Unwetter in Spanien:

Zahl der Todesopfer durch Flut steigt auf 205

01.11.2024
Lesedauer: 8 Minuten
© IMAGO/Europa Press/IMAGO/Rober Solsona

Nach dem Unwetter in Spanien ist die Zahl der Todesopfer auf 205 gestiegen. Immer noch müssen Menschen aus ihren Häusern befreit werden. „Dutzende und Aberdutzende“ würden vermisst, so die Behörden.

Nach den extremen Regenfällen in Spanien ist die Zahl der Todesopfer auf insgesamt 205 gestiegen. Das berichtet die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf örtliche Rettungsdienste.

Allein 202 Opfer gebe es in der Mittelmeerregion Valencia im Osten des Landes, teilte der Notdienst der Regionalregierung auf X mit. Weil immer noch Menschen vermisst würden, sei mit einem weiteren Anstieg der Opferzahl zu rechnen, so die Einsatzkräfte.

Besonders stark betroffen ist die Mittelmeer-Region Valencia. Dort wurden laut örtlichem Rettungsdienst Cecopi 202 der bisherigen Todesopfer gefunden.

Zusätzliche Forensiker in Katastrophengebiet beordert

Die Zustände in den betroffenen Gebieten werden als katastrophal beschrieben. In der Gemeinde Alfafar mit 20.000 Einwohnern gebe es Menschen, die mit Leichen in ihren Häusern lebten, berichtete der Bürgermeister des Orts. Wegen der hohen Zahl an Todesopfern würden zusätzliche Forensiker in das Katastrophengebiet geholt und notfalls auch Hilfe aus dem Ausland angefordert.

In der Stadt Alfafar in der Region Valencia wurde auch der Friedhof von den Wassermassen überschwemmt. 
© AFP/JOSE JORDAN

Eine offizielle Gesamtzahl der Vermissten lag nicht vor. „Dutzende und Aberdutzende“ Menschen würden noch vermisst, sagte der Minister für Territorialpolitik, Ángel Víctor Torres, am Donnerstagabend.

Hilfe benötigten auch Tausende Menschen, die in Fahrzeugen, Häusern und Dörfern ausharrten. Ein von der Feuerwehr veröffentlichtes Video zeigte, wie ein einjähriger Junge per Hubschrauber aus seinem überschwemmten Dorf gerettet wurde.

In Alfafar (Valencia) pumpen Feuerwehrleute Wasser aus einem vollgelaufenen Tunnel. 
© REUTERS/SUSANA VERA

Gemeinden in Spanien helfen sich selbst

An vielen Orten fehlt es weiterhin an Lebensmitteln, Wasser und Strom. Viele Gemeinden sind weiterhin von der Außenwelt abgeschnitten und müssen Hilfe für die Einwohner auf eigene Faust organisieren.

Es fehle an allem, sagte die Bürgermeisterin des besonders stark verwüsteten Ortes Catarroja südlich der Großstadt Valencia, Lorena Silvent, am Morgen im staatlichen Sender RVTE. „Alles ist willkommen – Essen, Trinkwasser, Geräte zur Wiederherstellung der Wasserversorgung, Kleidung.“ Auch die Stromversorgung und die Telekommunikationsnetze seien nicht überall wieder hergestellt. Die Gemeinde Catarroja ist immer noch nicht per Straße wieder zu erreichen sind.

Freiwillige räumen in Paiporta, nahe Valencia, den Schutt weg. 
© REUTERS/Nacho Doce

Silvent plant nun, Versorgungspunkte in dem knapp 30.000 Einwohner zählenden Ort aufzubauen, wo Spenden wie Lebensmittel und Kleidung verteilt werden sollen. Auch wolle sie eine Anlaufstelle für medizinische Versorgung rund um die Uhr einrichten.

„Die Situation ist chaotisch. Ich erinnere die Einwohner daran, dass der einzige sichere und gut kommunizierte Ort das Rathaus ist. Sie sollen sich hierher begeben und wir werden uns um sie kümmern“, sagte die Bürgermeisterin im Fernsehen.

