Trotz israelischer Drohungen

Warum Spanien, Irland und Norwegen jetzt Palästina als Staat anerkennen

22.05.2024
Lesedauer: 8 Minuten
Sánchez erhält im Parlament Beifall für seine Ankündigung. Foto: EPA

Trotz aller Drohungen aus Israel wollen die drei Länder einen Palästinenserstaat anerkennen. Die Gründe dafür liegen auch in der jeweiligen Innenpolitik. Der irische Ministerpräsident verweist auf die Geschichte seines Landes.

Ungefähr zeitgleich am Mittwochmorgen haben Spanien, Irland und Norwegen angekündigt, Palästina als Staat anzuerkennen. Der irische Ministerpräsident Simon Harris trat für die Ankündigung vor den Regierungssitz in Dublin, Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez sprach im Parlament in Madrid und der Norweger Jonas Gahr Støre gab eine Pressekonferenz in Oslo. Die Anerkennung soll jeweils am 28. Mai vollzogen werden.

Inzwischen erkennt zwar die Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen Palästina als Staat an. Das gilt jedoch nicht für die wichtigsten westlichen Nationen wie die USA und die Mehrzahl der EU-Staaten, darunter Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Auch Deutschland setzt sich für eine Zweistaatenlösung ein, sieht die Anerkennung Palästinas jedoch als Ergebnis direkter Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien. 

Schon im März hatten die Regierungschefs von Spanien, Irland, Slowenien und Malta eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in der die vier EU-Länder ihren Willen bekundeten, einen eigenständigen Palästinenserstaat anzuerkennen. Im April reiste Spaniens Ministerpräsident Sánchez nach Norwegen und Irland. Die drei Länder versicherten dabei, dass sie sich bei der Anerkennung eng abstimmten. Bei der Ankündigung an diesem Mittwoch begründeten die Regierungschefs ihre Entscheidung jeweils ausführlich.

Irlands Regierungschef erinnert an die eigene Geschichte

Der irische Ministerpräsident Simon Harris und die Spitzen der Partnerparteien seiner Koalitionsregierung, Außenminister Micheál Martin (Fianna Fáil)  und Umweltminister Eamon Ryan (Grüne), waren morgens um acht vor den Sitz der Regierung in Dublin getreten, um dort die Entscheidung der Regierung zu verkünden. Harris legte Wert darauf, dass Irland dabei im Einklang mit Spanien und Norwegen handele, und stellte in Aussicht, dass weitere europäische Länder folgen werden.

Er erinnerte daran, dass eine Zweistaatenlösung vor drei Jahrzehnten im Mittelpunkt des Osloer Friedensprozesses gestanden habe; diese Lösung aber gegenwärtig weiter entfernter scheine denn je. Harris sagte, Irland wolle mit „diesem wichtigen politischen Schritt“ der Zweistaatenlösung wieder näherkommen.

Außenminister Martin sagte, die Ankündigung des Staates Palästina sei „ein klarer und unverrückbarer Ausdruck unserer festen Überzeugung, dass es im Nahen Osten keinen Frieden geben kann, solange die Völker Palästinas und Israels nicht die gleichen Rechte der Selbstbestimmung, Staatlichkeit, des Friedens, der Sicherheit und Würde genießen“. Das Prinzip der Gleichheit sei die Grundlage für Gerechtigkeit, für friedliches Zusammenleben und für eine bessere Zukunft, sagte Harris. Weil dieses Prinzip im ganzen Nahen Osten attackiert werde, habe sich die Regierung zu ihrem Schritt entschlossen.

