Das Nebelwetter der letzten Tage hat die Ökostrom-Produktion praktisch zum Erliegen gebracht. Als Ersatz für Wind und Sonne wurden nicht nur besonders klimaschädliche Kraftwerke hochgefahren. Auch die Preise explodierten. Und all das scheint nur ein Vorgeschmack auf den Winter zu sein.
Die Vorhersage des Deutschen Wetterdienstes ließ am Freitagmittag jegliche Dramatik vermissen: „Im Einflussbereich einer kräftigen, vom Balkan über Polen bis nach Skandinavien reichenden Hochdruckzone herrscht ruhiges und zu Nebel bzw. Hochnebel neigendes Herbstwetter.“
Für Stromhändler und Elektrizitätsversorger war es eher ein Nebel des Grauens, der sich da über Zentraleuropa ausgebreitet hatte. In der ersten sogenannten Dunkelflaute dieses Jahres war die deutsche Ökostromproduktion bereits zur Wochenmitte auf Werte nahe null zurückgefallen, weil kein Wind wehte und die Sonne nicht schien. Die Grünstrom-Knappheit sorgte für extreme Preis-Spitzen am Spotmarkt der Energiebörse EEX.
Die derzeit vor allem von Grünen-Politikern organisierte Energiewende hat zum Ziel, Windkraft und Photovoltaik (PV) praktisch zur einzigen Säule der deutschen Stromversorgung zu machen – neben dem Stromimport. Doch am vergangenen Mittwoch gegen 17 Uhr knickte diese Säule ein. Die 30.243 deutschen Windräder und rund 3,7 Millionen Solaranlagen stellten ihre Produktion ein.
Solarkraft lieferte am Mittwoch um 17 Uhr nur noch eine einzige Megawattstunde. Die 1602 Offshore-Windkraftanlagen in Nord- und Ostsee – jede einzelne so groß wie der Eiffelturm – standen komplett still. Stromproduktion Null. Die Windräder an Land produzierten zu dieser Stunde nur 114 Megawattstunden bei einem deutschen Stromverbrauch von 63.000 Megawattstunden.
Der Übertragungsnetzbetreiber Amprion beschrieb die Lage bereits am Donnerstag im Webportal „LinkedIn“: „Die minimale Einspeisung aus Wind und PV lag in Summe bei gerade einmal ca. 100 Megawatt (im Zeitraum 17 bis 21 Uhr).“
Das heißt: Die mit dreistelligen Milliarden-Subventionen in Deutschland errichteten Kapazitäten von 87.000 Megawatt Fotovoltaik und rund 72.000 Megawatt Windkraft lagen stundenlang praktisch komplett brach. Eine Gefahr für die Stromversorgung habe nicht bestanden, hieß es. „Keine Sonne, kein Wind – gestern und heute herrschte eine Dunkelflaute in Deutschland“, erklärte Amprion am Donnerstag: „Doch unsere Systemführung hatte alles im Griff.“
Die Lage hielt den ganzen Mittwoch und Donnerstag über an und besserte sich auch am Freitag nur marginal. Weil die Kapazität aller deutschen Batterie- und Pumpspeicher nach einigen Stunden erschöpft ist, mussten umso mehr fossile Kraftwerke einspringen, um den Strombedarf zu decken.
Die verbliebenen deutschen Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke produzierten zu jedem Zeitpunkt in den vergangenen drei Tagen knapp 20.000 Megawattstunden, unterstützt von bis zu 15.000 Megawattstunden aus Gaskraftwerken. Selbst 700 Megawatt Öl-Kraftwerke aus der Reserve trugen trotz ihres klimaschädlichen Brennstoffs wieder zur Stromversorgung bei.
Wie aus der Website smard.de der Bundesnetzagentur hervorgeht, wurde zudem ein Großteil des deutschen Strombedarfs in den vergangenen Tagen durch Importe gedeckt. Am Donnerstag lag der Strombedarf Deutschlands zum Beispiel zur Mittagszeit bei knapp 64.000 Megawattstunden, produziert wurden im Inland jedoch nur rund 47.000 Megawattstunden. Die Differenz wurde durch Importe gedeckt.
Außergewöhnlich hohe Preisspitzen
Die Bundesnetzagentur weist bezüglich der Importe regelmäßig darauf hin, dass die Menge der eingeführten Megawattstunden kein Indiz für Stromknappheit in Deutschland sei, sondern lediglich die Funktionstüchtigkeit des europäischen Binnenmarktes für Elektrizität zeige: Importiert werde nicht, weil Strom im Inland physisch knapp sei, sondern weil er in bestimmten Stunden billiger im Ausland eingekauft werden könne.