Auch in anderen Orten organisieren Bürgermeister mittlerweile Hilfe für die Einwohner. „Wir mussten einen Supermarkt ausräumen, um Lebensmittel an die Bevölkerung zu verteilen“, sagte der Bürgermeister des Orts Alfafar, Juan Ramón Adsuara, dem Fernsehsender À Punt in der Provinz Valencia.

In der Stadt Valencia finden sich immer mehr Freiwillige zusammen, wie die Zeitung „Las Provincias“ berichtete. Sie sammeln demnach Spenden, die sie in betroffenen Stadtgebieten verteilen und helfen mit Geräten ausgerüstet bei den Aufräumarbeiten.

In Massanassa in Valencia schließen sich Freiwillige zusammen, um nach der Flut mit den Aufräumarbeiten zu beginnen. 
© AFP/JOSE JORDAN

Auch haben sich in der Stadt erste Anlaufstellen für Menschen gebildet, die aus umliegenden Orten oft schlammbedeckt und zu Fuß über eine Brücke in die Stadt kommen – auf der Suche nach Essen, Trinkwasser oder einem Unterschlupf, wie RTVE berichtete.

Spanien schickt mehr Soldaten in Katstrophengebiet

Spaniens Verteidigungsministerin Margarita Robles will in die von den Unwettern zerstörten Gebiete noch mehr Soldaten schicken als die bereits eingesetzten 1.700. Die Zahl werde solange aufgestockt, wie es nötig sei für Rettungs- und Wiederaufbauarbeiten, sagte sie heute im staatlichen Sender RTVE.

Robles nannte die Ortschaften Ribarroja, Paiporta und Algemesí, in denen das Militär bisher noch nicht im Einsatz sei und in die nun Kräfte geschickt würden. Es werde keine Grenzen für Ressourcen geben. Eine konkrete Zahl, wie viele zusätzliche Soldaten etwa morgen dazukommen sollen, nannte sie nicht.

„Die Armee wird in allen Ortschaften sein, die Opfer dieser Situation geworden sind.“

Margarita Robles, Verteidigungsministerin Spanien

Robles zufolge gebe es „immer noch Orte, in denen Autos übereinandergetürmt sind mit Personen, Familien, die sich darin befinden könnten“.

Diebstähle in Einkaufzentren und Häusern

Nach Plünderungen in Geschäften und Häusern werde die Polizei mehr Präsenz zeigen. Medienberichten zufolge wurden in Einkaufzentren, die nach der Katastrophe unbewacht waren, unter anderem elektronische Geräte, Schmuck und Parfüm gestohlen. Torres kündigte „absolute Härte“ der Sicherheitskräfte „angesichts von Plünderungen und Straftaten“ an. 39 Verdächtige sind nach Angaben der Nationalpolizei festgenommen worden.

Unwetter in Spanien: Drohen weitere Überschwemmungen?

Für Teile der Überschwemmungsgebiete in der Region um die Großstadt Valencia gilt erneut eine Unwetterwarnung. In den am stärksten betroffenen Landstrichen gab es am Donnerstag zwar zunächst ruhiges Wetter.

Die Wetterbehörde AEMET verhängte für die Provinz Castellon aber ihre höchste Warnstufe. Weiter nördlich in Katalonien wurde eine Notfallwarnung für die Stadt Tarragona ausgesprochen.

Berichte aus dem Katastrophengebiet

Man hat uns hier völlig vergessen“, sagte ein Mann in Sedaví vor laufender Kamera des staatlichen Senders RTVE. Er weinte halb. „Niemand kommt, um die Autos wegzuziehen oder uns irgendetwas zu bringen. Man hat uns aufgegeben.“ Die Menschen bräuchten Essen, Kleidung und Schaufeln, um selbst die Erdmassen wegschaufeln zu können.

Der spanische Politiker Vicent Marzà, der in der Grünen-Fraktion im Europaparlament sitzt, teilte auf X Videos, die aus der Stadt Castellón in Valencia stammen sollen. Zu sehen ist Verkehr auf überfluteten Straßen. „Wirtschaftliche Aktivität geht über die Sicherheit der Menschen“, kritisiert er.