Die irische Regierungsspitze mit Eamon Ryan, Simon Harris und Micheal Martin verkünden in Dublin die Anerkennung Palästinas. AP

Die irische Entscheidung zur Anerkennung eines palästinensischen Staates leitet sich auch aus Motiven der irischen Geschichte ab. Harris erinnerte gleich zu Beginn seiner Ansprache auf den Stufen des Regierungssitzes an den 21. Januar des Jahres 1919, an dem der irische Staat seine Unabhängigkeit von Großbritannien erklärte. Damals sei das eine irische Bitte an die Welt gewesen, um Anerkennung des Rechts auf Unabhängigkeit, auf Selbstbestimmung und Gerechtigkeit. Heute unternehme Irland im Bewusstsein seiner eigenen Geschichte diesen Schritt gegenüber Palästina.

Harris und Martin beteuerten beide, die Entscheidung der irischen Regierung sei nicht gegen Israel gerichtet; beide erkannten ausdrücklich Israels Anspruch auf eine sichere Existenz in den eigenen Grenzen an, beide verurteilten nochmals den Terrorangriff der Hamas auf Israel und verlangten die Freilassung der israelischen Geiseln. Der Grünen-Vorsitzende Ryan betonte, der irische Schritt stelle „keine Billigung der Hamas“ dar.

Innenpolitischer Druck auf Sánchez in Spanien

Der spanische Ministerpräsident Sánchez sagte am Mittwoch im Parlament: „Wir sind gezwungen zu handeln: In der Ukraine wie in Palästina, ohne zweierlei Maß anzulegen.“ Er spracht von einem „Massaker“ in Gaza. „Der israelische Ministerpräsident Netanjahu hat kein Friedensprojekt für Palästina, der Kampf gegen die Hamas ist legitim, aber Netanjahu verursacht so viel Schmerz, dass die Zweistaatenlösung ernsthaft gefährdet ist.“

Die internationale „Passivität“ müsse ein Ende haben. Spanien schließe sich den mehr als 140 Staaten an, die diesen Schritt schon gegangen seien; er hoffe, dass andere Staaten bald folgen werden. Diese Anerkennung richte sich „gegen niemanden, weder gegen Israel, ein Volk, das Spanien schätzt und respektiert“, noch gegen die Juden, ein „bewundertes Volk“, noch gegen die Hamas.

Sánchez spricht am Mittwochmorgen im Parlament in Madrid.AFP

Ursprünglich war die Rede davon gewesen, dass Spanien und andere Staaten Palästina schon am 21. Mai anerkennen würden, die Koordination war jedoch schwierig. Sánchez’ sozialistische PSOE-Partei erhofft sich für den beginnenden Europa-Wahlkampf einen Schub. Laut einer Umfrage des spanischen Elcano-Instituts sind 78 Prozent der Befragten für eine Anerkennung Palästinas und 60 Prozent für die Zweistaatenlösung.

In Spanien war schon seit Wochen der politische Druck auf Sánchez gewachsen, endlich zu handeln und den Palästinenserstaat anzuerkennen. Dem linken Koalitionspartner Sumar geht die Politik des sozialistischen Regierungschefs schon lange nicht weit genug. Sumar hatte Ende 2023 die sofortige Anerkennung Palästinas durch Spanien zur Bedingung für den Beitritt zur neuen Regierungskoalition gemacht. An Demonstrationen gegen Israel und für das Ende des Gazakriegs beteiligten sich immer wieder Minister von Sumar und der Linkspartei Podemos. An mehr als einem Dutzend Universitäten gibt es inzwischen Protestcamps, die für eine Einstellung der Beziehungen demonstrieren. Am Mittwoch lobte Sánchez ausdrücklich das Engagement der Studenten.

Das spanische Parlament hatte schon 2014, als die konservative PP regierte, mit großer Mehrheit in einer nicht bindenden Entschließung für die Anerkennung Palästinas gestimmt. Dazu sollte es aber erst nach einer Verhandlungslösung zwischen den Konfliktparteien und in Koordination mit den internationalen Partnern kommen. Deshalb genügt es, dass das Kabinett am kommenden Dienstag nur noch entscheidet, die Entschließung in Kraft zu setzen. Spanien hat bereits angekündigt, keine Waffen mehr an Israel zu liefern, und erlaubte in der vergangenen Woche einem Schiff mit Rüstungsgütern nicht, in Cartagena anzulegen.

