Die deutschen Basketball-Profis gewinnen bei der WM auch ohne Franz Wagner gegen Mitfavorit Australien. Kapitän Schröder und Kreativspieler Lo überzeugen. Das wirft eine erstaunliche Frage auf.
Eine Geschichte des zweiten WM-Spiels der deutschen Basketball-Nationalmannschaft sollte Dennis Schröder beschreiben. Wie er punktete, wie er die Bälle verteilte, wie er unaufhaltbar zum Korb zog, wie er verteidigte. Grandios, ziemlich einzigartig in der Historie des deutschen Basketballs.
Rein statistisch betrachtet, gelang dem Aufbauspieler am Sonntag in Okinawa beim überraschenden 85:82-Sieg über Australien, was fast dreißig Jahre keinem Nationalspieler in Rot-Weiß-Gold geglückt ist: in 35 Spielminuten 30 Punkte, mal lässig, mal mit seinem Speed, mal frech aus großer Distanz mit fünf erfolgreichen (von neun) Drei-Punkte-Würfen (56 Prozent Trefferquote).
Dazu setzte er seine Teamkollegen in Szene mit acht Assists. Was die Statistik kaum erkennen lässt, sieht man von vier Steals, dem Gegner geklauten Bällen, ab, sind die Kreativität in schwierigen Momenten und die Leidensbereitschaft.
„Wir haben alles gegeben“
Als Australien Schröder zu „doppeln“ begann, also mitunter zwei Verteidiger auf ihn hetzte, zog er mit dem Weg zurück zur Mittellinie das Spiel auseinander, schuf Platz und passte präzise. Schröder blieb, obwohl hart bedrängt, immer cool. Und leichtfüßig in der Verteidigung vor der Nase seiner Gegenspieler.
An dieser Stelle wagte Schröder einen Einspruch in eigener Sache, als er sich für seinen Überehrgeiz in der Verteidigung gegen den anfangs brillanten Patty Mills (21 Punkte) kritisierte, bevor er die Botschaft des Tages formulierte für alle in der Mannschaft und im Turnier: „Wir haben als Team einen sehr guten Job gemacht“, sagte der NBA-Profi der Toronto Raptors, „wir haben alles gegeben.“ So kam der Kapitän fix zu dem, was die Deutschen am Sonntag als Größe im Turnier erscheinen lässt, ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen.
Wie recht er hatte, wird mit Blick auf Franz Wagner deutlich. Der saß wie ein Zuschauer an seinem 22. Geburtstag auf der Bank. In Trainingsklamotten, mit einer Schiene rund um den linken Fuß. Deutschland ohne zweiten Star, ohne die erste Option im Angriff nach Schröder? Wer soll die Punkte machen? Wer soll den so beweglichen 2,08 Meter langen Berliner von den Orlando Magic in der Verteidigung ersetzen?
Trainer und Profis des europäischen Basketballs wissen spätestens seit der Europameisterschaft 2022 in Deutschland, welche Tiefe im deutschen Team steckt. Als der australische Coach Brian Goorjian vor dem Sprungball seine weitgehend aus der NBA (neun von zwölf) rekrutierten Profis aufforderte, unbedingt in den ersten fünf Minuten das Reboundspiel zu kontrollieren, ließ er den Respekt des Olympiadritten von 2022 schon erkennen.
Aber ahnten die Deutschen, dass sie in diesem wichtigen zweiten Spiel der Vorrunde gegen einen so wendigen, schnellen, variablen Medaillenkandidaten ihr Talent würden ausspielen können? Nein. Zumindest mussten sie zweifeln nach der zweiten Halbzeit gegen Japan (81:63) am Freitag, als in der Offensive der Ideenreichtum nachließ und die Würfe aus der Distanz reihenweise das Ziel verfehlten.
