Bei der Suche nach Tatverdächtigen der Nord-Stream-Anschläge gibt es offenbar neue Details. Berichten zufolge soll die Spur in die Ukraine führen. Was bleibt, sind wirtschaftliche Schäden.
Berlin – Lange war unklar, wer für die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines verantwortlich war. Jüngste Recherchen geben Hinweise, dass es sich bei der Kommandoeinheit hauptsächlich um ukrainische Zivilisten handeln könnte. Zu den Fadenziehern gehörten offenbar auch Personen mit Verbindungen zum ukrainischen Militärgeheimdienst.
Die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines hatte Folgen für die Energieversorgung Deutschlands. Der Sabotageakt habe Deutschland Milliarden gekostet, heißt es. Doch für die mutmaßlich Beteiligten bleiben die Pipelines ein legitimes Ziel.
Fall Nord Stream – Recherchen belegen, wer wohl hinter den Anschlägen steckte: „Segen für Deutschland“
Ende September 2022 hatten mehrere Sprengungen die beiden Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 beschädigt und unterbrochen. Die Explosionen wurden in der Nähe der dänischen Ostsee-Insel Bornholm registriert. Wenig später entdeckte man vier Lecks an drei der insgesamt vier Leitungen der Nord-Stream-Pipelines. Durch Nord Stream 1 floss zuvor russisches Erdgas nach Deutschland. Nord Stream 2 war wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der folgenden politischen Debatten noch nicht in Betrieb.
„Die Folgen der Attacke waren nicht nur für die Ukraine ein Segen, sondern auch für Deutschland“, sagte der mutmaßliche Drahtzieher der Nord-Stream-Anschläge, Roman Tscherwinsky, im Gespräch mit dem Spiegel. Endlich könne Deutschland nicht mehr erpresst werden.
Der ukrainische Ex-Geheimdienstler, der wegen einer anderen Sache in U-Haft sitzt, soll laut Recherchen des Mediums das Sabotage-Kommando, welches aus mehreren ukrainischen Tauchern bestand, geleitet haben. Eine weitere Person, die offenbar an den Vorbereitungen des Anschlags beteiligt war, sagte gegenüber dem Spiegel, dass man Deutschland nicht schaden wollte. Die Pipeline sei eine Geldader Moskaus gewesen.
Anschläge auf Nord-Stream-Pipelines haben wirtschaftliche Folgen
Doch deutsche Ökonomen monieren große finanzielle Einbußen für die deutsche Wirtschaft. Mehrere Großkonzerne hatten Millionenbeträge abschreiben müssen, weil die Nord-Stream-2-Pipeline nicht in den Betrieb ging. Die Nicht-Inbetriebnahme hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) als Reaktion auf den Ukraine-Krieg lange vor dem Anschlag angeordnet – nach dem Sabotageakt ist jedoch die grundsätzliche Chance der Inbetriebnahme wohl vorerst passé.
Das Projekt Nord Stream 1 hatte zudem 7,4 Milliarden Euro gekostet. Deutschland konnte jahrelang von vergleichsweise billigem russischen Gas profitieren. Allerdings ist auch vor den Explosionen schon kein russisches Gas mehr nach Deutschland geflossen. „Ab dem Frühjahr 2022 wurde die Gasversorgung ohne Grund immer mehr zurückgefahren“, sagte eine Sprecherin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) bereits im August auf Anfrage von IPPEN.MEDIA. „Russland hat die Gasversorgung einseitig und ohne rechtliche Gründe eingestellt.“
Mutmaßlich Beteiligte der Nord-Stream-Anschläge: Ex-Oberbefehlshaber der Ukraine wollte Pläne ausweiten
„Akt der Selbstverteidigung“ so beschreibt ein ukrainische Beteiligter die Nord-Stream-Anschläge nun gegenüber dem Spiegel. Laut Angaben der Beteiligten gab es bereits 2019 unter ukrainischen Geheimdienstlern erste Überlegungen, die Pipelines zu zerstören. Fünf Hobbytaucher wurden schließlich auserwählt, an Board der Segeljacht „Andromeda“ zu gehen und die Operation umzusetzen – darunter auch Wolodymyr Sch. Mitte August 2024 wurde bekannt, dass der Generalbundesanwalt Sch. sucht, der sich von Polen in sein Heimatland abgesetzt haben soll. Die Zeit, die Süddeutsche Zeitung und die ARD berichteten, der Mann sowie zwei weitere ukrainische Staatsangehörige – ein Mann und eine Frau – stünden unter Tatverdacht.
Abgesegnet wurde die Operation offenbar im April 2022 vom ehemaligen Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee: General Walerij Saluschny. Ihm soll die geplante Aktion so gut gefallen haben, dass er sie sogar noch auf das Schwarze Meer ausweiten wollte, berichtet der Spiegel. Der mittlerweile als ukrainischer Botschafter in Großbritannien eingesetzter Mann hatte bereits dem Wall Street Journal gesagt, nichts über einen solchen Einsatz zu wissen. Präsident Wolodymyr Selenskyj soll ebenfalls nichts von den Plänen gewusst haben.
Verdächtige der Nord-Stream-Anschläge noch nicht gefasst
Berichten zufolge gab es ein Budget von bis zu 300.000 US-Dollar für die Sabotageoperation, größtenteils gespendet. Dem Spiegel zufolge gab es sogar Hinweise beim Kanzleramt zum Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines, die allerdings nicht ernst genommen wurden.
Zudem hätte es die Chance gegeben, den verdächtigen Taucher Wolodymyr Sch. zu fassen. So soll er sich laut Spiegel nach dem Anschlag in Deutschland aufgehalten haben. Inzwischen wird Wolodymyr Sch. offenbar gewarnt und kann mithilfe der ukrainischen Botschaft aus Polen in seine Heimat fliehen. Heute ist fraglich, ob einer der verdächtigen Taucher je geschnappt werden. (bohy)