Kommentar

Warum ich die deutsche Angst vor der rechten Welle nicht teile

11.06.2024
Lesedauer: 6 Minuten
Bildquelle: Focus

Überall in Europa gewinnen rechte Politiker Stimmen dazu. Der viel beschworene „Rechtsruck“ – er ist mit der Europawahl Wirklichkeit geworden. Ich habe in vielen dieser Länder gelebt – und habe keine Angst vor dem, was jetzt passiert.

So – das ist er jetzt also, der viel beschworene und angstvoll erwartete „Rechtsruck“. Europa hat gewählt, und er tritt nun ein. Die blaue Welle rollt durch Städte und Länder: Berlin, Wien, Rom, Paris – die Reporter überschlagen sich, als sei es eine tödliche Dosis Strahlung, die da über Europa hinwegnebelt. 

Ehrlich gesagt: Ich teile die deutsche Angst, die auch eine spezifische Angst der deutschen Journalisten ist, kein bisschen. Ich habe in diesen „Rechtsruck-Ländern“ gelebt und kann versichern: Wir werden klarkommen miteinander.

Rechtsruck: Es ist kein Putsch und keine Revolution, die in Europa passiert

Wer den demokratischen Wechsel als eine Machtverschiebung ohne Blutvergießen begreift, kann unaufgeregt feststellen: Nach der Ära der Linken in Deutschland, der es einst darum ging, sich von der Kriegsgeneration zu verabschieden, nach der Ära der Konservativen, die den Wohlstand bewahren und mehren wollten, nach den Triumphen der Grünen , die die Verantwortung für diesen Planeten in den Mittelpunkt stellten, kommen jetzt die Welterklärer an die Macht, die Abgrenzung und Populismus gezielt nutzen, um verloren gegangenes Selbstbewusstsein bei den Wählerinnen und Wählern zu heben.

Es ist kein Putsch und keine Revolution, die sie anzetteln, sondern es ist das nächste Politikmodell, das jenes ablöst, von dem viele die Nase voll haben. Ich auch. Das Modell dieser neuen erfolgreichen Rechten ist bekannt und funktioniert immer dann gut, wenn die Unsicherheit groß ist.

Und dass sie gerade groß ist, bezweifele ich nicht: Auch ich habe die endgültigen Antworten auf Krieg oder Frieden, auf KI oder besser ohne, auf Öko oder Wohlstand, auf Grenzen öffnen oder Grenzen schließen nicht gefunden. Ich traue allerdings auch keinem, der sagt, er kenne die Antwort.

„Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Antwort, und die ist falsch“, sagt Umberto Eco, Schriftsteller, Europäer und Italiener. Er ist mir, der ich mitunter in einem kleinen Dorf in Norditalien lebe, wo sie alle Meloni wählen, schon deswegen grundsymphatisch.

Italien tickt anders als wir – und das ist nur verständlich

Überhaupt diese Italiener. Sie haben klar für die Regierungspartei „Fratelli d‘Italia“ um Premierministerin Giorgia Meloni gestimmt – jene Meloni also, die vor ihrer Wahl zur Regierungschefin hierzulande als Faschistin gebrandmarkt wurde. Dabei vergessen alle, die solche Einteilungen vornehmen, dass politische Sortierungen, die hier als Schimpfwort gemeint sind, jenseits der Alpen anders aufgefasst werden.

Der Faschismus in Italien hat einen anderen Ruf als hierzulande. Meloni hatte in ihrem ersten Wahlkampf Sätze in die Menge geschleudert wie: „Ich sage: Ja zur natürlichen Familie; Nein zur LGBT-Lobby; Ja zur sexuellen Identität; Nein zur Gender-Ideologie; Ja zum Leben; Nein zur Kultur des Todes; Ja zu den christlichen Werten; Nein zur islamistischen Gewalt; Ja zur Souveränität des Volkes; Nein zu den Brüsseler Bürokraten; Ja zu sicheren Grenzen; Nein zur Masseneinwanderung.“

Damit hätte sie mancherorts wohl auch in Deutschland eine Wahl gewinnen können. Es sind einfache Antworten auf schwierige Fragen. So etwas zieht oft und gerade jetzt. Die Römerin hat sich inzwischen als überzeugte Europäerin entpuppt, sie ist alles andere als beängstigend.

