Die FDP hat die Ampel-Regierung mit dem Rückzug aller ihrer Minister verlassen. Nun könnte es bis Ende März Neuwahlen geben. Scholz und Lindner machen sich öffentlich Vorwürfe.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Mittwochabend Finanzminister Christian Lindner (FDP) entlassen und damit das Ende der Ampel-Regierung eingeläutet. Ausschlaggebend war letztlich Lindners Vorschlag an Scholz, Neuwahlen vorzubereiten.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr erklärte daraufhin am späten Abend, dass die Partei all ihre Minister aus der Bundesregierung zurückzieht. Damit beendete die FDP das Dreierbündnis der Ampel-Koalition.
Scholz will am 15. Januar die Vertrauensfrage im Bundestag stellen. Eine mögliche Neuwahl könnte nach Einhaltung aller Fristen bis Ende März stattfinden, erklärte der Kanzler.
Scholz kritisiert Lindner für Vertrauensbruch
„Wir brauchen eine handlungskräftige Regierung“, sagte Scholz in einem kurzfristig anberaumten Statement am Abend. Daher habe er der FDP am Mittwoch noch einmal ein umfassendes Angebot vorgelegt zur Stärkung Deutschlands. Finanzminister Lindner zeige allerdings keinerlei Bereitschaft. „Ein solches Verhalten kann ich dem Land nicht länger zumuten. Liebe Bürger, ich hätte Ihnen diese Entscheidung lieber erspart“, so Scholz.
Er wolle das Verhalten Lindners nicht weiter dulden. „Zu oft hat Minister Lindner mein Vertrauen gebrochen. Es gibt keine Vertrauensbasis“, so Scholz. „Ihm geht es nur um das kurzfristige Überleben der eigenen Partei.“
Wie am Abend zu hören ist, soll Scholz nicht zum ersten Mal Lindners Entlassung ins Auge gefasst haben. Daher der Hinweis des Kanzlers, dass der Finanzminister „zu oft“ sein Vertrauen missbraucht habe. Das lange Statement, vom Teleprompter abgelesen, war ebenfalls schon für den Fall der Fälle vorbereitet worden.
Das Fass zum Überlaufen soll gebracht haben, dass Lindners Vorschlag für Neuwahlen am Abend in der Öffentlichkeit gelandet war. Der Kanzler soll ungehalten gewesen sein, heißt es. „Diese Indiskretion war eine zu viel“, sagte eine Teilnehmerin des Koalitionsausschusses.
Lindner wirft Scholz „kalkulierten“ Koalitionsbruch vor
FDP-Chef Lindner schoss am Abend in einem Statement zurück. „Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er keine Kraft hat, unserem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen“, sagte Lindner. Scholz sei es „längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung“ gegangen, sondern um einen „kalkulierten Bruch dieser Koalition“.
Lindner betonte, er habe einen gemeinsamen Weg zu Neuwahlen vorgeschlagen: „Dieses Angebot hat der Bundeskanzler brüsk in der Sitzung des Koalitionsausschusses zurückgewiesen.“
Sein Papier sei zuvor nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert worden. Die Vorschläge des Kanzlers bezeichnet Lindner als „matt“. Dieser habe von ihm verlangt, die Schuldenbremse auszusetzen, sagte Lindner. Das sei mit seinem Amtseid nicht vereinbar. Um die Schuldenbremse auszusetzen, müssen Regierung und Bundestag eine „außergewöhnliche Notsituation“ überzeugend begründen.
Wissing will FDP verlassen und Minister bleiben
Hinter Lindner standen zu diesem Zeitpunkt Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, FDP-Fraktionschef Dürr sowie Justizminister Marco Buschmann.
Verkehrsminister Volker Wissing, der sich zuvor gegenüber einem Ampel-Aus kritisch geäußert hatte, fehlte. Später wurde bekannt, dass Wissing seinen Posten trotz des Ausscheidens der anderen FDP-Minister behalten und seine Partei verlassen will.
Dürr gibt Lindner Rückendeckung
Nach Lindners wenige Minuten dauerndem Statement am späten Mittwochabend zog sich die Fraktion in ihren Sitzungssaal zurück. Als Lindner den Raum betrat, brandete langer Applaus auf.
