Deutscher Pflegerat zur Impfpflicht

Ungeimpften Mitarbeitern steht Kündigung bevor

22.11.2021
Lesedauer: 6 Minuten
Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Christine Vogler, rechnet damit, dass nach der vierten Corona-Welle weitere Pflegekräfte kündigen. © Quelle: imago images/Jürgen Heinrich

Berlin. In immer mehr Pflegeheimen deutschlandweit gibt es neue Corona-Ausbrüche. Dennoch zeige sich bereits der Booster-Effekt in den Einrichtungen, sagt Christine Vogler im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Sie ist Präsidentin des Deutschen Pflegerates und spricht im Interview über die Testpflicht für alle, die Impfpflicht in Pflegeheimen und den gerade angekündigten Corona-Bonus für Pflegekräfte, den sie als „Eingeständnis“ der Politik für die schlechte Bezahlung in der Pflege kritisiert.

Frau Vogler, die Inzidenzen steigen seit etwa zwei Wochen auf immer neue Höchststände. Wie ist die Situation in den Pflegeheimen?

Die regionalen Unterschiede bei der Inzidenz spiegeln sich auch im Infektionsgeschehen der Pflegeheime wider. Wir haben ungefähr 15.000 Pflegeheime in Deutschland und gemessen an dieser hohen Zahl nur wenige Corona-Ausbrüche. Meistens sind alle Bewohner dreifach geimpft und haben nur geringe oder gar keine Symptome. Da die Pflegeheime sehr viel testen, können Corona-Infektionen früh auffallen.

Der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte hat uns im Interview gesagt, dass es aufgrund der hohen Impfquote in den Pflegeheimen seiner Stadt weniger Corona-Ausbrüche als zu Beginn der Pandemie gibt. Teilen Sie diesen Eindruck?

Ja, es gibt sehr viel weniger Ausbrüche als noch vor einem Jahr. Wir merken ganz deutlich, dass die hohe Impfquote zur Entlastung in den Pflegeheimen beiträgt. Gleichzeitig sind Hygienemaßnahmen und Besuchermanagement nach anderthalb Jahren Pandemie gut erprobt und selbstverständlich geworden.

Erste Pflegeheime in Deutschland haben als Schutzmaßnahme bereits Besuchsverbote verhängt.

Ich halte Besuchsverbote für hochproblematisch und für nicht professionell. Wir wissen schließlich genau, wie wir uns vor Infektionen schützen können. Wir haben die Bewohner geimpft und führen regelmäßig Tests durch. Bevor wir jetzt die uns anvertrauten Menschen isolieren, sollten wir eine einrichtungsbezogene Impfpflicht aussprechen. Wir dürfen nicht pflegebedürftigen Menschen den Kontakt zu ihren Angehörigen verweigern, nur weil Ungeimpfte Keime in die Heime tragen können.

„Was soll ich mit ungeimpften Mitarbeitern machen, außer zu sagen, dann such dir einen anderen Job, wenn ich keine anderen adäquaten Aufgaben habe?“

Christine Vogler,Präsidentin des Deutschen Pflegerates

Kurz vor Weihnachten 2020 gab es laute Hilferufe der Pflegeheime, weil es dort zu vielen Infektionen und Todesfällen kam. Sind Sie zuversichtlich, dass Weihnachten dieses Jahr in den Pflegeheimen entspannt wird?Anzeige

Nein, ich rechne nicht damit, dass wir in den Pflegeheimen entspannt Weihnachten feiern können. Denn wenn die Infektionszahlen in der Bevölkerung steigen, kommt es auch in den Heimen zu mehr Ausbrüchen. Das Infektionsgeschehen dort lässt sich nicht von dem in der Bevölkerung isolieren. Das zu glauben, wäre ein Trugschluss. Aber die Ausbrüche werden in der Weihnachtszeit nicht das Ausmaß wie im Vorjahr haben, da jetzt fast alle Bewohner geimpft sind.

In einigen Bundesländer gilt 3G in Pflegeheimen für Personal und Besucher, Ungeimpfte müssen also einen negativen Tests vorlegen. Wissen Sie inzwischen besser, wie viele Pflegekräfte nicht geimpft sind?

Nein, wir können leider nicht sicher von den Corona-Tests auf die Ungeimpften schließen. Denn wer mir einen negativen Test vorlegt, muss nicht seinen Impf- oder Genesenenstatus offenlegen. Dafür kann es viele Gründe geben. Vielleicht möchte ein genesener Mitarbeiter nicht verraten, dass er Corona hatte und das Pflegeheim nicht informiert hat.

Eine weitere Maßnahme ist die Testpflicht für Mitarbeiter und Besucher. Klappt die Umsetzung?