Norwegen setzt sich für eine Zweistaatenlösung ein

In einer Pressemitteilung der norwegischen Regierung hieß es am Mittwochmorgen: „Die Palästinenser haben ein grundlegendes, unabhängiges Recht auf einen eigenen Staat. Sowohl Israelis als auch Palästinenser haben das Recht, in Frieden in getrennten Staaten zu leben.“ Ministerpräsident Støre sagte bei einer Pressekonferenz: „Es kann keinen Frieden ohne einen palästinensischen Staat geben.“ Die Anerkennung könne dazu führen, so Støre, dass die gemäßigten Kräfte in Palästina gestärkt würden. „Sie kann den Palästinensern Hoffnung für die Zukunft geben.“

Zugleich sagte Støre, dass eine Zweistaatenlösung auch die gemäßigten Kräfte auf israelischer Seite stärken könne. Er gestand ein, dass es heftige Reaktionen auf die Anerkennung Palästinas durch Norwegen geben werde, insbesondere aus Israel. Er bekräftigte, dass Norwegen der Ansicht ist, dass Israel das Recht habe, sich zu verteidigen. Norwegen ist ein Freund Israels und wird dies auch bleiben“, sagte Außenminister Espen Barth Eide.

Jonas Gahr Støre, Ministerpräsident von Norwegen, spricht auf seiner Pressekonferenz in Oslo. dpa

Israel ruft Botschafter zurück

Der israelische Außenminister Israel Katz rief umgehend die Botschafter seines Landes in Irland, Norwegen und Spanien zu Beratungen zurück. „Ich sende eine klare und unmissverständliche Botschaft an Irland und Norwegen: Israel wird angesichts derjenigen, die seine Souveränität untergraben und seine Sicherheit gefährden, nicht schweigen“, schrieb Katz auf der Plattform X zu der Entscheidung der beiden Länder.

„Die heutige Entscheidung sendet eine Botschaft an die Palästinenser und die Welt: Terrorismus zahlt sich aus“, so Katz.  Dieser Schritt sei eine Ungerechtigkeit gegenüber dem Andenken der Opfer des 7. Oktober, als die islamistische Hamas mit ihrem Terrorangriff in Israel ein Massaker mit mehr als 1200 getöteten Israelis verübte. „Israel wird nicht schweigen – es wird weitere schwerwiegende Folgen haben“, schrieb Katz. „Wenn Spanien seine Absicht umsetzt, einen palästinensischen Staat anzuerkennen,  wird es ähnliche Schritte geben.“

Der Generalsekretär des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Hussein al-Scheich, hingegen bezeichnete die Anerkennung Palästinas durch Irland, Norwegen und Spanien als „historischen Moment“. Nach Jahrzehnten des palästinensischen nationalen Kampfes, Leidens, der Unterdrückung und Besatzung triumphiere die freie Welt, schrieb er  auf der Plattform X. „Wir danken den Ländern der Welt, die den unabhängigen Staat Palästina anerkannt haben und es (noch) tun“, so der PLO-Generalsekretär. „Wir bekräftigen, dass dies der Weg zu Stabilität, Sicherheit und Frieden in der Region ist.“

Die PLO hatte am 15. November 1988 die staatliche Unabhängigkeit Palästinas erklärt. Im Rahmen der nach 1993 unterzeichneten Friedensverträge zwischen Israel und der PLO hatten die Palästinenser eine Teilautonomie im Gazastreifen und Westjordanland erzielt. Für die Palästinenser war zentrales Ziel stets ein eigener Staat. Eine angestrebte Ausweitung der Palästinensischen Autonomiegebiete blieb jedoch aus, die Friedensverhandlungen scheiterten 2014 endgültig.

Quelle: FAZ.NET

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