Fraktionschef Dürr erklärte nach der Sitzung, Lindner habe in dieser Rückendeckung seiner Fraktion erhalten. „Für beides wurde Christian Lindner entlassen, sowohl für seine Vorschläge für die deutsche Wirtschaft als auch für ein Ablehnen des Aussetzens der Schuldenbremse. Ich glaube, selten war ein solcher Schritt wie der von Christian Lindner ein Beleg für Prinzipientreue und Mut“, sagte Dürr.
Zu einer erwarteten Neuwahl sagte Dürr, Lindner sei Parteivorsitzender. Er gehe fest davon aus, dass Lindner auch der nächste Spitzenkandidat der Freien Demokraten sein werde.
„Die FDP war nicht bereit, diese Wege zu gehen.“
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne)
Habeck: Lindner-Enlassung sei „folgerichtig wie unnötig“
Auch die Spitzenkräfte der Grünen in der Ampel äußerten sich am Abend. Vizekanzler Robert Habeck bedauerte den Bruch der Ampel. Die Koalition habe nicht den besten Ruf gehabt. Man habe sich häufig gestritten. „Dennoch will ich für uns sagen, dass sich das heute Abend falsch und nicht richtig anfühlt, geradezu tragisch an einem Tag wie diesem, wo Deutschland in Europa Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit zeigen muss“, sagte Habeck nach dem Koalitionsausschuss.
Obwohl Lösungsmöglichkeiten auf dem Tisch lagen, habe man die Haushaltslücke nicht schließen können. „Die FDP war nicht bereit, diese Wege zu gehen“, sagte Habeck. Die Entlassung von Finanzminister Lindner sei letztlich so folgerichtig wie unnötig gewesen.
Man werde jetzt zügig den Weg zu geordneten Neuwahlen freimachen. Im Frühjahr werde Deutschland eine neue Entscheidung zu treffen haben. „Bis dahin sind wir im Amt. Und wir sind fest entschlossen, die Pflichten des Amtes vollumfänglich zu erfüllen“, sagte Habeck. „Ab morgen geht die Arbeit weiter.“
Habeck betonte später in den ARD-„Tagesthemen“, als Regierungsmitglieder sei man nicht in erster Linie der Partei oder seinem persönlichen Ansehen verpflichtet. „Wir hätten nicht auf unsere Wahlprogramme und vielleicht die nächste Wahl schauen müssen, wie man das unterstellen muss“, sagte er in Richtung FDP.
Scholz bietet Merz Zusammenarbeit an
Scholz bot Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) in seinem Statement eine Zusammenarbeit an. „Ich werde nun sehr schnell auch das Gespräch mit dem Oppositionsführer, mit Friedrich Merz suchen“, sagte der SPD-Politiker in Berlin. Er wolle Merz anbieten, in zwei oder gerne auch noch mehr Fragen, „die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv zusammenzuarbeiten: Bei der schnellen Stärkung unserer Wirtschaft und unserer Verteidigung“, sagte der Kanzler.
Die Wirtschaft könne nicht warten, bis Neuwahlen stattgefunden haben, ergänzte Scholz und fügte hinzu: „Und wir brauchen jetzt Klarheit, wie wir unsere Sicherheit und Verteidigung in den kommenden Jahren solide finanzieren, ohne dafür den Zusammenhalt im Land aufs Spiel zu setzen.“ Auch mit dem Blick auf die Wahlen in Amerika sei das „vielleicht dringender denn je“.
Im Laufe des Mittwochs hatten sich Bundeskanzler Scholz mit seinen Vizekanzlern Lindner und Robert Habeck zweimal im Kanzleramt getroffen, um Streitpunkte auszuräumen. Das war gescheitert. Dann wurde die Runde erweitert, etwa um Partei- und Fraktionschefs von SPD, Grünen und FDP sowie weitere Minister.
Während SPD und Grüne an die FDP appellierten, ihre Verantwortung für das Land ernst zu nehmen, flankierten führende FDP-Politiker am Mittwoch die Treffen mit wiederholten Forderungen nach einer Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik. (mit dpa)