Energieversorger, zum Beispiel Stadtwerke, sind seit Mittwoch jedoch gezwungen, den Ausfall der Ökostrom-Erzeugung durch kurzfristiges Nachkaufen an der Strombörse EEX zu kompensieren. Bei der sogenannten Day Ahead Auktion, bei der Strommengen zur Lieferung am Folgetag versteigert werden, kam es seit Mittwoch immer wieder zu außergewöhnlich hohen Preisspitzen.
So wurden bereits am Dienstag mehr als 500 Euro pro Megawattstunde gezahlt. Der langfristige Durchschnittspreis an der Strombörse liegt sonst bei 40 Euro. Als der Wetterbericht am Mittwoch vorlag, schossen die Gebote an der Strombörse sogar auf 820 Euro pro Megawattstunde hoch – eine kurzfristige Verzwanzigfachung des normalen Niveaus. Auch am Freitag lag der Großhandelspreis am kurzfristigen Spotmarkt noch bei über 100 Euro, also bei mehr als dem Doppelten des langfristigen Normalpreises.
Die Spitzenpreise der abgelaufenen Woche sind womöglich nur ein Vorbote dessen, was im bevorstehenden Winter noch zu erwarten ist. Die Fachagentur „Montel“ zitiert Energiemarkt-Experten, die bei weiteren Windflauten Preisspitzen von 1000 Euro pro Megawattstunde erwarten. Denn in Zeiten von geringer Windstrom-Produktion müssen zunehmend teurere Gaskraftwerke einspringen, die dann das Marktpreisniveau definieren.
Von „Montel“ befragte Händler verwiesen zur Begründung auch auf den deutschen Atom- und Kohleausstieg, der die grundlastfähige Kraftwerkskapazität verringert habe, die unabhängig vom Wetter produzieren kann.
Preistreibend dürfte auch der bevorstehende Einbruch der Herbst- und Winterkälte in Europa sein. Dann nämlich wird der Eigenverbrauch vor allem Frankreichs stark zunehmen, da in dem Land sehr viele Heizungen mit Elektrizität betrieben werden. Die anspringende Stromnachfrage Frankreichs dürfte die relative Knappheit an der Europäischen Strombörse weiter vergrößern und damit die Preise treiben.
Marktbeobachter Tobias Federico, Geschäftsführer des Beratungshauses Montel Analytics, geht davon aus, dass die Preisschwankungen am Strommarkt mit dem Ausbau von Wind- und Solarenergie weiter zunehmen werden. Sommerliche Phasen mit niedrigen Strompreisen würden sich mit winterlichen Phasen hoher Strompreise abwechseln, die Ausschläge dabei extremer werden, sagte Federico beim Jahrestreffen des Verbandes der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) in Berlin.
Extreme Preisausschläge haben direkte Folgen für Stromkunden mit sogenannten dynamischen Tarifen. In Verbraucherforen wurde diesen Kunden empfohlen, in den Stunden extremer Preisausschläge nach oben „den Stecker zu ziehen“. Im Sommer profitieren die Nutzer dynamischer Stromtarife meist von niedrigen Marktpreisen, die sich wegen des Solarstrom-Überangebots einstellen. Dynamische Stromtarife sind in Deutschland bislang nur wenig verbreitet.
Bereits in diesem Sommer lag die Grünstrom-Produktion in vielen Stunden über der Nachfrage. Der Börsenpreis fiel dabei oft auf null Euro. Zum Teil mussten die gesetzlich dazu verpflichteten Netzbetreiber sogar Aufpreise zahlen, um noch Abnehmer für den überschüssigen Solarstrom zu finden.
Weil die Netzbetreiber entsprechend wenig Geld mit dem Verkauf des Grünstroms erlösten, musste der Bundesfinanzminister in diesem Jahr den Subventionsanspruch der Solar- und Windstrom-Produzenten mehrfach mit Steuergeld erfüllen. Während die Haushaltsplanung des Bundes anfangs von einem Bedarf von rund zehn Milliarden Euro ausging, ist inzwischen klar, dass der Steuerzahler in diesem Jahr mehr als 20 Milliarden Euro als EEG-Subvention an die Anlagenbetreiber überweisen muss.
Nach den Zielen der Bundesregierung, die im Erneuerbare-Energie-Gesetz niedergelegt sind, sollen die Solarstrom-Kapazitäten in Deutschland von aktuell 87 Gigawatt bis zum Jahr 2030 auf 215 Gigawatt mehr als verdoppelt und bis 2040 auf 400 Gigawatt vervielfacht werden.
Daniel Wetzel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Energiewirtschaft, Energiepolitik, Klimapolitik und Tourismuswirtschaft.