Der Lo der EM
„Es ist die Qualität einer Mannschaft, dass verschiedene Spieler in verschiedenen Momenten etwas beitragen können“, sagte Maodo Lo am Sonntag der F.A.Z. „(…) Das ist eine Qualität, die wir als Mannschaft haben.“
Das sagte der Richtige. Los Auftritt gegen Australien erinnerte an den Lo der EM: 20 Punkte in gut 25 Minuten, eine Trefferquote von 67 Prozent, die Hälfte aller Dreier, vier von acht, versenkt. Schwierige dabei und wichtige in schwierigen Phasen, als Australien am Zug schien.
Da war er wieder, der elegante, schnelle, gewandte Lo, dessen Spiel eine bezaubernde Leichtigkeit ausstrahlen kann, wenn er sein Potential zu nutzen weiß. Am Freitag gelang ihm so gut wie nichts, am Sonntag fast alles. Und deshalb lässt sich am Beispiel Lo die zweite Geschichte des deutschen Spiels erzählen, die erstaunlichere: Ist Deutschland stärker ohne Franz Wagner?
Das ist eine hypothetische Frage. Sie müsste mit Nein beantwortet werden, weil Wagner, der jüngere der Gebrüder, immer ein Gewinn ist in seiner Form. Aber die hoffentlich schnell heilende Verletzung eröffnete Spielraum und nahm seinen Mitspielern einen gewissen Komfort: sich auf ihn verlassen zu können. Wenn Deutschlands Basketball-Auswahl also das ist, wofür sie gehalten wird von Experten, dann musste sie es gegen Australien, eines der besten Teams weltweit, beweisen.
Isaac Bonga tat das als direkter Ersatz im ersten Viertel. Und siehe da, der im Angriff mitunter blockiert wirkende Profi des FC Bayern (9) trug wesentlich zur 16:5-Führung bei. Den größten Sprung aber machte Lo, quasi aus der Tiefe seiner sich über das vergangene Jahr ziehenden Flaute heraus. Wie ist das möglich? Vielleicht trug dazu bei, dass der zweite „Einser“ neben Schröder den Ball vortrug und nicht wie während der Vorbereitung und beim Spiel gegen Japan diese Aufgabe weitgehend Franz Wagner überlassen musste.
Erfolgreich zerrissen
Lo entwickelt sein Spiel aus dem Dribbling schon in der eigenen Hälfte. Er fand mit einem „Ankle Breaker“, wie Basketballer das Austricksen ihrer Gegner beschreiben, ins Match, gewann mit zunehmender Spielerdauer in der umkämpften Partie ein Selbstbewusstsein wie zu seiner besten Zeit.
Nach dem kleinen Rückstand zum Ende des dritten Viertels (62:66) wirkte er entscheidend bei einem 10:0-Lauf mit. Australiens Chefcoach sah sich gezwungen, mit Josh Green einen bissigen, härteren Bewacher Los aufs Feld zu schicken und auch große Männer auf Lo loszulassen. Der ließ sich nicht beeindrucken.
„Er war offensiv wie defensiv stark. Das war sein Durchbruch“, sagte Bundestrainer Gordon Herbert und lächelte. Der Kanadier hatte zehn von elf Spielern eingesetzt, die sich wie zum Beispiel Johannes Thiemann (2/3 Steals) erfolgreich zerrissen für den Erfolg.
Dass Schröder 23 Sekunden vor Schluss beim Stande von 83:82 den Ball verlor an Australien, bestärkt symbolisch den Eindruck des Tages: Selbst wenn ein starker Spieler fehlt und dem Kapitän mal ein Fehler unterläuft, sind die Deutschen nicht verloren: „Wir haben eine der besten Mannschaften im Turnier geschlagen“, sagte Lo, „und das ohne Franz geschafft. Es ist wichtig für uns, zu wissen, dass wir mit jeder Mannschaft konkurrieren können.“ Am Dienstag (09.30 Uhr bei Magentasport und MagentaTV) dann mit Finnland.


Quelle: F.A.Z.