Die Kommissionspräsidentin hat zu Beginn der Pandemie einen Impfstoff-Deal mit dem Pfizer-CEO womöglich per SMS ausgehandelt. Brüssel verlangt Aufklärung – doch von der Leyen schweigt.
Der Spitzname „Queen Ursula“ kommt nicht von ungefähr. Hoch oben im 13. Stock ihrer Behörde residiert die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie verlässt ihre Wohnung meist nur für Termine oder wenn sie sich zum Joggen in einen ruhigen Vorort fahren lässt.
Öffentliche Abendveranstaltungen meidet sie, Volksnähe zu demonstrieren ist nicht ihre Sache. Von der Leyen schottet sich gerne ab, regiert gern von oben und in Hinterzimmern. Im Brüsseler Politikbetrieb scheint das weithin zu funktionieren. Doch nun holt sie ein sogenannter Hinterzimmer-Deal ein – und das zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: In zwei Wochen wird in der EU ein neues Parlament gewählt.
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In dem Fall „Pfizer“ – in Brüssel auch „Pfizergate“ genannt – geht es um den dritten Impfstoffkaufvertrag der EU aus dem Mai 2021 und die Frage, wie dieser zustande gekommen ist.
Nach Informationen der „New York Times“ sollen von der Leyen und der Pfizer-CEO Albert Bourla in dieser Zeit regelmäßig telefoniert und Textnachrichten ausgetauscht haben. Diese „persönliche Diplomatie“ hat nach Angeben der Zeitung eine besondere Rolle beim Abschluss des Vertrags gespielt. Ist von der Leyen sorglos mit europäischen Steuermitteln umgegangen? Um diesen Vorwurf geht es im Kern.
Welt im Ausnahmezustand
Die Welt befand sich 2021 im Ausnahmezustand und von der Leyen stand unter einem enormen Druck. In weiten Teilen Europas legte das Coronavirus das öffentliche Leben lahm, die Intensivstationen waren voll und Astra Zeneca – zu dem Zeitpunkt der größte Impfstofflieferant der EU – kam mit der Produktion nicht hinterher.
Jede Woche analysiert Olga Scheer, Handelsblatt-Korrespondentin in Brüssel, im Wechsel mit ihren Kollegen des Brüsseler Handelsblatt-Büros Trends und Konflikte, Regulierungsvorhaben und Strategiekonzepte aus dem Innenleben der EU. Denn wer sich für Wirtschaft interessiert, muss wissen, was in Brüssel läuft. Sie erreichen sie unter: o.scheer@handelsblatt.com Foto: Klawe Rzeczy
Die Kritik an von der Leyen wurde immer stärker: Sie sei der Krise nicht gewachsen. Selbst Donald Trump, der Chaospräsident der USA, bekomme die Impfstoffbeschaffung besser hin.
Darum war der Pfizer-Deal so wichtig. Der US-Konzern stellte der EU gemeinsam mit seinem deutschen Partner Biontech 1,8 Milliarden Dosen seines Impfstoffs zur Verfügung. Die EU wurde damit zum größten Einzelkunden von Pfizer.
Details darüber, wie dieser Milliardendeal zustande gekommen ist, sind der Öffentlichkeit allerdings nach wie vor unbekannt. Die EU-Kommission teilt mit, sie verfüge über keine Textnachrichten, könne daher auch keine herausgeben.
Das erinnert an die „Berateraffäre“ zu von der Leyens Zeit als Verteidigungsministerin. Auch da wurden Textnachrichten gelöscht und es stand die Frage im Raum, ob alle Vergabekriterien bei hoch dotierten Berateraufträgen eingehalten wurden.
Ob das „Pfizergate“ von der Leyen gefährlich werden kann, ist fraglich. Die Spitzenkandidatin der konservativen EVP geht als große Favoritin in die Europawahl. Aber ihrem Image schaden die Debatten über ihre Textnachrichten. In Brüssel werden die Rufe nach Aufklärung immer lauter.
Zuständigkeit ungeklärt
Im April 2023 hatte ein belgischer Lobbyist bei einem Gericht in Lüttich Beschwerde gegen von der Leyen eingereicht. Er wirft ihr unter anderem vor, ihre Zuständigkeit überschritten zu haben.
Auch die Europäische Staatsanwaltschaft will den Fall untersuchen, es gingen mehrere Beschwerden ein. Ursprünglich hätte bei einem Termin in der vergangenen Woche geklärt werden sollen, welches Gericht für die Angelegenheit zuständig ist. Doch dieser wurde nun auf Ende des Jahres verschoben.
Los ist von der Leyen die Affäre damit dennoch nicht. Der Fall bietet Nährboden für Misstrauen und Verschwörungstheorien. In ihrem eigenen Interesse sollte sie daher Transparenz herstellen.
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