Schwer betroffen sind auch andere Regionen am Mittelmeer wie Andalusien und Murcia sowie Kastilien-La Mancha. Eine RTVE-Reporterin sprach auf einer überschwemmten Straße, in der zerstörte Fahrzeuge teils übereinander gestapelt lagen, von „kriegsähnlichen Szenen“.

„Das ist wie die Hölle“, sagte eine Anwohnerin. Ein eben geborgener Rentner sagte weinend vor laufenden Kameras: „Das war schrecklich, danke, danke an meine Schutzengel, die mich gerettet haben.“ Die Zentralregierung in Madrid rief eine dreitägige Staatstrauer ab Donnerstag aus. Sie sicherte den Betroffenen auch schnelle Hilfe beim Wiederaufbau zu.

„Ich hielt sie an der Hand fest, aber die Strömung war so brutal und so schnell, dass wir getrennt wurden und sie von der Flut fortgerissen wurden.“

57-jähriger Bewohner aus Paiporta (Valencia)

Ein 57-jähriger Mann erzählte der Zeitung „El País“, er habe in Paiporta nahe der Provinzhauptstadt Valencia auf einem Bauwagen Zuflucht gesucht und von dort aus mehreren Menschen im Wasser helfen wollen. „Ich hielt sie an der Hand fest, aber die Strömung war so brutal und so schnell, dass wir getrennt wurden und sie von der Flut fortgerissen wurden.

EU bietet Hilfe an

Die Europäische Union bot bereits Hilfe an. „Wir haben unser Copernicus-Satellitensystem aktiviert, um bei der Koordinierung der Rettungsteams zu helfen. Und wir haben bereits angeboten, unseren Katastrophenschutz zu aktivieren“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel.

Anwohner betrachten durch die Wassermassen aufgestapelte Autos. 
© dpa/Alberto Saiz

Kamen die Unwetterwarnungen zu spät?

Obwohl das ganze Ausmaß der Tragödie noch nicht bekannt ist und die Such- und Rettungsarbeiten noch länger anhalten werden, hat in Spanien bereits eine Debatte über mögliche Schuldige begonnen. In den Medien und im Internet wurde diskutiert, ob die Behörden die Bürger früher oder besser hätten warnen müssen.

Entsprechende Kritik gab es etwa von mehreren Rathaus-Chefs. Schließlich wisse man, dass das Wetterphänomen der „Dana“ oder des „kalten Tropfens“ gefährlich sei. Es tritt zu Herbstbeginn, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben, im Süden und Osten Spaniens häufiger auf.

Die nationale Wetterbehörde Aemet hatte am Dienstagmorgen um 07.31 Uhr die Alarmstufe Rot für die Region Valencia ausgerufen und unmissverständlich gewarnt: „Große Vorsicht! Die Gefahr ist extrem.“ Im Laufe des Tages verschlechterte sich die Wetterlage zunehmend. Doch erst am Nachmittag gegen 17 Uhr trat in Valencia das regionale Gremium zur Koordinierung der Rettungsorganisationen im Katastrophenfall (Cecopi) zusammen.

Die Warnung der Zivilschutzbehörde, in der die Bevölkerung von Valencia sehr eindringlich aufgerufen wurde, auf keinen Fall das Haus zu verlassen, wurde erst nach 20.00 Uhr veröffentlicht. Und laut der Zeitung „El País“ wurde die Warnung in einigen Ortschaften, die am schlimmsten von den Überflutungen betroffen waren, erst nach 21.00 Uhr verschickt. Da war es schon zu spät.

Die Regionalregierung und auch Experten wiesen die Vorwürfe zurück. Man könne solche „brutalen Folgen“ nicht vorhersagen, weil diese von verschiedenen Faktoren abhängig seien, sagte etwa der angesehene Meteorologe Francisco Martín León der Nachrichtenagentur Europa Press. (dpa/AFP/Reuters/Tsp)

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