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter testen sich schon lange täglich. Mir ist kein einziger Fall bekannt, wo das Personal oder Angehörige den Test verweigert hätten. Allen ist klar, dass der Schutz der Bewohner an erster Stelle steht. Bei einer Testpflicht für alle wissen wir aber weiterhin nicht, wer geimpft ist und wer nicht. Deshalb brauchen wir dringend eine Auskunftspflicht. Zu uns kommen zum Beispiel viele Alltagshelfer, die mit den Bewohnern singen, spielen und andere soziale Angebote machen. Ob die geimpft sind, wissen wir aber nicht. Ich befürworte daher eine einrichtungsbezogene Impfpflicht, weil dann auch die Alltagshelfer und alle anderen Mitarbeiter im Pflegeheim geimpft sein müssen.

Eine Impfpflicht hatten zuletzt auch die Bundesländer und Vertreter der Ampelparteien gefordert, darunter Christian Lindner. Setzen Sie dann ungeimpfte Mitarbeiter vor die Tür?

Wir müssen hier Klartext sprechen: Was soll ich mit ungeimpften Mitarbeitern machen, außer zu sagen, dann such dir einen anderen Job, wenn ich keine anderen adäquaten Aufgaben habe? Wenn der Gesetzgeber fordert, dass nur Geimpfte und Genesene in Pflegeheimen arbeiten dürfen, haben die Einrichtungen gar keine andere Wahl als sich von diesen Mitarbeitenden zu trennen.

„Wir sind in Sachen Corona inzwischen ein Land der Versäumnisse.“

Christine Vogler,Präsidentin des Deutschen Pflegerates

Ich kann als Arbeitgeber nur sagen, es ist jetzt deine Entscheidung, dich impfen zu lassen und hier zu arbeiten oder dich für einen anderen Job zu entscheiden. Wer zum Einfallstor für Corona im Pflegeheim wird, kann dort einfach nicht arbeiten. Dann ist für diese Mitarbeiter einfach Schluss. Hier brauchen wir eine klare Gesetzgebung, sodass wir ungeimpfte Mitarbeiter auch kündigen dürfen.

Der Pflegedienst BeneVIT hat bereits angekündigt, ab Dezember ungeimpfte Mitarbeiter freizustellen.

Ich finde die Entscheidung gut, weil sie konsequent die Sicherheit der Pflegebedürftigen an erste Stelle rückt. Andere Einrichtungen wissen, wer geimpft ist und wer nicht, und stellen Arbeitsstrukturen um. Aber wenn wir die Sicherheit der Bewohner nicht anders gewährleisten können, als ungeimpftes Personal freizustellen, ist das die richtige Maßnahme.

In den Pflegeheimen gab es schon vor Wochen die ersten Booster-Impfungen. Aber noch immer warten viele Bewohner auf ihre Auffrischungsimpfung. Haben wir das Boostern verschlafen?

Wir sind in Sachen Corona inzwischen ein Land der Versäumnisse. Die dritte Impfung hätte besser vorbereitet und viel schneller angeboten werden müssen. Trotzdem sind bereits einige Heime vollständig geboostert. Wir hätten aber viel schneller in den Heimen impfen können, wenn auch unsere Pflegekräfte impfen dürften. Wir haben in Deutschland so viel medizinisches Fachpersonal, aber nutzen dieses Potenzial überhaupt nicht aus. Das ist ein großer Fehler und ich würde mir wünschen, dass die neue Bundesregierung hier schnell nachbessert.

Nachbessern wollen zunächst die Bundesländer bei der Wertschätzung und haben sich für eine Prämienzahlung ausgesprochen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte „5000 Euro plus x“ vorgeschlagen.

Einmalige Pflegeboni sind völlig unzureichend und keine Lösung. Jeder Pflegebonus ist aus unserer Sicht ein Eingeständnis, dass Menschen in der Pflege viel zu wenig verdienen. Sonst bräuchten wir keine Boni. Angemessen wäre ein Grundlohn von 4000 Euro plus Zulagen.

„Ich bin sicher, dass wir auch nach der vierten Welle viele Pflegekräfte verlieren werden.“

Christine Vogler,Präsidentin des Deutschen Pflegerates

Wir müssen mit weiteren Pandemien und Endemien rechnen und müssen die Arbeit der Pflegekräfte in diesen Situationen mehr wertschätzen. Es wäre ehrlicher, für Pflegekräfte einen Pandemie- und Endemiezuschlag von 15 Prozent zum monatlichen Gehalt im Tarifvertrag festzulegen.

…aber es hilft, dass sich mehr Menschen für den Beruf entscheiden und die überarbeiteten Kollegen entlasten. Burnouts bei Pflegekräften sind eine riesige Gefahr. Viele Mitarbeiter haben nach der dritten Welle gekündigt oder ihre Arbeitszeit reduziert. Ich bin sicher, dass wir auch nach der vierten Welle viele Pflegekräfte verlieren werden. Wir müssen jetzt dagegen steuern.

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