fest, dass die Leute unglaublich dankbar dafür sind, dass jemand ganz klar sagt, was das für ein Unsinn ist. Ich nenne auch Beispiele. Eine fehlerhafte Berichterstattung war, als geschrieben wurde: Alexander Zverev war der erste deutsche Tennisprofi, der Olympia gewonnen hat. Das ist nicht korrekt. Der erste deutsche Tennisprofi, der Olympia gewonnen hat, war Steffi Graf. Jetzt denken Sie sich mal das generische Maskulinum weg, dann können Sie das nicht sagen. Oder: Annalena Baerbock war die erste grüne Kanzlerkandidatin. Das ist genauso falsch, denn das würde bedeuten, dass es schon einmal einen männlichen grünen Kanzlerkandidaten gegeben hätte, was aber nicht der Fall ist. Annalena Baerbock war also von allen Kanzlerkandidaten die erste Grüne.

Haben Sie weitere Beispiele?

Der Linguist Peter Eisenberg kommt immer mit dem Satz: Die Bläser und Streicher der Berliner Philharmoniker genießen Weltruf. Nun machen wir mal: Die Bläserinnen und Bläser und die Streicherinnen und Streicher. Oder: Die Bläser*innen und Streicher*innen. Oder: Die Blasenden und Streichenden, was schon mal überhaupt nicht geht. Man kann zwar, wenn man Posaune und Geige gelernt hat, ein Bläser und Streicher sein – aber eben kein Blasender und Streichender.

Wie reagiert das Publikum, wenn Sie diese Beispiele bringen und so deutlich machen, wie sehr Ihnen das Gendern missfällt.

Es ist begeistert. Ich sage den Leuten aber auch: Bitte versteht mich nicht falsch. Beim Gendern verhält es sich doch ähnlich wie bei der Political Correctness – auch hier gibt es etliche Beispiele. Schwarzfahrer etwa, soll niemand mehr sagen. Max Goldt hat einmal gesagt: Es wird schwierig, wenn die Kritik an einem Missstand lästiger wird, als der Missstand selbst. Wenn ich sage: Ich hoffe, niemand in diesem Raum ist in irgendeiner Weise für Rassismus, betone ich zugleich: Man ändert doch nichts, wenn man mit sprachlich unsinnigen Sachen kommt und den Leuten damit auf den Sack geht. Das ist kontraproduktiv. Und beim Gendern ist es einfach so, dass die Sprache verhunzt wird, weil das Gendern schlicht falsch ist. Sonderzeichen, ob das der Doppelpunkt, das Gendersternchen oder der Unterstrich ist, sind von der Rechtschreibung nicht abgedeckt.

Jürgen von der Lippe wollte früher Journalist werden

  • Ich hatte gelesen, dass Sie sich früher um Volontariate beworben haben, um Journalist zu werden.
  • Das stimmt so nicht ganz. Mein Berufsziel war aber tatsächlich Journalist. Unter anderem deshalb habe ich mich nach der Schulzeit zum Dienst bei der Bundeswehr verpflichtet. Der Standortälteste in Aachen hatte nämlich zuvor von meinen Vater gehört, dass ich Journalist werden wollte. Er war damals Stammgast in der Striptease-Bar, in der mein Vater als Barkeeper arbeitete. Eines Tages nahm er mich zur Seite und sagte: Wenn du dich für drei Jahre verpflichtest, kommst du auf jeden Fall zum Sendebataillon nach Andernach und kriegst dort eine Journalistenausbildung. Das habe ich gemacht und war bei der Fernmeldetruppe. Doch nach Andernach ging es nie.
  • Das heißt, der Standortälteste hat Sie gelinkt, um jemanden zur Bundeswehr zu bekommen?
  • Ich unterstelle ihm mal, dass er keine Ahnung hatte. Er wusste nämlich offenbar nicht, dass die in Andernach nur Berufssoldaten nehmen.
  • Was hat Sie am Journalismus damals so begeistert?
  • Ich habe schon als Schüler gerne für Zeitungen kleinere Artikel geschrieben – über Kaninchenzüchterausstellungen zum Beispiel. Die Affinität war einfach da, ich wollte in meiner frühesten Jugend schon Lesen können. Als ich fünf Jahre alt war, konnte ich bereits Lesen und Schreiben und habe damals – ohne zu wissen, wo es her kam – schon Märchen geschrieben.
  • Ein Thema, was derzeit intensiv diskutiert wird, ist die Cannabis-Legalisierung. In Ihrem Buch „Sex ist wie Mehl“ gibt es eine Passage, in der Sie humorig erklären, dass betrunkene Menschen gefährlicher sind als bekiffte. Sie fragen: „Wie oft liest man in der Zeitung: Betrunkener verprügelt Frau. Haben Sie schon mal gelesen: Bekiffter verprügelt Frau?“ Sind Sie dafür, dass Cannabis legalisiert wird?
  • An Alkohol und Zigaretten verdient der Staat so viel und beides ist gesundheitsschädlich. Ich glaube, dass die Schädigungen bei Cannabis im Vergleich dazu milde sind. Natürlich kenne ich Leute, die sich den Verstand weg kiffen. Aber das sind friedliche Leute. Ein randalierender Säufer ist tausendmal schlimmer als ein Weggetretener, der einfach nur bekifft ist. Die wenigen Male, die ich gekifft habe, sahen so aus: Ich saß mit einem Kumpel zusammen, wir haben Musik von Bob Dylan gehört oder todernste Schwarz-Weiß-Filme mit Ruth Leuwerik und Rudolf Prack geschaut. Dabei haben wir uns kaputt gelacht. Gut, die körperlichen Funktionen waren lahmgelegt. Irgendwann hörte ich mit dem Rauchen auf und stellte außerdem fest, dass das Kiffen auch nicht mehr so interessant ist.

Zur Person

Jürgen von der Lippe (75) ist ein deutscher Fernsehmoderator, Entertainer, Schauspieler, Hörbuchsprecher, Musiker, Komiker und Autor. Er steht seit 50 Jahren auf der Bühne. Sein erster großer Erfolg war Donnerlippchen im WDR. Es folgte die ebenfalls sehr erfolgreiche Sendung Geld oder Liebe in der ARD. In seinen Bühnenprogrammen nimmt er Merkwürdigkeiten und Begebenheiten des Alltags gekonnt und mit viel Selbstironie auf die Schippe. Von der Lippe lebt in Berlin und ist unter anderem Träger des Bambi, des Grimme-Preises und der Goldenen Kamera. Seine Bücher „Beim Dehnen singe ich Balladen“, „Der König der Tiere“, „Nudel im Wind“ und „Sex ist wie Mehl“ standen wochenlang auf der Bestsellerliste.

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