Extremisten rauswerfen: Was die AfD von Le Pen lernen könnte

Auch Marine Le Pen und ihr Rassemblement National – die klaren Wahlsieger in Frankreich – sind das nicht mehr. Ich habe einst in Bordeaux studiert, ich war betroffen, wenn ich mich damals mit den Hassattitüden von Le Pens Vater Jean-Marie auseinandersetzen musste.

Gleichzeitig war ich in die Menschen und das Land, das mich da studieren ließ, hoffnungslos verliebt. Die Tochter hat mit der Übernahme des Parteivorsitzes von ihrem Vater dessen Front National ein menschlicheres Gesicht gegeben: von der rechtsextremen Protestbewegung, die durch rassistische und antisemitische Äußerungen auffiel, hin zu einer gemäßigteren Truppe, die für Konservative wählbar geworden ist – ein Prozess im Übrigen, der auch der AfD nicht schlecht zu Gesicht stünde.

Schließlich schmiss sie den Vater aus der Partei und ist inzwischen selbst zugunsten von Jordan Bardella in die zweite Reihe getreten. Der Kandidat ist keine 30, Sohn italienischer Einwanderer und sagt zur EU Sätze wie: „Wir sind pragmatischer geworden; weniger dogmatisch, verlangen weder den EU- noch den Euro-Austritt.“ Auch ihm geht es mehr um ein Europa der Nationalstaaten und weniger um einen Bundesstaat Europa. Finde ich schade, aber darüber lässt sich streiten.

Angst vor der blauen Welle? Nein – das Pendel schlägt zurück

Ja – und dann sind da noch die Österreicher, vor denen ich mich nicht fürchte. Das liegt nicht daran, dass sie politisch stets der Ruf einer Operettenrepublik haben. Wer das sagt, wird den Politikern in der Hofburg nicht gerecht.

Aber Österreich ist Große-Koalitionen-geschädigt. Dabei geht es nicht nur um die zwischen Schwarz und Rot in der Politik, sondern es geht um die Koalition zwischen Politik, Wirtschaft und Medien, die das Land seit mehr als 70 Jahren regiert. Sie hat dazu geführt, dass die einstigen Liberalen sich zu rechten Underdogs entwickelten, die je nach Charisma und Fettnapf-Neigung ihrer Anführer mehr oder weniger erfolgreich sind.

Hinzu kommt etwas aus deutscher Sicht Hässliches, was mir als Historiker, der in Österreich geforscht hat, oft begegnet ist: Das Land, das 1938 begeistert die Grenzen öffnete, um seinen Landsmann Adolf Hitler zu begrüßen, hat sich mit diesem Teil seiner Geschichte nie so auseinandergesetzt, wie die Deutschen es gemacht haben.

Der Bruch wurde nie vollzogen. Die Rechten von Wien und vor allem die aus Kärnten haben eine Haltung, die selbst die Rechtsextremen von Thüringen noch strammstehen lässt. Ihr Spitzenmann Herbert Kickl allerdings hat dann doch etwas Operettenhaftes an sich, wenn er ankündigt: „Jetzt ist es da, das Jahr der Entscheidung, das Jahr der Wende, das Schicksalsjahr hat begonnen. Die Peiniger und Unterdrücker haben nichts in den Regierungsämtern verloren. Jetzt ist die Erlösung in Sicht.“

Angst vor der blauen Welle? Nein. Das Pendel schlägt zurück, und wie es physikalisch immer zugeht: Es schlägt deutlich über die Mitte hinaus. Aber um wieder in die Spur zu kommen, um Europa und seine wunderbaren Länder wieder in Fahrt zu bringen, ist diese Pendelbewegung möglicherweise höchst heilsam.

Der Beitrag „Warum ich die deutsche Angst vor der rechten Welle nicht teile“ stammt von Business Punk.

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